Kanzlerin lässt Juncker zappeln Warum Merkel zögert
28.05.2014, 12:41 Uhr
Angela Merkel wollte sich in Brüssel nicht auf Jean-Claude Juncker festlegen.
(Foto: dpa)
Angela Merkels Parteifreund Jean-Claude Juncker könnte leicht eine Mehrheit im EU-Parlament bekommen. Trotzdem will sich die Kanzlerin nicht festlegen. Sie hat vorher noch einiges zu klären.
Es gibt mindestens zwei Interpretationen von dem, was gestern Abend in Brüssel passiert ist. Die Regierungschefs der EU-Staaten trafen sich dort, um über die Konsequenzen aus der Europawahl zu beraten. Danach traten wie üblich einige von ihnen getrennt voneinander vor die Presse, so auch Angela Merkel. Merkel ist die mächtigste Regierungschefin des Kontinents und das mächtigste Mitglied der EVP, der Partei, die die Europawahl gewonnen hat. Doch anstatt sich darüber zu freuen und ihren Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker zum neuen EU-Kommissionspräsidenten auszurufen, sagte Merkel Rätselhaftes: Man müsse ein "breites Personaltableau" diskutieren und berücksichtigen, dass die EVP alleine keine Mehrheit im Parlament habe.
Missachtet Merkel den Wählerwillen und den Willen ihrer eigenen Partei? Ist das Ergebnis des inoffiziellen Gipfels "erbärmlich", wie es der luxemburgische Außenminister sagt? Gewinnt die Hinterzimmerpolitik gegen die EU-Demokratie? Ganz so einfach ist es nicht. Denn die Berufung des Kommissionspräsidenten ist ein komplizierter Vorgang – und obwohl im Prinzip Herman Van Rompuy die Arbeit machen soll, wird in Wahrheit die Kanzlerin gezwungen sein, Unterstützung zu organisieren.
Parlament nicht so einig, wie es scheint
Auf der einen Seite braucht der neue Kommissionspräsident eine Mehrheit im Parlament. Die großen Fraktionen dort haben sich zwar vorläufig auf den Namen Juncker geeinigt. Dass sie ihn aber auch wählen, sagen sie noch nicht. Dazu müsste Juncker erst einmal ein Programm für die kommenden fünf Jahre vorlegen, das den anderen Parteien passt.
Auf der anderen Seite wollen auch die Regierungschefs, also der Europäische Rat, ein Programm aushandeln und dann erst jemanden suchen, der es umsetzt. Und es geht darum, die weiteren Posten so zu besetzen, dass die verschiedenen Interessen in der EU repräsentiert sind: Gesucht werden neben einem Kommissionspräsidenten auch ein Präsident des Europäischen Rates, ein Außenbeauftragter und ein vielleicht ein neuer Eurogruppenchef.
Merkel kann keinen Streit gebrauchen
Dabei müssen große und kleine Länder, Osten und Westen, Norden und Süden, alte und neue Mitglieder, sozialdemokratisch und konservativ geführte Staaten zum Zuge kommen. Außerdem muss es auch Frauen an der EU-Spitze geben, da sind sich alle einig. Ob Jean-Claude Juncker nun auf dem einen oder dem anderen Stuhl landet, scheint Merkel tatsächlich nicht so wichtig zu sein – auch wenn sie große Schwierigkeiten bekommen könnte, das zu erklären.
Wichtiger ist ihr, dass ein Kompromiss gefunden wird, der eine breite Zustimmung bekommt. Merkel verweist darauf, wie weitreichend die Entscheidungen der EU in den vergangenen fünf Jahren waren – man erinnert sich an manche Sitzung in Brüssel, nach der ihre Augenringe noch tiefer waren als an diesem Dienstagabend. Und sie sagt, dass die kommenden fünf Jahre entscheidend werden für die Bedeutung Europas in der Welt. Sie kann es nicht gebrauchen, wenn sich der Europäische Rat nun zerstreitet. Doch genau das deutet sich an.
Cameron stört, Oettinger muss zittern
Meistens treffen die Regierungschefs ihre Entscheidungen mit großen Mehrheiten – soweit es nach den Sitzungen bekannt wird. Vor allem das große Deutschland ist es nicht gewohnt, überstimmt zu werden. Dass sich Länder zusammentun und öffentlich eine Opposition bilden, ist selten. Nun aber hat der britische Regierungschefs David Cameron Ungarn und Schweden auf seiner Seite und spricht mit den Niederlanden und Finnland. Sein Ziel ist es, Juncker erst einmal zu verhindern. Selbst wenn Merkel die Qualifizierte Mehrheit zusammenbekäme, mit der sie ihren Kandidaten durchsetzen kann: In Zukunft könnte sie sich noch weniger auf die Briten verlassen als ohnehin schon.
Im Parlament ist es ähnlich: Die Fraktionen wollen die Zustimmung zu Juncker nicht einfach verschenken, sondern erhoffen sich inhaltliche Zugeständnisse. Sozialdemokraten und Liberale wollen außerdem ihre Spitzenkandidaten Martin Schulz und Guy Verhofstadt versorgt sehen. Das alles ist so kompliziert, dass schon ein persönliches Opfer von Angela Merkel diskutiert wird: Sie könnte den deutschen Kommissar Günther Oettinger in den Ruhestand schicken und David McAllister im Europaparlament parken, um in der Kommission Platz für Schulz zu machen.
Quelle: ntv.de