Der schwierige Weg zum Übertürken Was kann und darf Erdogan jetzt?
11.08.2014, 12:36 Uhr
Mehr als 50 Prozent der Türken haben bei der Präsidentschaftswahl für Erdogan gestimmt.
(Foto: AP)
Ein großer Teil der türkischen Bevölkerung wählt Recep Tayyip Erdogan zum Präsidenten. Und der 60-Jährige verspricht, mehr als ein Zeremonienmeister zu sein. Doch das wird gar nicht so leicht.
Er wird ein neuer Sultan oder ein zweiter Atatürk, ein Vater der Nation oder ein Diktator - es kursieren viele und vor allem große Prophezeiungen für Recep Tayyip Erdogans Präsidentschaft. Vielleicht zu Recht. Erdogan zumindest lässt kaum Zweifel daran, dass er sich als neue Nummer eins im türkischen Staate kaum mit den Befugnissen zufriedengeben wird, die das Amt ihm derzeit bieten. Seine Macht zu erweitern, dürfte ihm allerdings nicht leichtfallen.
In der türkischen Verfassung sind die Kompetenzen des Staatspräsidenten klar geregelt: Ihm steht keine Exekutivmacht zu. Was er tun kann, hängt von den Mehrheiten im Parlament ab. So ist er Oberbefehlshaber der Streitkräfte, kann aber nur mit Parlamentsbeschluss handeln. Er kann mit seiner Unterschrift zwar Gesetze in Kraft treten lassen oder sie verhindern, neue Gesetze erschaffen kann er aber nicht.
Abdullah Gül, der bisherige Staatspräsident, nutzte viele seiner Kompetenzen nicht aus. Er nickte die Gesetzesvorhaben der Regierung durch und beschränkte sich aufs Repräsentieren. Erdogan dürfte hier anders vorgehen. Doch will er wirklich die Geschicke des Landes steuern, muss er sich etwas einfallen lassen.
Erdogan wirbt schon seit Jahren dafür, die Türkei von einer parlamentarischen Demokratie in ein Präsidialsystem zu verwandeln. Kritiker glauben, damit er nach dem Zwangswechsel in das Präsidentenamt keine Macht verliert. Die Statuten seiner AK-Partei erlauben nur eine begrenzte Zeit als Ministerpräsident. Um ein Präsidialsytem zu schaffen, benötigt Erdogan aber mindestens eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Seine AKP verfehlte diese bei den letzten Parlamentswahlen 2011 allerdings deutlich. Und nach Gezi-Protesten und Korruptionsskandal, dem Grubenunglück von Soma und Angriffen auf die beliebte Gülen-Bewegung ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese Mehrheit bei den Parlamentswahlen 2015 erringen kann, nicht unbedingt größer geworden.
Zwar sind Verfassungsänderungen prinzipiell auch ohne Zwei-Drittel-Mehrheit möglich, allerdings nur, wenn es eine Volksbefragung dazu gibt. 2010 konnte Erdogan so mehrere Änderungen an der Verfassung durchsetzen. Unter vielen Türkeiexperten und Juristen gilt eine Abkehr vom System der parlamentarischen Demokratie aber als derart großer Eingriff, dass diese Sonderregel nicht greift.
Überraschend versöhnliche Töne
Erdogan wird also darauf angewiesen sein, Verbündete für sein Vorhaben zu suchen, zum Beispiel bei den Vertretern der Kurden im Parlament. Seine erste Rede nach der Wahl wirkte denn auch gleich viel versöhnender als frühere Ansprachen. Ob er die Opposition von seinem Kurs überzeugen kann, bleibt nach all den Anfeindungen der vergangenen Monate aber ungewiss.
Und selbst wenn Erdogan eine Mehrheit im Parlament zusammenbekommen sollte, bleiben rechtliche Fragen. Die Verfassung in der Türkei stammt noch von der Militärregierung aus dem Jahr 1982. Seit Jahren gibt es berechtigte Bestrebungen, sie durch eine liberalere, bürgerrechtsfreundlichere Grundordnung zu ersetzen. Juristen sind sich aber nicht sicher, unter welchen Bedingungen das möglich ist. In der Verfassung gibt es ähnlich dem deutschen Grundgesetz Ewigkeitsklauseln. Änderungen, die den Status der Türkei als laizistische Republik mit dem Parlament als entscheidender demokratischen Institution antasten, sind demnach verboten. Ungeklärt ist unter anderem, ob ein Präsidialsystem noch mit der Verfassung vereinbar wäre. Direkt kann Erdogan hier keinen Einfluss nehmen. Verfassungsrichter müssten über solche Änderungen entscheiden - und die kann Erdogan als Präsident künftig selbst ernennen.
"Es gibt viele Hürden, die Erdogan überwinden muss, wenn er der Türkei ein präsidiales System überstülpen will", sagt Cemal Karakas von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung gegenüber n-tv.de. Laut dem Türkeikenner macht es dabei keinen Unterschied, dass der türkische Präsident dieses Mal erstmals direkt von den Bürgern gewählt wurde.
Bestenfalls ein schlechter Diktator
Ist es Erdogan am Ende also gar nicht möglich, sich zu so etwas wie einem Sultan zu erheben? Weil ihm Opposition und Justiz im Wege stehen? Die türkische Geschichte zeigt, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, die Verfassung zu umgehen. Als Turgut Özal wie Erdogan vom Posten des Ministerpräsidenten in Präsidentenamt wechselte, installierte er Yildirim Akbulut als Regierungschef. Özal nahm über ihn weiterhin großen Einfluss auf die Exekutive. Diese Möglichkeit steht auch Erdogan zu. Denn als Präsident ernennt er den künftigen Ministerpräsidenten. Besonders sultanhaft wirkte ein derartiges Vorgehen aber auch schon bei Özal nicht.
Der bekannte türkische Journalist Ertugrul Özkök schrieb kürzlich in einem Gastbeitrag für die "Bild"-Zeitung: "Erdogan müsste die Institutionen dieser Demokratie sehr stark herausfordern, um wie ein Sultan regieren zu können." Wie ein Sultan wahrgenommen würde er aber auch dann nicht. Die säkularen und westlich orientierten Menschen, die Alawiten und die Kurden würden ihn nie akzeptieren. "Aus Erdogan kann kein Sultan werden, höchstens ein schlechter Diktator."
Quelle: ntv.de