Ist es die Radioaktivität in Gorleben? Weniger Mädchen geboren
27.04.2012, 16:24 UhrEs ist ein Effekt, den Kritiker der Kernenergie schon länger beschreiben. Radioaktive Strahlung führt dazu, dass weniger Mädchen geboren werden, sagen sie. Ein Mathematiker weist dies nun statistisch nach. Ausgerechnet rund um das Atomzwischenlager Gorleben sind die Zahlen auffällig verschoben.

Nicht nur der große GAU richtet Schaden auch, auch niedrige Strahlung hat offenbar Wirkungen auf den Menschen.
(Foto: dpa)
In der Region rund um das Atommüll-Zwischenlager im niedersächsischen Gorleben haben Wissenschaftler statistische Belege für einen Geburtenschwund bei Mädchen gefunden. So seien seit der Einlagerung der ersten Castor-Behälter mit hochradioaktiven Abfällen im Jahr 1995 fast 1000 Mädchen weniger zur Welt gekommen als in vergleichbaren Zeiträumen vorher, sagte Hagen Scherb, Mathematiker am Helmholtz-Zentrum München, in Berlin.
"Dieser Effekt in der Geburtenstatistik ist knallhart", sagte Scherb. "Das kann kein Zufall sein, obwohl man den Mechanismus nicht kennt." Doch welchen anderen Grund könnte es geben, wenn die ersten Castoren 1995 anrollen - und die auffällige Mädchenlücke 40 Kilometer rund um Gorleben 1996 beginnt? Bis 2010 fehlten bereits 1000 Mädchen in der Statistik, betont Scherb.
Empfindliches X-Chromosom
Eine solche "Geschlechterlücke" lasse sich auch an anderen Atomstandorten nachweisen - allerdings nicht so deutlich wie 40 Kilometer rund um Gorleben. Der Berliner Charité-Humangenetiker Karl Sperling vermutet, dass radioaktive Strahlung - auch unterhalb der Grenzwerte - das väterliche X-Chromosom schädigen kann. Weibliche Embryonen, die durch dieses Chromosom entstehen, könnten deshalb vermehrt absterben. Das Y-Chromosom des Vaters sei kleiner und nicht so komplex, berichtete Sperling. Vermutlich funktioniere die Zeugung deshalb fehlerfreier - aber es entstünden eben nur Jungen.
Die Deutsche Umwelthilfe fordert von der Bundesregierung eine umfassende wissenschaftliche Aufklärung dieser statistischen Auffälligkeiten.
Auch das niedersächsische Landesgesundheitsamt kam im September 2011 zu dem Ergebnis, dass sich seit der ersten Einlagerung von Castoren in Gorleben im Umland das Geschlechterverhältnis verändert hat. Vor der Einlagerung wurden auf 100 Mädchen rund 101 Jungen geboren - danach auf 100 Mädchen 109 Jungen. Der statistische Mittelwert liegt bundesweit bei 100 Mädchen auf 105 Jungen. Der Bericht betonte jedoch, damit sei noch kein Beweis auf eine erfolgte Strahlenbelastung im Niedrig-Dosisbereich durch das Lager Gorleben gegeben.
Bereits im März hatte der Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Sebastian Pflugbeil, bei n-tv.de darauf hingewiesen, dass die mögliche Veränderung des Verhältnisses von geborenen Jungen zu geborenen Mädchen ein Indikator für Strahlenschäden sein könnte. Strahlen schädigten vor allem die weiblichen Embryonen, es werden weniger Mädchen geboren, so der Physiker. Pflugbeil bezog sich damals auf Erfahrungen, die nach der Katastrophe von Tschernobyl gemacht wurden.
Quelle: ntv.de, sba/dpa