Politik

"Sie würden mich umbringen, das wusste ich" Wie Danny den Boston-Attentätern entkam

Mit dem Mercedes des entführten Chinesen wollten die Boston-Attentäter nach New York fahren. Dort planten die beiden Tschetschenen einen weiteren Anschlag.

Mit dem Mercedes des entführten Chinesen wollten die Boston-Attentäter nach New York fahren. Dort planten die beiden Tschetschenen einen weiteren Anschlag.

(Foto: dpa)

Eigentlich ist Danny schon auf dem Weg nach Hause. Doch dann kreuzen sich seine Wege mit denen der Boston-Attentäter. Mit seinem Jeep wollen die Zarnajew-Brüder nach New York fahren, um dort einen weiteren Anschlag zu verüben. Doch an einer Tankstelle gelingt der Geisel eine spektakuläre Flucht.

Mädchen, Autos, Musik, das neue iPhone - sie reden über Themen, über die sich junge Männer eben unterhalten. Und doch beschreibt der 26-Jährige, der in der vergangenen Woche in seinem Mercedes-Jeep entführt wurde und später flüchten konnte, seine Zeit mit den beiden Boston-Attentätern als die schlimmsten 90 Minuten seines Lebens. In der "Boston Globe" spricht der Chinese – in dem Interview wird er Danny genannt – nun erstmals über seine schreckliche Nacht in der Gewalt von Dschochar und Tamerlan Zarnajew.

Alles beginnt mit einer SMS. Um eine Kurzmitteilung zu beantworten, hatte Danny an jenem Donnerstagabend um 23 Uhr seinen Mercedes an den Straßenrand gelenkt. Beim Schreiben schreckt er plötzlich auf. Direkt hinter dem SUV bremst eine alte Limousine. Ein Mann mit dunkler Kleidung steigt aus und klopft an das Beifahrerfenster. Als Danny das Fenster öffnet, greift der Fremde hindurch, öffnet die Tür und steigt ein. "Mach' keinen Fehler", droht er und fuchtelt mit einer Pistole herum. Ob er von den Toten beim Boston Marathon gehört habe, fragt der. Danny nickt. "Das war ich", sagt der Mann, der später als Tamerlan Zarnajew identifiziert wird.

Auf nach New York!

Die Boston-Attentäter: Tamerlan (l.) und Dschochar Zarnajew.

Die Boston-Attentäter: Tamerlan (l.) und Dschochar Zarnajew.

(Foto: AP)

Eigentlich will Danny an diesem Abend nach Hause. Seine beiden Mitbewohner erwarten ihn schon. Aber daraus wird vorerst nichts. Denn die beiden Tschetschenen, der 26-jährige Tamerlan und sein 19-jähriger Bruder Dschochar, sind auf der Flucht. Gerade haben sie an der Universität MIT einen Polizisten erschossen. Nun planen sie ihren nächsten Coup: Den bisher vier Toten sollen weitere folgen. Auf dem Time Square in New York wollen die beiden fünf Rohrbomben und einen wie beim Marathonlauf in Boston eingesetzten Dampfkochtopf-Sprengsatz zünden. Dannys Mercedes soll sie in den 210 Meilen und etwa dreieinhalb Autostunden entfernten "Big Apple" fahren.

In einer ruhigen Seitenstraße laden die Brüder einige schwere Gegenstände aus der Limousine in den Kofferraum des SUV. Während der Fahrt sprechen sie immer wieder in einer Sprache, die Danny nicht verstehen kann. Im Krankenhaus wird Dschochar später zugeben, dass die beiden über ihr nächstes Anschlagsziel gesprochen haben. Anfangs ist die Stimmung im Jeep angespannt. "Guck mich nicht an", schreit Tamerlan die Geisel an. "Hast du mein Gesicht gesehen?" Dannys Herz rast. Er ist so aufgeregt, dass er Schwierigkeiten hat, in der Spur zu bleiben. "Entspann dich", sagt Tamerlan. "Ich will nicht sterben", denkt der Chinese, während er den Mercedes durch den nächtlichen Verkehr steuert.

Der leere Tank

Danny ist seit 2009 in den USA. Nach einem Master-Abschluss als Ingenieur und einer kurzzeitigen Rückkehr nach China, kommt er zurück in die Staaten, least den Mercedes und gründet mit zwei Freunden ein Start-Up. Seinen Entführern erzählt er das nicht. Ihnen gegenüber gibt er sich als Student aus, der erst seit einem Jahr im Land ist. "Deshalb ist dein Englisch nicht so gut", sagte Tamerlan. "Okay, du bist Chinese, ich bin Muslim."

Die Tschetschenen unterhalten sich mit Danny. Sie schwärmen über den Mercedes ML 350, sprechen über das iPhone 5 und über Musik. Der Chinese gibt sich lässig, aber im Gespräch mit der "Boston Globe" sagt er später: "Der Tod war so nah." Auf dem Weg nach New York gibt es ein Problem. Der Tank des Autos ist fast leer, sie müssen dringend tanken. Mit Dannys Karte hebt Dschochar bei der Bank of America Geld ab.

Auf dem Weg zur Tankstelle klingelt plötzlich das Handy des Chinesen. "Wenn du nur ein einziges Wort Chinesisch sagst, werde ich dich töten", schreit Tamerlan. Am Apparat ist Dannys Mitbewohner, er spricht Mandarin. "Ich schlafe heute bei einem Freund ", antwortet Danny auf Englisch."Ich muss jetzt Schluss machen."

"Ich habe gebetet"

Der Mercedes befindet sich inzwischen auf der Soldiers Field Road und steuert eine Tankstelle an. Als der Wagen wieder vollgetankt ist - Dschochar zahlt gerade die Rechnung - wittert Danny seine Chance. Später wird es zunächst heißen, die Brüder hätten ihn freigelassen, aber das ist falsch. Er flieht. Alles geht ganz schnell: Während der Chinese mit der einen Hand den Gurt löst, öffnet er die Tür, springt aus seinem SUV und läuft so schnell er kann davon, ohne sich auch nur einmal umzudrehen."Ich habe gebetet, weil ich nicht wusste, ob die Tür geöffnet ist", sagt er später. "Sie würden mich umbringen, das wusste ich, aber ich habe nicht lange nachgedacht, sondern es einfach gemacht."

Hinter sich hört Danny noch ein lautes Fluchen, aber seine Entführer folgen ihm nicht. Er rennt bis zum Hafen, von einem öffentlichen Telefon wählt er die Notrufnummer 911. Ein paar Minuten später treffen die Polizisten ein. Über das Mercedes-Satellitensystem M-Brace orten die Sicherheitskräfte den Jeep mit den beiden Boston-Attentätern. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd wird Tamerlan getötet. Den 19-jährige Dschochar verhaftet die Polizei einen Tag später nach einem weiteren Großeinsatz im Bostoner Vorort Watertown. Danny hingegen ist wieder in Sicherheit. Ihm bleibt die Erinnerung an jene eineinhalb Stunden in der Gewalt der Boston-Attentäter und seine filmreife Flucht.

Quelle: ntv.de

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