Politik

Gauck in Polen, dem "Land der Freiheit" "Weit weg von den alten Lasten"

Die Zeitung "Polska" schreibt, kein Bundespräsident habe "die polnische Seele so gut verstanden" wie Gauck. Das neue Staatsoberhaupt selbst freut sich, dass er bei seinem Besuch in Polen "einer Offenheit und Herzlichkeit begegne, die ich nie für selbstverständlich halten würde".

33uz1219.jpg2840363034126496198.jpg

(Foto: dpa)

Für einen kurzen Moment brachte Polens Präsident seinen sonst so wortgewaltigen Gast aus der Fassung. "Das hat mich total überrascht", brach es schließlich aus Joachim Gauck heraus. Soeben hatte ihm Bronislaw Komorowski ein Geschenk überreicht, ein Wahlplakat der freien Gewerkschaft Solidarnosc aus dem Jahr 1989. Ein Volltreffer: "Dieses Plakat ist bei mir Zuhause in meiner Wohnung", rief Gauck. Er habe es von einem früheren Besuch mitgenommen, weil er den Freiheitskampf von Solidarnosc so bewundere. Das zweite Exemplar soll nun eine Wand in seinem Berliner Amtssitz zieren.

Mit einer spontanen Umarmung bedankte sich Gauck für das Geschenk. Mitarbeiter applaudierten als sich die beiden Präsidenten im Säulensaal des Warschauer Präsidentenpalastes öffentlich in die Arme nahmen. Die Geste illustrierte die außergewöhnliche Herzlichkeit die Gaucks erste Auslandsreise nach seiner Wahl begleitete. "Wir waren so weit weg von den alten Lasten, die unsere Völker getrennt haben und so dicht an den Werten, die uns verbinden", resümierte er.

"Das Land der Freiheit"

Bei früheren Besuchen östlich der Oder hatte sich Gauck als Pilger bezeichnet, der dem Freiheitsstreben der Polen Referenz erweise. Diesmal kam er als Präsident. Seine Bewunderung für das Gastland ist unverändert, mit seinem Lebensthema Freiheit fühlt er sich dort fast besser verstanden als Daheim in Deutschland. Die Entscheidung für den Polen-Besuch habe er "aus dem Herzen" getroffen, sagte Gauck. Für ihn sei Polen "das europäische Land der Freiheit".

Die politischen Beziehungen beider Staaten seien inzwischen wieder bestens - da waren sich Gauck und Komorowski einig. Die Beziehung zwischen den Menschen in beiden Ländern freilich sei ausbaufähig. Die beiden Präsidenten vereinbarten mitzuhelfen, vor allem junge Deutsche und Polen einander nähere zu bringen - "vielleicht auf einem großen Rockfestival", sagte Gauck. Ein Bundespräsident als Rock-Impresario, das ist ein neuer Ansatz.

"Freiheit das Fundament für Europa"

Auch für Gauck selbst ist einiges neu auf dieser Reise. Bislang war er nur als einfacher Bürger in Polen, nun wachen Bodyguards und Berater über ihn. Als ihn eine polnische Journalistin zur deutschen Europapolitik befragt, wiegelt er ab. "Der deutsche Bundespräsident ist nicht der Regierungschef", sagt Gauck. "Die wesentlichen Entscheidungen sind Sache der deutschen Bundesregierung."

Komorowsi und seine Frau Anna empfangen Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt vor dem

Komorowsi und seine Frau Anna empfangen Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt vor dem

(Foto: AP)

Dennoch lobte Gauck ausdrücklich den Einsatz Polens für die Stabilität der Europäischen Union, auch wenn das Land noch nicht Mitglied der Euro-Zone sei. Als Antwort auf die Krise sei mehr Europa und nicht weniger erforderlich. "Freiheit ist das Fundament nicht nur für die deutsch-polnischen Beziehungen, sondern auch für die Zusammenarbeit in einem sich integrierenden Europa", sagte Gauck bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Komorowski weiter.

Eine Herzlichkeit, die nicht selbstverständlich ist

Von seinen Landsleuten forderte Gauck mehr Aufmerksamkeit für Polen. "Seit meiner Lebenszeit gucken die Deutschen nach Westen" sagte er. Er wünsche sich eine "Blickerweiterung" nach Osten hin: "Wir haben viel zu lernen von unseren polnischen Nachbarn", deren Freiheitsstreben er so bewundere. Gauck versteht sich als Demokratielehrer der Deutschen - und Polen ist das Lehrbuch, aus dem er mit pädagogischer Leidenschaft zitiert. Kein Bundespräsident habe "die polnische Seele so gut verstanden" wie Gauck, schrieb die Zeitung "Polska".

Gauck erinnerte an die "Brutalität der Deutschen" in Polen während des Zweiten Weltkriegs. Umso mehr freue er sich, "dass ich hier einer Offenheit und Herzlichkeit begegne, die ich nie für selbstverständlich halten würde". Für diese Herzlichkeit war auch Polens populärer Präsident Komorowski verantwortlich, der sich tatkräftig für eine Annäherung an Berlin einsetzt. Am Montagabend hatte er Gauck und dessen Lebensgefährtin Daniela Schadt zu einem privaten Treffen in seine Residenz geladen.

Drei Stunden bei Komorowski

Bei Entenbrust und Zanderfilet wurde drei Stunden lang diskutiert, ein Pianist spielte Stücke des Polen Frédérik Chopin und des Deutschen Robert Schumann. Die Atmosphäre sei "außergewöhnlich herzlich" gewesen, berichteten Teilnehmer. Auch dieses Treffen habe mit einer Umarmung geendet.

Nach der Begegnung mit Komorowski traf Gauck zu einem kurzen Meinungsaustausch mit Regierungschef Donald Tusk zusammen. Nach Angaben der Warschauer Regierungskanzlei standen im Mittelpunkt des Gesprächs vor allem die Zusammenarbeit der beiden Staaten in der EU sowie im Bereich der Sicherheit. Für Polen sei es ein "sehr wichtiges Signal", dass Gauck Warschau zum Ziel seiner ersten Auslandsreise gemacht habe. Gauck sagte dazu, die Entscheidung, als erstes Land Polen zu besuchen, sei kein Kalkül etwa wegen des französischen Wahlkampfs gewesen, sondern eine Entscheidung von Herzen. "Ein Liebhaber der Freiheit wird sich immer dort wohlfühlen, wo die Freiheit beheimatet ist."

Auf dem Weg zu seinem Treffen mit Tusk konnte Gauck feststellen, dass auch einstige Bürgerrechtler nicht unbedingt immer auf Gegenliebe der heutigen "Solidarnosc" stoßen: Vor der Regierungskanzlei demonstrierten Gewerkschafter gegen die in Polen geplante Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre - eine Frage, die auch die liberal-konservative Regierungskoalition spaltet.

Quelle: ntv.de, AFP/dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen