Schadensregister für die Ukraine Was bringt eine Liste der russischen Zerstörungen?


Blick aus einer Wohnung in Kiew, die bei einem russischen Angriff beschädigt wurde. Die EU-Kommission schätzt den Schaden für die Ukraine auf mindestens 600 Milliarden Euro.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Der Europarat beschließt ein Schadensregister für die Verwüstungen, die Russland in der Ukraine anrichtet. Damit sollen spätere Reparationen ermöglicht werden - auch wenn es derzeit "schwierig ist, schon so weit zu denken".
Ein Schadensregister mitten im Krieg? Was soll das bringen, solange die Zerstörungen noch anhalten? Mit dem Schadensregister wolle der Europarat sich in die Lage versetzen, "die durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine entstehenden Schäden gemeinschaftlich zu erfassen, um damit dem Wiederaufbau der Ukraine eine notwendige Basis zu verschaffen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz nach seiner Ankunft in der isländischen Hauptstadt Reykjavik, wo der Europarat zu einem Gipfeltreffen zusammenkommt.
Der Europarat ist kein Gremium der Europäischen Union, ihm gehören fast alle europäischen Staaten an, bis 2022 auch Russland. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine stimmte die Parlamentarische Versammlung des Europarats allerdings für einen Ausschluss Russlands aus der Organisation, zu der auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gehört.
Die Einrichtung eines Registers für die Zerstörungen in der Ukraine ist das zentrale Thema des Europarat-Gipfels in Island. Auf die Frage, ob ein solches Schadensregister auch wirklich zu Entschädigungen führen werde, sagte Scholz, das Register sei die Voraussetzung dafür, "dass mit gemeinsamen Daten gearbeitet werden kann". Soll heißen: Ob Russland jemals dafür aufkommen muss, was es in der Ukraine anrichtet, kann derzeit niemand sagen. Es ist aber das erklärte politische Ziel - und mit einer Auflistung der Schäden ist immerhin dokumentiert, für welche Verwüstungen Russland verantwortlich ist.
"Lernt die Wörter Reparationen und Kontributionen"
Dennoch ist derzeit offen, wann und inwieweit solche Zahlungen durchsetzbar sein werden. In späteren Verhandlungen werde es, "wie nach früheren Kriegen auch, sicherlich auch um Reparationsleistungen gehen", sagte der Historiker Philipp Ther im Interview mit ntv.de. "Aber im Moment steht der Krieg mit all seiner Brutalität so sehr im Vordergrund, dass es schwierig ist, schon so weit zu denken."
Die Forderung, dass Russland Reparationen an die Ukraine zahlen muss, ist alles andere als neu. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erhob sie bereits zehn Tage nach Kriegsbeginn. "Ihr werdet uns alles ersetzen, was ihr der Ukraine angetan habt. In vollem Umfang", sagte er damals in einer Videobotschaft an die Adresse Russlands. "Lernt die Wörter Reparationen und Kontributionen." Aber natürlich weiß auch die Ukraine, dass es bis zu russischen Reparationszahlungen ein weiter Weg ist. "Bevor wir mit Russland über Reparationen sprechen, müsste sich die russische Politik fundamental wandeln", sagte der ukrainische Präsidentenberater Alexander Rodnyansky im März 2022 ntv.de.
Immerhin ist die Forderung nach Reparationen mittlerweile von den Vereinten Nationen abgesegnet: Mitte November beschloss die UN-Vollversammlung, dass Russland für die Schäden in der Ukraine aufkommen muss. Resolutionen der Vollversammlung sind rechtlich nicht bindend, aber doch ein deutliches Signal. Für die Resolution stimmten 94 Staaten, 73 Länder enthielten sich, 14 stimmten dagegen, darunter Russland und China. Die Resolution empfahl auch ein "internationales Register", um Schäden zu sammeln und zu dokumentieren. Das setzt der Europarat nun um.
"Irgendwann wird Russlands Krieg enden"
Für etwaige Reparationszahlungen dürfte auch eine Rolle spielen, ob und wie Russland in eine europäische Sicherheitsarchitektur eingebunden werden kann. Das bisherige Vorgehen des Westens habe offensichtlich nicht funktioniert, so Historiker Ther. "Insofern müsste man nach dem Ende dieses Krieges einiges anders machen." Scholz sagte in seiner Rede beim Gipfel in Reykjavik, der Europarat sei wichtig, "um die Kriegsverbrechen der russischen Besatzer zu ahnden und Rechenschaft für die enormen Schäden einzufordern, die Russland der Ukraine Tag für Tag zufügt". Der Bundeskanzler betonte aber auch, der Europarat müsse alles daransetzen, "dass Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit irgendwann tatsächlich überall in Europa Fuß fassen". Mit Blick auf Russland und Belarus möge das heute zwar nahezu unvorstellbar klingen. "Doch irgendwann wird Russlands Krieg gegen die Ukraine enden. Und eines ist sicher: Er wird nicht mit einem Sieg des Putinschen Imperialismus enden."
An dem Schadensregister wollen 40 der 46 Staaten des Europarats mitarbeiten; vorläufig nicht dabei sind die Türkei, Ungarn, Aserbaidschan und Serbien. Das Schadensregister soll in Den Haag angesiedelt werden - die niederländische Stadt ist Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs, der bereits Anklage gegen den russischen Staatschef Putin erhoben hat. Zugleich soll das Register eine Außenstelle in der Ukraine erhalten. Dokumentiert werden sollen Informationen und Beweise über Schäden, Verluste und Verletzungen, die Personen, Einrichtungen oder der ukrainische Staat auf allen Ebenen nach dem 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls, durch russische Angriffe erlitten haben. Dies gilt für das gesamte Gebiet der Ukraine, also auch die seit 2014 von Russland annektierten Gebiete wie die Krim oder die ehemaligen "Volksrepubliken" im Donbass.
Zusätzlich soll eine internationale Einrichtung geschaffen werden, die künftige Entschädigungen möglich macht. Diese soll sowohl über eine Kommission verfügen, bei der Kompensationswünsche angemeldet werden können, als auch über einen Entschädigungsfonds. Das genaue Format muss aber noch festgelegt werden. Offen ist etwa, woraus sich dieser Entschädigungsfonds speist. Theoretisch ist denkbar, dass dafür beschlagnahmte russische Vermögenswerte im Ausland herangezogen werden - entsprechende Forderungen werden ebenfalls seit Beginn des Kriegs erhoben. Die Frage ist, ob das rechtsstaatlich korrekt umsetzbar ist.
Quelle: ntv.de, mit rts