US-Reaktion zu Chemiewaffen in Syrien Was kommt hinter Obamas "roter Linie"?
07.05.2013, 12:14 Uhr
Obama, hier im August 2012, kann sich weiterhin keinen Einsatz von US-Bodentruppen in Syrien vorstellen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Seit dem vergangenen Sommer war es die offizielle Haltung Washingtons zum syrischen Bürgerkrieg: Der Einsatz chemischer Waffen würde "enorme Konsequenzen" nach sich ziehen. Diese von US-Präsident Obama einst selbst gezogene "rote Linie" wurde jetzt möglicherweise überschritten. Doch die Weltmacht scheut sich, ihre Konsequenzen näher zu erläutern - und fordert zunächst eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe.

"Hineingehen und die Waffen sichern", fordert der Republikaner John McCain.
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Es war der 20. August im vergangenen Jahr, als sich US-Präsident Barack Obama in eine außenpolitische Zwickmühle manövrierte. Unmissverständlich drohte er damals dem Regime von Machthaber Baschar al-Assad "enorme Konsequenzen" an, sollte es mit Chemiewaffen gegen die Aufständischen vorgehen. "Das würde meine Kalkulationen erheblich ändern", ließ Obama die Welt wissen - es war das erste Mal, dass er in dem Konflikt öffentlich seine "rote Linie" zog. Ein US-Militäreinsatz wie eineinhalb Jahre zuvor in Libyen schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Heute, fast neun Monate später, hat sich die harte Rhetorik aus Washington kaum verändert. Die Glaubwürdigkeit der Drohungen hingegen hat stark gelitten. Obwohl die US-Regierung von Beweisen für einen Gifteinsatz in Syrien spricht, der "sehr wahrscheinlich" von Assad ausging, wie Obamas Sprecher Jay Carney unterstrich, schreckt das Weiße Haus vor Konsequenzen zurück.
Carney fügte hinzu, dass der Präsident zu keinem Zeitpunkt konkrete Reaktionen für den Fall eines Überschreitens der "roten Linie" angekündigt habe. "Er hat nie gesagt, dass wenn X passiert, Y notwendigerweise folgen wird", ergänzte der Sprecher. Vergangene Woche hatte Obama erklärt, dass ihm kein Szenario vorschwebe, in welchem US-Bodentruppen nach Syrien geschickt werden. Die Optionen würden eher aus Waffenlieferungen an die Rebellen sowie verstärkten Bemühungen zur Durchsetzung der UN-Sanktionen gegen Assads Regierung bestehen.
Drei Viertel der Amerikaner nicht für Syrien-Einsatz

Israel hat inzwischen militärisch in Syrien eingegriffen - und dabei unter anderem eine Forschungsanlage nahe Damaskus bombardiert.
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Dafür müssten jedoch erst handfeste Belege her. Offizielle Begründung: Man wolle keine alten Fehler wiederholen - wie etwa im Irak, als Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund dienten, die es am Ende überhaupt nicht gab.Wie die handfesten Beweise in Syrien beschaffen sein sollen, lassen die US-Verantwortlichen aber vorsätzlich offen. Erkenntnisse aus Israel, Frankreich oder Großbritannien reichen ihnen nicht aus. Berichte über Patienten in syrischen Krankenhäusern, die Ende April nach einem Bombenangriff erbrechen und würgen, könnten auch von der Opposition erdacht sein. Nebenwirkungen von Giftgas ließen sich ja im Internet nachschlagen. Für echte Klarheit sei eine UN-Untersuchung nötig. Am besten wäre physisches Beweismaterial - vergiftete Tiere oder Urinproben von Opfern oder Erdbrocken. Die Messlatte liegt hoch.
So sehr dreht und windet sich das Weiße Haus mit butterweichen Formulierungen, dass Kritiker über eine sehr "dünne rote Linie" spotten, die der Präsident da mit einem unsichtbaren Marker gezogen habe. Sie nennen ihn entscheidungsschwach und wankelmütig, manche gar machtlos. "Aus Besonnenheit wurde Fatalismus und unsere Vorsicht wurde zur Urheberin verpasster Möglichkeiten, geschwundener Glaubwürdigkeit und einer verschlimmerten Tragödie", meint der ehemalige "New York Times"-Chefredakteur Bill Keller, der bislang als Fan von Obamas Außenpolitik auftrat.
Während Israel mit Angriffen auf Syrien nun Fakten geschaffen hat, wirkt die Haltung der US-Regierung für Kommentatoren wenig durchdacht und improvisiert. Vor allem sei sie wohl getragen von Angst. Für Obama wäre der Kriegseinsatz in dem Nahostland ein Alptraumszenario, verlautet aus dem Weißen Haus. "Es gibt riesige Kosten und unbeabsichtigte Folgen einer militärischen Intervention, die viele Jahre andauern können", sagte der stellvertretende Sicherheitsberater Ben Rhodes jüngst dem "New Yorker". Darauf haben die Bürger nach Irak und Afghanistan schlicht keinen Appetit mehr - nur ein Viertel befürwortet laut aktuellen Umfragen eine Einmischung in Syrien.
Amerikanisches Eingreifen könnte Konflikt intensivieren
Doch genügt die Volkslaune als Gradmesser? Bei mehr als 70 000 Todesopfern in dem Bürgerkriegsland und Millionen Flüchtlingen fragt sich die Weltgemeinschaft, wie die "Weltpolizei" Amerika immer noch zuschauen kann. Der republikanische Senator John McCain, ein Falke, beklagt "Gräueltaten in einem Ausmaß, wie wir sie lange, lange nicht gesehen haben". Um Schlimmeres zu verhindern, müsse das US-Militär mit internationalen Partnern "hineingehen und die Vorräte an Chemie- und möglichen Biowaffen sichern", fordert er. Aber nicht mit Bodentruppen, sondern wie in Libyen kraftvoll, effektiv - und vor allem unblutig.
Das klingt einfach, ist es aber laut Fachleuten nicht. Die Lage zu unübersichtlich, die Region sensibel. Ein militärisches Eingreifen in Syrien wäre "ein großes Desaster für die USA", warnte der frühere US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski kürzlich in einem TV-Interview. Ohnehin würde eine Flugverbotszone oder die Bewaffnung der Rebellen "den Bürgerkrieg sicherlich intensivieren", schreibt der renommierte Kolumnist Fareed Zakaria. Die Gegenwehr könne Assad so weit in die Ecke drängen, dass er am Ende tatsächlich in großem Maß Giftwaffen einsetzen könnte. Hoffnung gebe es für Syrien nur, wenn sich die Parteien untereinander einigten.
Danach sieht es nicht aus. Ganz im Gegenteil befürchten Fachleute einen sich ausbreitenden Flächenbrand im Nahen Osten - und damit dann auch eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA. Speziell die starke Verwicklung von Syriens engstem Verbündenten und Israels Erzfeind, dem Iran, setzt Obama immer mehr unter Druck. "Der Fall von Baschar al-Assad wäre der härteste Tiefschlag für den Iran seit 25 Jahren", meint McCain. Allein das müsse Grund sein, dass Obama sich nicht weiter in Passivität übe.
Quelle: ntv.de, Marco Mierke, dpa