Politik

Eine andere Partei als 2017 Vor diesen Grünen muss die CDU zittern

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Baerbock lauscht Habecks politischer Rede, die ihr Co-Vorsitzender auf dem digitalen Parteitag in die Kamera spricht.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die in Umfragen zweitplatzierten Grünen drängen mit Nachdruck in die Bundesregierung. Auf ihrem digitalen Parteitag zum neuen Grundsatzprogramm zeigt sich die Partei entschlossen und geeint. Das muss mit Blick auf die Bundestagswahl vor allem der CDU Sorge bereiten.

Einen Punkt können die Grünen jetzt schon für sich verbuchen: Als erste im Bundestag vertretene Partei stellen sie einen komplett digitalen Parteitag auf die Beine, bei dem es wirklich um etwas geht. Zwar stehen keine Personalwahlen an, die nur persönlich oder per Briefwahl möglich sind. Die Debatte und Verabschiedung des ersten Grünen-Grundsatzprogramms seit 18 Jahren ist aber alles andere als eine Kleinigkeit. Diese technisch anspruchsvolle Unternehmung gelingt der Partei trotz mancher Wackler und Verzögerungen beeindruckend gut. Die CDU, deren Parteitagsverschiebung einen beispiellosen Eklat nach sich zog, muss sich hier in puncto digitaler Kompetenz vorführen lassen. Ausgerechnet von ihrem ernsthaftesten Gegner bei der anstehenden Bundestagswahl.

Kopfschmerzen sollte den Strategen im Konrad-Adenauer-Haus aber etwas anderes bereiten: Nämlich wie sehr sich die Partei in die politische Mitte bewegt, von "Führungsanspruch" redet und dafür auch Konflikte mit radikaleren Klima- und Umweltschützern in Kauf nimmt. Annalena Baerbock grenzte sich sogar ein Stück weit von den Aktivisten ab: Sie stellte klar, dass die Bewegungen gerne Druck über die Straße ausüben können, es aber die Grünen seien, die parlamentarische Mehrheiten für eine andere Politik organisieren.

Nicht länger Verbotspartei und Moralapostel

Sowohl Baerbock als auch ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck haben in ihren politischen Reden ihre Mitglieder ermahnt, die ganze Gesellschaft mitzunehmen und Ängste der Bevölkerung vor einem Umbau des Wirtschaftssystems ernstzunehmen. Baerbock versuchte Sorgen abzubauen, indem sie sagte, die Pläne der Grünen seien so revolutionär wie ein "Bausparvertrag". Habeck wandte sich gegen eine Spaltung zwischen Stadt und Land. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner erklärte mit Blick auf das Grundgesetz-begeisterte Grundsatzprogramm, die Grünen seien die wahren Verfassungsschützer im Land. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter beteuerte: "Wir verteufeln das Auto nicht, wir modernisieren es und machen es CO2-frei."

Die Grünen-Spitze will es dem politischen Gegner nicht mehr so leicht machen, sie als Verbotspartei und übergriffige Moralapostel zu verteufeln. Das neue Grundsatzprogramm zielt auf die Strukturen hinter Klima- und Umweltzerstörung, anstatt den Menschen weiter individuelles Verhalten vorzuschreiben und sie bei Zuwiderhandlung wie Schulbuben zu tadeln. Einen Veggie Day, also der Vorschlag eines fleischfreien Kantinentags, der die Partei noch bis zur Bundestagswahl 2017 verfolgte, wird heute kein Spitzenpolitiker der Grünen mehr fordern.

Grüne für Superwahljahr bereit

Diese neue Selbstverortung schließen die Grünen mit ihrem neuen Grundsatzprogramm weitgehend reibungsfrei ab. Sie beenden damit rechtzeitig vor dem kommenden Superwahljahr einen programmatischen Prozess, den auch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ihrer Partei versprochen hatte, der aber auf halber Strecke liegengeblieben ist. Welche Vision die CDU langfristig für dieses Land hat, ist genauso offen wie die Frage der Kanzlerkandidatur. Dazu musste Kramp-Karrenbauer am Wochenende des Grünen-Parteitags einräumen, dass der Wettbewerb um ihre Nachfolge für die CDU "ruinös" verlaufe. Im Ringen zwischen den als Favoriten gehandelten Bewerbern Armin Laschet und Friedrich Merz ist viel Porzellan zerschlagen worden. Wähler aber mögen keinen Streit, schon gar nicht Unionswähler.

Das Duell um die Grünen-Spitzenkandidatur dagegen ist gar keines: Beide Bewerber streben eine einvernehmliche Lösung an und genießen es sichtbar, bis zur für Mai geplanten Entscheidung die Spannung hochzuhalten. Sind die Grünen deshalb zwingend die kommende Regierungspartei? Nein, denn es gibt zahlreiche Widersprüche und Unwägbarkeiten. Die gehen weit über die Frage hinaus, ob die neue Grünen-Rhetorik auf dem Land, im Osten und außerhalb der akademischen Wählerschaft in den Städten verfängt.

Die Grünen-Pläne etwa zum Umbau des Energie- und Wirtschaftssystems werfen ernsthafte Fragen nach einer seriösen Gegenfinanzierung auf. Wie experimentierfreudig die Wähler angesichts der absehbaren Corona-Wirtschaftskrise sein werden, ist ebenfalls offen. Zudem bergen die Konflikte mit den Aktivisten von Fridays for Future oder im Dannenröder Forst durchaus Eskalationspotenzial. Einer geschlossenen CDU müsste angesichts des eigenen Umfragenvorsprungs vor diesem Gegner nicht bange sein. Doch elf Monate vor der ersten Bundestagswahl nach Merkel befinden sich die Grünen in einer ungleich besseren Verfassung als die CDU. Die Christdemokraten täten daher gut daran, den neuen Führungsanspruch der Grünen ernstzunehmen.

Quelle: ntv.de

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