V-Mann im Umfeld des NSU Was wusste "Primus" wirklich?
17.04.2013, 10:18 Uhr
Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre, nahm das BfV den "Thüringer Heimatschutz" in den Blick. Mit dabei wahrscheinlich auch V-Mann "Primus".
(Foto: picture alliance / dpa)
Als die NSU-Terrozelle im November 2011 auffliegt, ist das Entsetzen groß. Eineinhalb Jahre später ist klar, dass der Verfassungsschutz zahlreiche Spitzel rund um Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos platziert hatte. Doch keiner von ihnen lieferte Ansätze zu ihrer Ergreifung. Warum das so war, wird am Beispiel des V-Mannes "Primus" deutlich.
Noch immer finden die Enthüllungen im Zusammenhang mit den NSU-Terroristen kein Ende. Kurz vor Ostern tauchten Berichte auf, wonach ein früherer V-Mann, der unter dem Decknamen "Primus" beim Bundesamt für Verfassungsschutz geführt wurde, möglicherweise Fahrzeuge für Straftaten des NSU angemietet haben könnte.
Der frühere Verfassungsschützer Michael Faber hatte bei n-tv.de schon im Juli 2012 auf diese sogenannte "Zwickauer Quelle" hingewiesen, hinter der sich der langjährige Rechtsextremist Ralf M. oder eben V-Mann "Primus" verbirgt. Faber hatte damals massive Kritik an der "problembehafteten Führung in einem sensiblen Bereich" wie "Primus" geübt.
Ermittler fanden dem "Spiegel" zufolge in Unterlagen einer Zwickauer Autovermietung Verträge für Fahrzeuganmietungen des inzwischen zum Fuhrunternehmer aufgestiegenen V-Mannes "Primus", die sich zeitlich mit zwei Morden des NSU im Juli und August 2001 in Nürnberg und München überschneiden. Bei beiden Taten fehlten bisher Hinweise zu Fluchtwagen; die NSU-Killer waren zumeist mit angemieteten Fahrzeugen zu ihren Tatorten gefahren. "Primus" stritt im Februar 2013 bei seiner Einvernahme durch das BKA ab, diese Fahrzeuge "dritten Personen" überlassen zu haben. Seine Antwort: " Nein, meines Wissen nicht".
Viele V-Leute, wenig Informationen

M. und das NSU-Trio müssen sich schon aus gemeinsamen Zwickauer Zeiten kennen.
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Die Geschichte von Ralf M. macht deutlich, wie problematisch das Werkzeug des V-Manns für die Geheimdienste ist. Denn obwohl die Liste der V-Leute immer länger wird, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und verschiedene Landesämter rund um das untergetauchte NSU-Trio platziert hatte, geben die Archive aller Behörden kaum nennenswerte Informationen dazu her. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass es in all den Jahren nicht gelang, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu fassen.
Ende der 90er Jahre, als "Primus" laut BfV noch im Sold des Bundesamtes stand, eröffnete der aus dem rechtsextremen "Blood and Honour"-Umfeld stammende Ralf M. in Zwickau den Szeneladen "The Last Resort Shop". Faber kannte M. noch aus anderen Zeiten. "Zuerst hatte er gar nichts, der war Gelegenheitsarbeiter. Dann hat er in kürzester Zeit ein Geschäft aufgemacht, am Schluss war er Fuhrunternehmer", erzählt er im Gespräch mit n-tv.de. "Der muss gut verdient haben beim Bund."
Sein gut dotierter Nebenjob bei der Bundesbehörde hinderte M. jedoch nicht daran, seine rechte Gesinnung weiter zu pflegen. Im Oktober 2000 hatte er neben dem im NSU-Verfahren beschuldigten "möglichen Waffenbeschaffer" Jan W. Anteil an der Produktion und am Vertrieb der verbotenen CD "Ran an den Feind" der Band "Landser". Er musste sich deshalb im November 2004 vor dem Dresdener Landgericht wegen rechtsextremer Propaganda verantworten. Pikant dabei: Der von "Primus" gepflegte enge Kontakt zum sächsischen "Blood-and-Honour"-Mitglied Andre E., der ebenfalls zu den fünf Beschuldigten im anstehenden NSU-Verfahren gehört.
Andre E. soll den NSU-Mördern geholfen haben, Fahrzeuge für ihre Touren durch Deutschland zu beschaffen. "Primus" könnte ihm möglicherweise zwei seiner angemieteten Firmenfahrzeuge überlassen haben.
Taktisches Dementi

Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos tauchten 1999 unter und waren angeblich nicht zu finden.
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"Primus" streitet jedoch vehement ab, das seit 1999 in seiner Umgebung untergetauchte Trio gekannt zu haben. Faber glaubt seinem früheren Informanten nicht. "'Primus' kennt alle anderen Leute, Andre E., Jan W., und ausgerechnet Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos will er nie über den Weg gelaufen sein? Das kann kaum sein."
Allerdings ist die Strategie des Ex-V-Mannes für Faber nachvollziehbar. "Primus" könne nicht riskieren, durch dieses Eingeständnis den Verdacht zu erhärten, er habe tatsächlich für die beiden Killer die Mordfahrten nach Bayern organisiert und nebenbei das Bundesamt hinters Licht geführt, so Faber. Auffällig ist auch, dass das BfV die Zusammenarbeit mit "Primus" erst 2012 zugegeben hat. Die Gründe dafür könnten ähnlich naheliegend sein.
Die Straftat "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung", die für "Primus" in Frage kommt, verjährt spätestens nach zehn Jahren. Die vorgeworfene Überlassung der Fahrzeuge war 2000/2001. Um auch die Aktenvernichtung 2010 zu rechtfertigen, setzt man die Abschaltung von "Primus" auf 2002 fest und verschweigt zunächst seine Mitarbeit. Ob dies lediglich vorgeschoben ist oder nicht - für Faber ist es jedenfalls fast zu "perfekt" dargelegt. Die Offenbarung von "Primus" sei sicher nicht ohne Zustimmung und "Entschädigung" für den Vertrauensbruch erfolgt. "Die haben ihn deshalb in der Schweiz erst kontaktieren müssen."
Die Tätigkeit vom V-Mann "Primus" fällt trotzdem genau in die Jahre, in denen das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Operation "Rennsteig" mehr über das Neonazi-Bündnis "Thüringer Heimatschutz" in Erfahrung bringen wollte. In der als besonders radikal eingeschätzten "Kameradschaft Jena", die zum "Thüringer Heimatschutz" gehörte, waren auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt.
Warum kam von "Primus" nichts?
Doch "Primus" wird für Faber unverständlicherweise nicht genutzt, die Untergetauchten zu finden. "Dafür sind V-Leute ja da. Die sind ja nur ein verlängerter Arm des Amtes." Und dies besonders, weil es längst Hinweise auf einen möglichen Aufenthalt der drei in Sachsen gab. "Primus", inzwischen eine Lokalgröße in exponierter Stellung, hätte nach Fabers Ansicht mit Sicherheit die Möglichkeit gehabt, das Trio aufzuspüren. Aber das dürfte gar nicht nötig gewesen sein. Denn Fabers Überzeugung nach gab es nicht nur örtliche Berührungspunkte zwischen "Primus" und dem Trio.
Ralf M. stand dem NSU sicher ideologisch nahe. Darüber hinaus verbindet nicht nur das Outfit "Primus" mit den zwei verstorbenen NSU-Killern, sondern auch die Fußballbegeisterung, wie Fotos belegen. Faber hält M. für eine zentrale Figur der Szene in Westsachsen, mit Kontakten nach Chemnitz, wo Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos nach dem Auffliegen ihrer Bombenwerkstatt zuerst untertauchten. Bis M. beinahe fluchtartig von heute auf morgen in die Schweiz verschwindet.
Bisher bleiben die Ermittler auch nach der Befragung M.s bei ihrer Einschätzung, er sei kein Mittäter oder Unterstützer des NSU. Es gibt viele Indizien und Umstände, die auf enge Verbindungen hindeuten, aber eben keine Beweise. Ob er nur ein schlechter V-Mann oder ein besonders cleverer Verfassungsschutzspitzel war, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Noch immer ist die Liste der Fragen länger als die der Antworten. Lag es an der Führung an der langen Leine aus dem weitentfernten Köln? Hat sich das BfV entgegen der jetzigen Zusicherung gar nicht an der "Suche" nach dem Trio beteiligt? Oder hat "Primus" Fabers ehemalige Kollegen gelinkt?
Auch die Mitglieder des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses haben noch etliche Fragen. Bei den Beratungen im Mai sollen deshalb der V-Mann-Führer von "Primus" und der BfV-Auswerter befragt werden, an den die Informationen des V-Manns gingen.
Laut Faber soll eine der vertraulichen Sachakten im Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere den Namen von Ralf M. tragen und 329 Blätter dick sein, 116 Blatt davon sollen sich mit seinen Finanzen befassen.
Quelle: ntv.de