Krisentalk bei "Hart aber fair" Wenn ein Chemie-Boss die FDP auf den Pfad der Grünen lockt


Bei "Hart aber fair" ging es einmal mehr um die internen Streitigkeiten der Ampel-Koalition.
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Deutschlands Wirtschaft steckt in der Krise. Darüber, wie man da wieder herauskommen will, streiten nicht nur Regierung und Opposition, sondern auch die Koalitionäre "wie die Kesselflicker". Bei "Hart aber fair" gibt es aber auch überraschende Übereinstimmungen.
Die parlamentarische Sommerpause ist noch nicht zu Ende, und schon gibt es in der Ampelkoalition den nächsten Streit. Diesmal geht es um das Wachstumschancengesetz, auf das sich Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP und der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verständigt hatten. Das sollte in der vergangenen Woche vom Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden. Doch dann legte Familienministerin Lisa Paus von den Grünen ihr Veto ein.
Das Gesetz soll nun auf der Klausurtagung der Ampelkoalition Ende August beschlossen werden. Davon gehen der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel und die Grünen-Bundestagsfraktionschefin Katharina Dröge aus. Eine entsprechende Frage von "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth am Ende der ARD-Talkshow am Montagabend beantworten beide mit einem eindeutigen "ja".
Bleibt die Frage: War der Krach in der Koalition wirklich nötig? Fakt ist: Mit der deutschen Wirtschaft geht es bergab. Immerhin geht der Internationale Währungsfonds davon aus, dass sie bis Ende des Jahres um 0,3 Prozent geschrumpft sein wird. Auch der IFO-Geschäftsklimaindex ist zuletzt gesunken - zum dritten Mal in Folge.
Minister "streiten wie die Kesselflicker"
"Die Lage ist alarmierend", sagt Unionsfraktionsvize Jens Spahn bei "Hart aber fair". Und er nennt Beispiele: "Das einzige, das steigt, sind die Arbeitslosenzahlen." Gleichzeitig gehen laut Spahn die Insolvenzzahlen bei Industrieunternehmen nach oben. "Von Wachstum ist nichts zu sehen", so Spahn, der gleichzeitig den Streit in der Ampelkoalition kritisiert. "Vor allem der Wirtschafts- und der Finanzminister streiten wie die Kesselflicker." Spahn fordert einen "Pakt für Wachstum". Das bedeute, "Dass bei Standortbedingungen, Steuern, Energiekosten und Bürokratieabbau investiert wird." Allerdings im Rahmen der Schuldenbremse.
Auch Christian Kullmann ist mit der aktuellen Wirtschaftslage nicht zufrieden. Er ist Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie und Vorstandschef von Evonik in Essen, dem drittgrößten deutschen Chemieunternehmen. Für ihn besonders wichtig: Eine Senkung des Industriestrompreises: "In den USA zahle ich zwei Cent pro Kilowattstunde, in Deutschland zwanzig." Vor zwei Jahren habe der damalige SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im Wahlkampf eine Senkung des Industriestrompreises auf vier Cent pro Kilowattstunde versprochen. Daran wolle er sich nun nicht mehr erinnern, kritisiert Kullmann.
Grünen-Fraktionschefin Dröge sieht die Lage nicht ganz so pessimistisch. Immerhin habe die Bundesregierung mit ihrem entschlossenen Handeln erreicht, dass Deutschland deutlich besser durch die Zeit der Energiekrise im vergangenen Jahr gekommen sei als erwartet. Probleme wie den Fachkräftemangel oder den Bürokratieabbau würden jetzt angegangen. Dennoch sagt auch sie: "Die Investitionstätigkeit der deutschen Wirtschaft ist zu gering." Die Grünen wollen deswegen, dass die Industrie weniger Geld für den Strom bezahlt.
Das geht Johannes Vogel von der FDP nicht weit genug. Er möchte lieber, dass der Strompreis für alle sinkt: für die großen Unternehmen, den Mittelstand und für die Bürger ganz allgemein. Für die Blockade der grünen Familienministerin beim Wachstumschancengesetz hat er kein Verständnis. Dabei sind die Grünen eigentlich dafür. "Wir müssen die Wirtschaft stärken und gleichzeitig die Kinderarmut bekämpfen", sagt die Grünen-Fraktionschefin. Doch Vogel ist ein wenig ungehalten: "Der Wettbewerb bei den Grünen darf nicht der Wettbewerbsfähigkeit des Landes im Wege stehen, und wir müssen die Herausforderungen dringend lösen", sagt er. Auch er sei für die Bekämpfung der Kinderarmut, "aber dazu brauchen wir Wirtschaftswachstum."
"Mit der Wasserpistole auf Godzilla schießen"
Christian Kullmann wäre auch gerne für das Wachstumschancengesetz, aber er kritisiert: "Wir haben ein Gesetz von der FDP, das einen Entlastungsrahmen hat von sechs Milliarden Euro. Aber das ist im Vergleich zu dem, was die US-Regierung mit 400 Milliarden Dollar auf den Tisch legt, als würden wir mit einer Wasserpistole gegen Godzilla anlaufen." Das Geld, das die Regierung für Energiekosten zahlen wolle, brauchten die Unternehmen viel mehr für Investitionen in Forschung und Innovationen.
"Das hat auch niemand gesagt, dass das reicht", sagt Johannes Vogel, der sich zwar gegen eine Senkung des Industriestrompreises, jedoch für das Wachstumschancengesetz ausspricht. Das Gesetz sei ein Schritt, dem weitere folgen müssten - Bürokratieabbau oder Digitalisierung zum Beispiel.
Spahn ist gegen das Gesetz. "Wir sollten weniger über staatlich gesteuerte Investitionen reden, sondern darüber, wie wir den Standort Deutschland so attraktiv machen, dass Unternehmen Lust haben, in Deutschland zu investieren." Würde es dann mehr Wachstum geben, würden die Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben um bis zu 30 Milliarden Euro steigen. Aber die Regierung habe keine Strategie - die man in dieser Sendung jedoch auch bei dem Unions-Wirtschaftsfachmann nicht so recht zu erkennen vermag.
Und Praktiker Kullmann: Der lobt die Pläne der Grünen - Investitionen in die Wirtschaft mit dem Wachstumschancengesetz und gleichzeitig die Senkung des Industriestrompreises. "Ich finde es toll, dass die Grünen mit uns gemeinsam diesen Weg gehen. Und ich bin mir sicher, dass die FDP auch noch auf den Pfad kommen wird, auf dem die Grünen schon sind."
Quelle: ntv.de