Jauch und seine Polit-Talk-Premiere Wie "Stern TV" mit einem Thema
12.09.2011, 00:22 Uhr
Günther Jauch in seinem neuen Studio.
(Foto: dapd)
Günther Jauch hat es hinter sich. Die Premiere seines neuen Polit-Talks ist gelaufen. Ganz sicher haben Maischberger, Plasberg, Beckmann und Will zugesehen. Aber was genau lief da auf den Mattscheiben der Konkurrenz-Moderatoren?
Wenn dem gemeinen Gebührenzahler normalerweise verschlossen bleibt, wie bekannte Fernsehmoderatoren außerhalb der Dienstzeit ihre Abende verbringen, so dürfte diesmal klar sein: Sandra Maischberger, Frank Plasberg, Anne Will und Reinhold Beckmann haben Sonntagabend vor dem Fernseher gesessen. Ach was: geklebt! Kritisch auf jeden Fall, vielleicht aber auch ein bisschen beleidigt. Sie wollten erleben, wie Fernseh-Dinosaurier Günther Jauch in die ARD zurückkehrt. Als Polit-Talker, aber eben auch als Konkurrent, vielleicht als beliebtester TV-Kopf der Gegenwart, gestählt durch die Top-Quoten seines RTL-Dauerbrenners "Wer wird Millionär". Nichts hat schließlich die führende öffentlich-rechtliche Sendeanstalt neben der Personalie Thomas Gottschalk in den letzten Monaten so sehr aufgewühlt wie das kuriose Hin- und Hergeschiebe ihrer über Jahre etablierten Polit-Talkshows. Neue Sendeplätze, Gehaltsgerüchte, Quotendiskussionen: Man muss nicht viele Bekannte in der ARD haben, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie die Stimmung so ist auf den Fluren. Heiß geht es her, so viel muss reichen.
Und was haben Maischberger, Plasberg, Will und Beckmann nun gesehen? Nun, kurz gesagt: Riesengroße Sorgen, dass Jauch zum absoluten Platzhirschen wird, müssen sie sich nicht machen. Anlass für riesengroße Kritik gibt es aber auch nicht. Das in rötlichen Erdfarben gestaltete Hauptstadt-Gasometer, aus dem Jauch fortan sendet, ist zwar eine beeindruckend schöne Kulisse. Doch die will gefüllt sein. Am 11. September 2011 ist das Thema, natürlich: die Folgen des 11. September 2001. Oder genauer die Frage: "War es richtig, in den Krieg zu ziehen?" Jauchs Gästeliste ist, berechnet nach den vorhersehbaren Antworten, quasi paritätisch besetzt. Literaturkritikerin Elke Heidenreich und Afghanistan-Experte und Moralist Jürgen Todenhöfer sagen "Nein" auf diese Frage, Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner und Ex-Verteidigungsminister Peter Struck sagen "Ja". Und Jürgen Klinsmann, deutsche Fußball-Ikone und Nationaltrainer der US-Fußball-Nationalmannschaft, sagt dazu nichts. Dafür berichtet er, wie wenig sich der Durchschnittsamerikaner, eingeklemmt zwischen Zweitjob und Angst vor der wirtschaftlichen Zukunft, um solche Themen kümmern kann, was übrigens angesichts einer ähnlichen Tendenz in der Bundesrepublik durchaus erhellend ist.
Damit weiß nun jeder, der die Sendung verpasst hat, was in ihr geschah. Bekannte Argumente wurden ausgetauscht. Heidenreich weiß, dass Afghanen "auch Menschen mit Angst sind" und dass man auf Gewalt nicht mit Gewalt reagieren dürfe. Struck, nicht so knorzig wie sonst, erklärt den Unterschied zwischen Afghanistan und dem Irak. Todenhöfer sagt, der Krieg sei nicht zu rechtfertigen und letztlich ein "Zucht-Programm für Terroristen". Und Döpfner, vorgestellt als "Amerika-Freund", sieht eine "Zeitenwende", bei der Deutschland die USA nicht im Stich lassen durfte. So weit, so gut. Der Schrecken des 11. September, der ist vor allem am Jahrestag selbst kein Thema, bei dem sich hitzige Streitereien entwickeln. Das wäre auch unwürdig gewesen. Ob es aber klug war, an diesem Tag die Sendung zu starten? Viele, soviel steht fest, hätten auf jeden Fall lieber Peer Steinbrück zum Thema Euro-Krise gehört und gesehen.
"Nun keine Angst mehr"
Jauchs Auftritt jedenfalls ist souverän, kein Zweifel. Zwei Stellen sind es, die den Zuschauer besonders packen. Zum einen, als Jauch gleich zu Beginn mit Marcy Borders spricht, der Überlebenden der WTC-Anschläge, deren Bild als "Staubfrau" um die Welt ging. Nach einer langen Phase mit Depressionen, Alkohol und Drogen habe sie "nun keine Angst mehr", entlockt ihr Jauch - und der Zuschauer freut sich mit ihr. Tiefer Respekt ist bei dem Potsdamer spürbar, als er Tanja Menz befragt. Sie verlor ihren Sohn am Hindukusch, von hinten erschossen von einem 19-Jährigen. Und doch: Jauchs Frage nach Hass verneint sie. Der Täter: Im Grunde hätte er auch ihr Sohn sein können. "Was hatte er denn schon erlebt?", fragt sie aufrecht und beeindruckt mit so viel Menschenliebe.
Besonders die beiden Einzelgespräche erinnern stark an Jauchs langjährige Parade-Sendung "Stern TV". Jauch ist sachlich, aber empathisch. Er ist höflich, aber verbindlich. Überhaupt: Der Talk ist gespickt mit bekannten, eher magazin-artigen Ansätzen. Jauch liest E-Mails der Zuschauer vor, im Internet darf diskutiert werden, in der Rubrik "60 Sekunden" werden Fakten aufgezählt, emotionale Musik liegt unter den kurzen Film-Beiträgen. Der Unterschied zu der Sendung, mit der Jauch Furore machte: Es gibt eben nur ein Thema. Jauch - natürlich Profi-Spieler auf dem Medien-Rasen - hatte im Vorfeld aber bereits die Erwartungen gedämpft. Er weiß nach all den Jahren: Wer tief stapelt, fällt nicht so schmerzhaft. Es werde hinsichtlich seiner Talk-Runde eine "Evolution" geben, "keine Revolution". Und man müsse ihm schon 10, 20 oder sogar 30 Folgen Zeit geben, um am Konzept zu feilen.
Feilen sollte der Altmeister vielleicht doch nochmal an seiner Fragetechnik. Die Fixiertheit auf die Moderationskärtchen sorgt dafür, dass die Kamera mehrfach einen Moderator zeigt, der nicht so richtig zuhört. Und deswegen ein oder zwei brisante Stellen einfach überhört. Etwa, als Springer-Chef Döpfner postulierte, die deutsche Nachkriegs-Lehre "Nie wieder Krieg!" sei falsch gewesen. Da überliest Jauch das notwendige Nachhaken. Ansonsten: "Ich finde, Sie haben das auch gut gemacht", schließt Talk-Runden-Profi Peter Struck die erste Ausgabe des Formats. "Vielen Dank", sagt Jauch. Und wirkt, trotz all der Jahre vor dem Rotlicht, deutlich erleichtert.
Quelle: ntv.de