Politik

100 Tage Mini-Opposition Wenige Chancen, keine genutzt

Oppositionsführer Gregor Gysi ist damit beschäftigt, seine Partei zusammenzuhalten.

Oppositionsführer Gregor Gysi ist damit beschäftigt, seine Partei zusammenzuhalten.

(Foto: picture alliance / dpa)

Linke und Grüne wollen die Regierung kontrollieren, haben aber gleichzeitig viel anderes im Sinn: Die einen wollen regierungsfähig werden, die anderen suchen nach einem neuen Profil. Darum gehen sie weniger auf die Koalition und mehr aufeinander los. Nur bei einem Thema sind sie sich absolut einig.

Als Gregor Gysi erfuhr, dass Deutschland für die nächsten Jahre von einer Großen Koalition regiert werden wird, war er nicht überrascht. Zu weit ist seine Linkspartei von der SPD entfernt, als dass sich die Sozialdemokraten eine verlässliche Zusammenarbeit vorstellen könnten. Gysi versteht das zwar nicht, aber er ist angetreten, es zu ändern. Er ist der oberste Pragmatiker seiner Fraktion, und würde die Linke gerne in eine Regierung führen. Dazu muss er die radikalen Positionen in seiner Partei schwächen. Dass CDU/CSU und SPD ihn vor 100 Tagen zum Oppositionsführer machten, passt Gysi gut: Die Rolle bedeute eine größere Verantwortung, sagt er seitdem. "Wir müssen jetzt immer Alternativen anbieten, die auch nachvollziehbar sind." Soll heißen: Die Pöbeleien aus der linkesten Ecke bringen die Partei nicht weiter. Jetzt ist durchsetzbare Politik gefragt. Unterm Strich bedeutet das eine Annäherung an SPD und Grüne.

Besonders weit ist Gysi mit seinem Plan nach 100 Tagen nicht gekommen – was nicht am Verhältnis zur SPD sondern an dem zu den Grünen liegt. Obwohl die Parteien in vielen Punkten nah beieinander liegen, ist die Stimmung am Boden. Zuletzt beharkten sich beide auf erschreckend niedrigem Niveau.

Linkspartei: Radikale übertönen Pragmatiker

Die Grünen Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt suchen noch nach einem Profil für ihre Fraktion.

Die Grünen Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt suchen noch nach einem Profil für ihre Fraktion.

(Foto: picture alliance / dpa)

Vielleicht liegt es daran, dass die Linke innenpolitisch an der Regierung gar nicht so viel auszusetzen hat. Die drei großen bisherigen SPD-Projekte kann sie kaum kritisieren: Erstmals soll es einen flächendeckenden Mindestlohn geben, die Rente steigt für langjährig Beschäftigte und Mütter, und die Energiewende wird so gestaltet, dass die Strompreise nicht zu sehr steigen. Das ist der Linken alles zu halbherzig, aber von der Grundrichtung her genehm.

Gysi konnte sich der Außenpolitik widmen, die einem Bündnis mit der SPD am meisten im Weg steht. Zuerst installierte er einen Vertrauten als Obmann im Auswärtigen Ausschuss, dann verhinderte er allzu EU-kritische Töne im Programm für die Europawahl. Auf dem Parteitag in Hamburg protestierten die radikalen Linken lautstark, mussten sich den Pragmatikern aber geschlagen geben. Gysi wusste die Mehrheit der Partei hinter sich.

In der Krim-Krise hilft ihm das wenig. Zwar hält er im Bundestag selbst die Reden zum Thema, aber auch der linke Flügel um Sahra Wagenknecht schafft es mit seinen radikaleren Positionen regelmäßig in die Medien. Gysis Stellvertreterin gibt eigene Pressemitteilungen heraus und veranstaltet eigene Hintergrundrunden mit Journalisten. Neulich ließ sie dabei durchblicken, dass sie nicht nur Verständnis für die Annektierung der Krim hat, sondern diese sogar völkerrechtlich akzeptieren würde.

Grüne: Suche nach neuem Profil

Noch schärfere Töne kommen von ihren Genossen, und die richten sich gar nicht so sehr gegen die SPD, sondern vor allem gegen die Grünen. Linken-Abgeordnete bezeichnen die "verwelkten" Grünen als den "rechten Rand" des Bundestags, weil sie sich zu weich über die faschistische Swoboda-Partei äußern, die an der ukrainischen Übergangsregierung beteiligt ist. Grüne Spitzenpolitiker revanchieren sich mit einem Bild, das sie bei Twitter verbreiten: Darauf sind vermummte Kämpfer mit Kalaschnikow zu sehen, mutmaßlich als Krim-Bürgerwehr getarnte russische Soldaten. Davor steht Sahra Wagenknecht. Der Text dazu: "Jetzt neu: Linkspartei erstmals für Auslandseinsätze!" Das Niveau ist am Boden, die Stimmung zwischen den Oppositionsparteien auch.

Die Grünen treibt die Verzweiflung. Seit dem Scheitern bei der Bundestagwahl suchen sie nach einem Thema, mit dem sie die Wähler erreichen können. Ihre Vorstellungen von einer Steuerreform wurden vor der Wahl kaum beachtet, jetzt sollen wieder Klima und Umwelt im Vordergrund stehen. Allerdings wird die Energiewende gerade von Sigmar Gabriel besetzt. Im Januar beschlossen die Grünen, künftig auch für "Liberalismus und Bürgerrechte" stehen zu wollen. Ein neues Profil haben sie aber noch lange nicht gefunden.

Welche Rechte bekommt die Mini-Opposition?

Das liegt auch am Personal. Die Wahlniederlage kostete die Parteivorsitzenden und beiden Fraktionsspitzen die Ämter. Die Nachfolger Simone Peter, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter wirken blass. Offensichtlich sind Partei und Fraktion noch nicht gut genug aufgestellt, um der übergroßen Koalition etwas entgegensetzen zu können.

Gemeinsame Sache machen Linke und Grüne, wenn es um ihre Rechte im Bundestag geht. Denn die geringe Größe der Opposition bringt Probleme mit sich: Um Untersuchungsausschüsse einzusetzen oder Sondersitzungen des Bundestags einzuberufen, braucht es bislang 25 Prozent der Stimmen. Linke und Grüne haben zusammen aber nur gut 20 Prozent. Seit die Koalition steht, verhandeln die Fraktionen darüber, welche Rechte Union und SPD ihren Konkurrenten zugestehen. Zuletzt gab es aus der Union das Signal, man werde sich wohl nicht einig werden. Linke und Grüne protestierten: Man sei doch gerade mitten in Verhandlungen. Da klangen sie dann doch wieder sehr harmonisch.

Quelle: ntv.de

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