Das Niedersachsen-Wahl-Orakel Was wird aus Rösler und Steinbrück?
18.01.2013, 15:03 Uhr
Wie geht's Montag weiter? Die Hauptfiguren der Niedersachsen-Wahl sitzen in Berlin.
Was Peer Steinbrück und Philipp Rösler verbindet? Auf den ersten Blick wenig. Und doch geht es für beide an diesem Sonntag um alles oder nichts. Der Ausgang der Landtagswahl in Niedersachsen entscheidet über ihre politischen Karrieren. Vor einer Schicksalswahl stehen derweil auch die Piraten.
An diesem Sonntag schaut ganz Deutschland nach Hannover. Als um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen auf den Bildschirmen erscheinen, liegen sich die Genossen jubelnd in den Armen. Fast 48 Prozent, absolute Mehrheit: Der Start in das Bundestagswahljahr gelingt fulminant. Eine halbe Stunde später tritt Franz Müntefering im Berliner Willy-Brandt-Haus vor die Mikrofone. Er verkündet: Der soeben wiedergewählte Gerhard Schröder soll's auch im Bund richten. Er ist der Kanzlerkandidat der SPD. Es ist der 1. März 1998.
Auch knapp 15 Jahre später wird Deutschland von einer schwarz-gelben Koalition regiert. Und wieder verspricht sich die SPD von einem starken Ergebnis in Niedersachsen Aufbruchstimmung vor dem bundesweiten Urnengang im Herbst. CDU-Ministerpräsident David McAllister und SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil liefern sich Umfragen zufolge ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Beide Lager, Schwarz-Gelb und Rot-Grün, liegen mit 45 beziehungsweise 46 Prozent fast gleichauf. 6,2 Millionen wahlberechtigte Niedersachsen entscheiden.
Doch die Landtagswahl ist viel mehr als das Duell zwischen McAllister und Weil. Ein Sieg im zweitgrößten deutschen Bundesland hätte sowohl für Kanzlerin Angela Merkel als auch für Herausforderer Peer Steinbrück Signalwirkung. Wer hier gewinnt, ist auch im Bund deutlich gestärkt. Die Sozialdemokraten wollen mit einem Sieg bei der Generalprobe für die Bundestagswahl erneut den Wechsel zu Rot-Grün einläuten. Vieles ist wie damals, und doch sind die Ausgangsbedingungen grundverschieden.
Kanzlerkandidat austauschen?
1998 trägt die Wechselstimmung die Sozis nach 16 Jahren Helmut Kohl fast mühelos ins Kanzleramt. Mit seinem Wahlsieg nimmt Schröder locker die Hürde für seine Kandidatur und ebnet damit den Weg für Rot-Grün. Der Mann, der im September 2013 SPD-Kanzler werden will, droht unterdessen schon vorzeitig zu stürzen. So kleinkariert manche Debatten zu Steinbrücks Nebenverdiensten oder seinen Äußerungen zum Kanzlergehalt auch geführt wurden: Nach der vorgezogenen Kandidatenkür fragen sich inzwischen viele: Ist Steinbrück nicht längst viel zu stark beschädigt? In den Umfragen stürzte die SPD seit seiner Nominierung von knapp 30 auf zuletzt nur noch 23 Prozent ab. Nur 18 Prozent würden Steinbrück als Kanzler direkt wählen.
Wie alarmierend die Lage ist, zeigt die Bedeutungsschwere, mit der in diesen Tagen Machtworte gesprochen werden. "Steinbrück ist Kanzlerkandidat vor und nach der Niedersachsen-Wahl", versichert Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Aber wie lange gilt diese Jobgarantie? "Steinbrück stellt einen Schwachpunkt dar, er hat zu viel falsch gemacht", sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun n-tv.de. Für viele Wähler seien seine Äußerungen nicht verständlich. Was bei einer SPD-Wahlniederlage in Niedersachsen passiert? Jun hält eine vorzeitige Ablösung Steinbrücks nicht für ausgeschlossen. Alles sei möglich, "wenn er selbst oder die Partei zu der Erkenntnis kommen, dass er eine Belastung ist". In der bundesdeutschen Geschichte wäre das eine Premiere.
"Ich stehe nicht zur Wahl"
Infratest (10.1.) | INFO (12.1.) | GMS (17.1.) | |
CDU | 40 % | 38 % | 41 % |
SPD | 33 % | 31,5 % | 33 % |
Grüne | 13 % | 14,5 % | 13 % |
FDP | 5 % | 4,5 % | 5 % |
Linke | 3 % | 6 % | 3 % |
Piraten | 3 % | 3 % | 3 % |
Quelle: | wahlrecht.de |
Auch für die FDP ist Niedersachsen eine Schicksalswahl. Die Freidemokraten, die im Bund zuletzt auf zwei Prozent abstürzten, spielen die entscheidende Rolle für den Wahlausgang. Die Formel lautet: Schaffen sie es in den Landtag in Hannover, stehen die Chancen gut, dass die schwarz-gelbe Landesregierung fortgesetzt werden kann. Wenn nicht, ist es kaum vorstellbar, dass es für die CDU alleine zum Regieren reicht. Das Schicksal der beiden Lager liegt in den Händen einer Partei, die um ihre Existenz kämpft.
Das gilt auch für FDP-Parteichef Philipp Rösler, der sogar aus Niedersachsen stammt. Als Alternative zum radikal zuspitzenden und oft grellen Guido Westerwelle übernahm der heute 39-Jährige im Mai 2011 den Parteivorsitz der FDP. Doch auch mit seiner unaufgeregten, differenzierteren Art, Politik zu betreiben, gelang es ihm nicht, die Partei aus dem Umfragekeller zu bergen. FDP-Präsidiumsmitglied Hermann-Otto Solms sagte n-tv.de, Rösler sei nicht gelungen, die Inhalte der Partei allgemeinverständlich zu übermitteln.

Brüderle oder Lindner: Wer kommt nach Rösler? Genscher sicherlich nicht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Reißt die FDP nun in Niedersachsen die Fünf-Prozent-Hürde, würde das Röslers Scheitern zementieren. Dass er dann seinen Posten räumen muss, gilt als sicher. Manch ein Parteikollege spricht gar davon, dass ihn nur ein überragendes Abschneiden von mehr als sieben Prozent retten könnte. Derzeit liegen die Liberalen in Umfragen in Niedersachsen bei fünf Prozent. "Ein solches Ergebnis wäre ein Erfolg für Rösler", sagt Jun, "aber die Diskussionen darum, mit welchen Personal und mit welchen Themen, die Partei in den Bundestagswahlkampf einzieht, wären nicht beendet".
Das schlummernde Potenzial der Piraten
Wegweisende Bedeutung hat der Wahlsonntag auch für die Linken. Nach Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein droht die dritte Niederlage in Folge. Verpasst die Partei erneut den Wiedereinzug, ist die Westausdehnung der Partei vorerst gescheitert. Nichtsdestotrotz schielt die Parteispitze aus Berlin unaufgeregter nach Niedersachsen als manch andere Partei. Im Bund steht die Linke derzeit gut da. Nach der Krise im Sommer hat sie sich wieder etabliert. "Die Linkspartei hat ein ausreichendes Stammwählerpotenzial in den ostdeutschen Bundesländern. Das bringt sie im Bund schon über fünf Prozent", sagt Jun.
Prekärer ist die Situation der Piraten. Gelingt am 20. Januar nicht der Einzug in das niedersächsische Parlament, sinken auch ihre Chancen für den Bundestag drastisch. In den inhaltlichen Debatten war die Partei in den vergangenen Monaten kaum präsent. Stattdessen rieben sich die Freibeuter in Selbstbeschäftigung auf. Es folgte der Absturz. Nur noch drei bis vier Prozent können sich vorstellen, die Piraten zu wählen. "Im Moment haben sie das Problem, dass sie zu wenig Außenwirkung erzielen. Das schreckt ab", sagt Jun. Unter den Spätentscheidern und Unentschlossenen gebe es jedoch viele potenzielle Wähler der Piraten. "Die müssen nur erst wieder erkennen, dass es sinnvoll ist, der Partei ihre Stimme zu geben."
Die Option in Grün und Schwarz
Kaum Beachtung im niedersächsischen Landtagswahlkampf finden die Grünen. Ein Ergebnis von über zehn Prozent gilt als sicher. Scheitert der Regierungswechsel, fiele dies wohl vor allem auf die SPD zurück. Im Bund wäre die Stellung als drittstärkste Kraft zwar nicht in Gefahr. Allerdings droht die Rückkehr einer alten und leidigen Frage: Soll sich die Partei zur Union hin öffnen?
Das Verhältnis zwischen der CSU und Grünen gilt als schwierig. Bei den Wählern beider Parteien ist diese Koalition unpopulär. In Niedersachsen ist Schwarz-Grün keine Option. McAllister und die grüne Spitzenkandidatin Anja Piel haben dies kategorisch ausgeschlossen. Aber mangels Alternativen könnten die Grünen im Herbst 2013 keine andere Wahl haben. Jun: "Bisher gab es im Bund immer nur Koalitionen, die zuvor schon auf Länderebene erfolgreich ausprobiert wurden. Trotzdem ist Schwarz-Grün nicht völlig auszuschließen."
Niedersachsen, dieser Kompass im Wahljahr, ist 2013 anders als 1998. Nur drei Parteien schafften damals den Einzug in den niedersächsischen Landtag. Piraten gab es nicht, die PDS war noch eine ostdeutsche Regionalpartei. Und die FDP? Am Wahlabend drängelten sich die Freidemokraten in ihrer Landeszentrale in Hannover. Doch während andere feierten, schrammten sie in den ersten Hochrechnungen hauchdünn an der Fünf-Prozent-Hürde vorbei. Alles Hoffen und Bangen war vergebens. Am Ende erreichten die Liberalen 4,9 Prozent und kamen nicht in den Landtag. Ein halbes Jahr später wurden sie im Bund abgewählt.
Quelle: ntv.de