Debatte über Trittin-Nachfolge Vom Wahlkampf in den Flügelkampf
23.09.2013, 18:50 Uhr
Trittin mag nach der Wahl nicht mehr über die Pädophilie-Debatte sprechen.
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Die Spitze der Grünen bietet der Partei ihren Rücktritt an. Ausgerechnet der Obergrüne Trittin lässt aber offen, ob er es auf eine Kampfkandidatur um seinen Fraktionsvorsitz ankommen lässt.
Den Grünen steht ein historischer Bruch bevor. Mit nur 8,4 Prozent der Stimmen verfehlte die Partei am Sonntag all ihre Wahlziele. Am Tag nach dem Debakel zieht die Grünenspitze Konsequenzen. Die Mitglieder der beiden bedeutsamen Gremien Parteivorsitz und Parteirat stellen ihre Ämter zur Verfügung. Voraussichtlich im Oktober stehen Neuwahlen an. Prominente Mitglieder, grüne Urgesteine wie Cem Özdemir und Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt und Renate Künast könnten ihren Posten verlieren.

Der Realo Dieter Janecek sagt: "Natürlich werden wir darüber zu reden haben, wer das Steuerkonzept im Wahlkampf besonders nach vorne gestellt hat."
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Der größere Bruch aber könnte aus einem anderen Grund entstehen. Denn sie sind gar nicht das Hauptziel der Kritik. Gut möglich, dass die Delegierten sie wiederwählen, wenn sie überhaupt wieder antreten. Wie keinen Zweiten allerdings machen die Grünen Jürgen Trittin für den gescheiterten Wahlkampf verantwortlich.
Aus Parteikreisen heißt es schon seit Langem: Er gab den umstrittenen steuerpolitischen Kurs der Grünen vor. Er sorgte dafür, dass die Grünen in der Sozialpolitik mit dem Wunschkoalitionspartner SPD wetteiferten. Von Trittin war nach der verlorenen Wahl daher zu erwarten, dass er sein Amt als Fraktionschef sofort aufgibt – zumal er der Partei durch seine Verwicklung in die Pädophilie-Debatte zusätzlichen Schaden zugefügt hat. Doch Trittin hält sich offen, ob er nochmal kandidiert. Mehr noch: Ausgerechnet er erweckt den Eindruck, als wolle er Fraktionsvorsitzender bleiben.
Trittin im Verteidigungsmodus

Kerstin Andreae gilt als mögliche Nachfolgerin Trittins an der Fraktionsspitze.
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Am Tag nach der Wahl sagt Trittin: "Wir sind wieder auf das Niveau zurückgefallen von 2002, 2005." Das Ergebnis der Wahl 2009, damals bekamen die Grünen mehr als 10 Prozent, nennt er nicht. Und das aus gutem Grund. Kurz vor der Wahl sagte Trittin in einem Interview mit "Zeit Online", dass das Niveau der vergangenen Wahl seine Messlatte für einen Erfolg wäre. Als ihn ein Reporter nun auf einen möglichen Kurswechsel anspricht, ein Kurs zurück in die Mitte der Gesellschaft, antwortet Trittin: "Man verändert die Mitte der Gesellschaft nicht, wenn man sich vermeintlich anpasst. Sondern man verändert die Gesellschaft dadurch, dass man für seine Überzeugung streitet." Der Pädophilie-Debatte weicht er aus, sagt nur: "Sicherlich war nicht jede Diskussion hilfreich." Trittin im Verteidigungsmodus.
Eine Entscheidung rechtfertigt er dagegen nicht: seine Entscheidung, ob er noch einmal für den Fraktionsvorsitz kandidiert, später zu fällen. Er verweist nur darauf, dass er sie von Beratungen in der neuen Grünen-Fraktion abhängig machen wolle. Sie tritt an diesem Dienstag das erste Mal zusammen.
Großer Rückhalt, starke Kritiker
Bisher konnte sich Trittin auf den Rückhalt von Basis und Fraktion verlassen. Immerhin war er von Anfang an bei den Grünen dabei. Er prägte die Partei. Bei der Urwahl der Spitzenkandidaten holte er mit mehr als 70 Prozent das mit Abstand beste Ergebnis. Doch es gibt Kritiker des Über-Grünen, und wahrscheinlich sind es an diesem Sonntag mehr geworden, auch in der Fraktion.
"Wir werden diskutieren, wie die neue Fraktionsführung aussehen wird", sagt Dieter Janecek n-tv.de. "Natürlich werden wir darüber zu reden haben, wer das Steuerkonzept im Wahlkampf besonders nach vorne gestellt hat", sagt er. Der grüne Landeschef aus Bayern hat den Sprung in die neue, 63 Politiker starke Fraktion wieder geschafft und sagt: "Es wird nicht darauf hinauslaufen, dass alles so bleibt, wie es ist."
Der Konkurrenzkampf ist programmiert
Hinter der unüberhörbaren Kritik an Trittin stecken dabei auch parteistrategische Interessen. Trittin gilt als linker Grüner und wusste den Kurs der Partei zuletzt zu bestimmen. Realo-Grüne wie Janecek hätten sicherlich nichts dagegen, wenn ein starker Vertreter ihres Flügels oder zumindest ein nicht mehr ganz so starker Vertreter der Linken künftig diese Rolle übernimmt. Und natürlich kursieren schon Namen.
Der linke Grüne Anton Hofreiter, der seit 2005 im Bundestag sitzt, zählt dazu. Bei den Realos ist es die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Kerstin Andreae. Janecek sagt: "Die Entscheidung fällt natürlich in den Gremien und in der Diskussion mit der Basis." Jetzt einzelne Namen herauszuheben halte er nicht für sinnvoll. "Aber die Namen, die da gefallen sind, kann ich mir auf jeden Fall vorstellen." Die Rolle Trittins bei den Grünen hat das Potenzial, einen veritablen Flügelstreit auszulösen. Wie heftig der ausfällt, dürfte letztlich davon abhängen, ob der Übergrüne freiwillig auf seinen Posten verzichtet.
Quelle: ntv.de