Politik

Wie sicher ist Sotschi? "Viele Russen haben ein flaues Gefühl"

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(Foto: REUTERS)

Noch drei Tage, dann starten die Winterspiele in Sotschi. Russlandexperte Jens Siegert spricht im Interview mit n-tv.de über ungebetene Gäste, Terror-Gefahr und Putins größten Alptraum: "Es gibt eine untergründige Spannung, die die Vorfreude dämpft."

n-tv.de: Herr Siegert, sind die Olympischen Spiele in Sotschi die politischsten Winterspiele aller Zeiten?

Jens Siegert: Ich bin kein Sportexperte, aber sie sind sicherlich sehr politisch aufgeladen.

Leiter des Moskauer Büros der Böll-Stiftung: Jens Siegert.

Leiter des Moskauer Büros der Böll-Stiftung: Jens Siegert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Vor der Fußball-EM in der Ukraine gab es viele politische Debatten, zum Beispiel über die Inhaftierung von Julia Timoschenko. Als das Turnier dann begann, sprach kaum jemand mehr über Politik. Ist das bei Sotschi auch denkbar?

Ja. Das kommt aber darauf an, wie die Olympischen Spiele verlaufen und wie es im Umfeld aussehen wird. Im Moment gibt es eigentlich fast keine vorolympische Stimmung, das hat sehr stark mit den Ereignissen in der Ukraine zu tun. Das interessiert die Russen zurzeit am meisten. Dazu kommt die Frage, ob es gelingt, die Sicherheitsprobleme in den Griff zu bekommen. Wir alle hoffen sehr, dass es keine Anschläge geben wird.

Können Sie sich vorstellen, dass die Ereignisse in Kiew die Olympischen Spiele in Sotschi überschatten?

Das hängt wahrscheinlich auch davon ab, wie gut die russischen Sportler in Sotschi abschneiden. Aber wenn es in der Ukraine zu dramatischen Ereignissen kommt, und leider kann man dort zurzeit fast nichts ausschließen, dann könnte dies die Olympischen Spiele schon stark in Mitleidenschaft ziehen. Die emotionalen und persönlichen Bindungen mit der Ukraine sind sehr groß, aber auch die politischen und wirtschaftlichen Interessen.

Sie nennen die Gefahr eines terroristischen Anschlags während der Spiele. Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein?

Ende Dezember gab es die zwei Anschläge in Wolgograd. Das ist ungefähr 1000 Kilometer entfernt, aber genau diese Gegend ist die Achillesferse in Russland. In und um Sotschi ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass etwas passieren wird. Alles ist extrem abgesichert. Im Nordkaukasus dagegen sind Anschläge keine Besonderheit. Sie werden aber kaum jemanden interessieren, weil sie täglich stattfinden. In Moskau und St. Petersburg sind die Sicherheitsvorkehrungen auch sehr stark, aber in der Peripherie des russischen Kernlandes kann es zu Anschlägen kommen. Das hat auch damit zu tun, dass viele Sicherheitskräfte aus diesen Gebieten abgezogen sind, um die Sicherheit in und um Sotschi zu gewährleisten.

Die Abschlussfeier findet am 23. Februar und damit an einem historischen Datum statt. Genau 70 Jahre vorher wurden die Tschetschenen von Stalins Truppen nach Sibirien und Kasachstan deportiert. War es ein Fehler der Organisatoren, diesen Termin zu wählen?

Das ist sicherlich eine Provokation. Solche historischen Daten können immer besondere Kräfte freisetzen. Aber ob es dort Leute gibt, die das angesichts der massiven Sicherheitsmaßnahmen nutzen, ist eine andere Frage. Dazu muss man sagen: Das ist sowieso ein ganz besonderes Datum. Der 23. Februar ist nämlich auch der Tag der Vaterlandsverteidiger, der einst von Stalin als Tag der Roten Armee eingeführt wurde, und deshalb ein offizieller Feiertag.

IOC-Präsident Thomas Bach hat in einem Interview kritisiert, Politiker wie Joachim Gauck würden ihren Boykott auf dem Rücken der Athleten transportieren. Man dürfe nicht den Fehler machen und seine politische Meinung über ein Land auf die Spiele übertragen - hat er Recht?

Ich glaube, Bach macht es sich da zu einfach. Olympische Spiele haben wegen ihrer Größe immer auch eine politische Bedeutung. Das IOC verbindet sich auch immer sehr eng mit den jeweiligen politischen Machthabern. Da ist man ausgesprochen opportunistisch. Deshalb muss man natürlich auch gegebenenfalls die Konsequenzen mittragen.

Sotschi ist abgeriegelt wie eine Festung. Ungebetene Gäste und potenzielles Protest-Publikum wie die Frauen von Pussy Riot oder Femen haben also keine Chance?

Ich würde es nicht versuchen, mir wäre das Risiko zu hoch, verhaftet, geschlagen oder inhaftiert zu werden. Sie kommen nur nach Sotschi, wenn Sie eine Sondergenehmigung haben. Entweder Sie haben ein Ticket als Zuschauer oder eine Akkreditierung als Journalist oder Sie leben dort.

Was für eine Bedeutung haben die Spiele für Präsident Putin?

Putin hat die Spiele, von der Bewerbung bis zur Durchführung, zu seinem persönlichen Prestigeprojekt gemacht. Er hat den Bau und alles kontrolliert, ist immer persönlich aufgetaucht und hat seinen eigenen Namen damit verbunden. Damit geht er ein Risiko ein. Wenn man sich als Politiker so stark einmischt, muss es ein Erfolg werden. Wenn nicht, hinterlässt das negative Spuren.

Sind die Spiele für Putin gefährlich, weil plötzlich die ganze Welt nach Russland schaut?

Inzwischen spielt er ein bisschen Vabanque damit. Wenn es keine Anschläge gibt und die russischen Sportler sehr erfolgreich sind, das heißt Platz eins im Medaillenspiegel und der Sieg im Eishockey-Finale, dann kann das alles für Putin zu einem großen Erfolg werden. Aber niemand weiß, wie es ausgeht. Viele Menschen in Russland haben ein flaues Gefühl, dass da irgendwas Ungutes passieren könnte. Es gibt eine untergründige Spannung, die die Vorfreude reichlich dämpft.

Was wäre der "worst case" für Putin?

Wenn es Anschläge gibt, die Ereignisse in der Ukraine alles überschatten sollten, die russischen Sportler zu wenig Medaillen holen und es sogar einen Dopingskandal geben sollte - das wäre eine ziemliche Katastrophe.

Mit Jens Siegert sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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