Muffensausen in der CDU Wahlkampfstil ungeeignet
31.01.2008, 08:08 UhrDie Union steht offenbar vor einem Flügelkampf. Nachdem führende Unions-Politiker in einem offenen Brief dafür plädierten, die Integrationspolitik aus Wahlkämpfen herauszuhalten, wurde dies allgemein als Absetzbewegung vom politischen Stil des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) verstanden. "Integrationspolitik ist so fundamental für die Zukunft unseres Landes, dass sie nicht zum Wahlkampfthema degradiert werden darf", heißt es in einem in der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichten offenen Brief, der unter anderem von Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet und der bayerischen Sozialministerin Christa Stewens (CSU) unterzeichnet wurde.
Nicht persönlich nehmen
Am Tag nach der Veröffentlichung versuchten Laschet und Beust dem Eindruck entgegenzuwirken, dass dies als Kritik an ihrem Parteikollegen Roland Koch verstanden werden könne. Koch hatte die Gewalttätigkeit junger Ausländer zum Thema seines Landtagswahlkampfes gemacht. Er büßte bei der Wahl am vergangenen Sonntag zwölf Prozentpunkte ein. Beust sagte der "Welt", Koch sei sein Parteifreund und der Brief habe nichts mit dessen Wahlkampf zu tun. "Jeder macht seinen Wahlkampf, Herr Koch hat Spaß an der Zuspitzung. Inhaltlich lasse ich auf Herrn Koch nichts kommen." Er, Beust, stehe aber eher für die integrative Politik. Auch Laschet ruderte zurück. Der "FAZ" sagte er: "Unser Brief ist ausdrücklich keine Kritik an Roland Koch. Seit er in Hessen regiert, wird dort vorbildliche Integrationspolitik gemacht."
Durchatmen in Berlin
Auf Grund der dramatischen Verunsicherung haben sich die Spitzen der großen Koalition darauf festgelegt, erst wieder nach der Hamburg-Wahl ungelöste Themen anzupacken. Das berichtet die "Berliner Zeitung". Die nächste Koalitionsrunde sei erst wieder für den 9. oder 10. März geplant. Zuletzt hatte im November eine Koalitionsrunde getagt. Im Koalitionsvertrag war dagegen vereinbart worden: "CDU, CSU und SPD werden ihre Arbeit in Parlament und Regierung laufend und umfassend miteinander abstimmen ... Die Koalitionspartner treffen sich regelmäßig mindestens einmal monatlich zu Koalitionsgesprächen im Koalitionsausschuss."
Kochs Sprecher räumt Fehler ein
Der Sprecher der hessischen Landesregierung, Dirk Metz (CDU), gestand indes erstmals auch öffentlich Fehler ein. Angesichts der dramatischen Verluste der CDU unter ihrem Chef Roland Koch sei einiges schief gelaufen. "Ich habe Fehler gemacht, ich habe Dinge wiederum richtig gemacht, und am Schluss ist ein Wahlkampf ein Gemeinschaftswerk", sagte der enge Vertraute Kochs der "Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen". Die Größe der "Schweigespirale" der CDU-Anhänger bei Umfragen habe er falsch eingeschätzt.
Kritik aus dem Kanzleramt
Auch die Integrationsbeauftragte von Kanzlerin Angela Merkel, Maria Böhmer sagte nach einem Treffen mit 70 Vertretern von Migrantenverbänden: "Wenn Migranten die Empfindung haben müssen, dass ihre Kinder zu Fremden erklärt werden, dann verunsichert das alle." Zuspitzungen dienten nicht der Integration. "Das Wir-Gefühl muss gestärkt werden", forderte die CDU-Politikerin, die nicht zu den Unterzeichnern des offenen Briefes gehörte.
Die insgesamt 17 Unions-Politiker antworteten auf einen offenen Brief von 21 Deutsch-Türken, die während des Hessen-Wahlkampfs ebenfalls in der "Zeit" mehr Sachlichkeit in der Debatte um Jugendgewalt gefordert und Koch scharf kritisiert hatten. Weitere Unterzeichner sind Innen-Staatssekretär Peter Altmaier, der Berliner CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und mehrere Oberbürgermeister von Großstädten. Sie greifen Koch nicht direkt an, schreiben aber: "Wir brauchen einen neuen überparteilichen Konsens für die Integrationspolitik zusammen mit Migranten und der Mehrheitsgesellschaft, der auch über Wahlkämpfe hinweg hält und trägt."
"Verbale Ohrfeige" für Koch
Die frühere FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger wertete den offenen Brief als "verbale Ohrfeige" für Koch. "Das ist die offenkundige Distanzierung vom Wahlkampf Kochs und der Beginn der Union, Herrn Koch aus Hessen herauszunehmen", sagte sie der dpa. Grünen-Chefin Claudia Roth forderte die Union auf, sich bei den Vertretern der Migrantenorganisationen für den Koch-Wahlkampf zu entschuldigen. "Bei einer Minderheit von Unions-Politikern scheint diese Einsicht zu reifen, das reicht aber nicht", sagte sie der dpa.
"Wir wollen nicht mehr Objekte sein"
Über den Hessen-Wahlkampf beschwerten sich die Vertreter der Migrantenverbände bei ihrem Treffen mit Böhmer im Kanzleramt. Yasar Bilgin von der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung und Mitglied im Landesvorstand der hessischen CDU, sagte, der Wahlkampf in Hessen sei für die Zuwanderer keine einfache Zeit gewesen. "Wir wollen nicht mehr Objekte sein. Wir wollen Träger des Geschehens sein. Wir wollen unsere Kräfte bündeln."
Böhmer betonte, alle wollten nun aber den Blick nach vorne richten und gemeinsame Anstrengungen für eine bessere Sprachförderung, Bildung und Gewaltprävention unternehmen. Die Migrantenverbände hätten sich auch bereit erklärt, die Elternarbeit zu verstärken, da Gewaltverbrechen oft von Jugendlichen begangen würden, die bereits im Elternhaus Erfahrungen mit Schlägen gemacht hätten. Die Runde wolle sich vor der Sommerpause erneut treffen.
Quelle: ntv.de