USA, NSA und die Berliner Blase Wie die Union sich selbst verleugnet
28.10.2013, 11:48 Uhr
CSU-Chef Seehofer und Unionsfraktionschef Kauder: In Empörung vereint.
(Foto: picture alliance / dpa)
Als die NSA-Überwachung unter deutschen Bürgern bekannt wird, macht die Union: nichts. Die Kommunikation von Bundeskanzlerin Merkel zu belauschen macht sie dagegen zum Skandal. Plötzlich rückt sogar CSU-Chef Seehofer nach links - und Fraktionschef Kauder lässt antiamerikanische Parolen los.
Es ist schon verwunderlich. Da wird potenziell jeder deutsche Bürger von der NSA umfassend überwacht, aber die Bundesregierung erklärt den Skandal schlicht für beendet. Keine neuen Gesetze, kein Datenschutzabkommen, nur ein "No Spy"-Abkommen mit den USA, von dem nie wieder zu hören war. Dann aber wird der Lauschangriff des amerikanischen Geheimdienstes auf Bundeskanzlerin Angela Merkel bekannt - und alles ist anders.
Der Skandal um die Praktiken der National Security Agency erwischte die Union im Juni wenige Wochen vor der parlamentarischen Sommerpause auf dem falschen Fuß. Das Thema war für den Wahlkampf nicht vorgesehen. Also versuchten CDU und CSU alles, um die permanente Grundrechtsverletzung herunter zu spielen. Innenminister Hans-Peter Friedrich ließ sich von den USA mit Floskeln abspeisen, Hans-Peter Uhl polterte wie eh und je gegen Kritiker von Überwachung und Merkel verbat sich gar den Anspruch, dass sie sich überhaupt mit Details beschäftigen müsse.
Seit nun das Belauschen Merkels bekannt wurde, weht ein scharfer Wind zwischen Kanzleramt und der Berliner US-Botschaft.
Forderungen statt Beschwichtigung
Als "eklatant gestört" bezeichnete CSU-Chef Horst Seehofer das "Vertrauen zu unseren amerikanischen Freunden". Es werde "erhebliche Zeit brauchen, um es wieder aufzubauen", sagte der bayerische Ministerpräsident. Nicht nur Seehofers, sondern reihenweise weitere Äußerungen aus der Union lassen aufhorchen. Die Ignoranz und Beschwichtigungen des Sommers weichen politischem Poltern und konkreten Forderungen. Die Parteien verleugnen öffentlich ihre eigenen, zuvor mit Vehemenz vertretenen Positionen.
Unionsfraktionschef Volker Kauder ließ sich zu der Aussage hinreißen: "Amerika muss sein Weltmachtgehabe gegenüber seinen Partnern ablegen." Vor wenigen Wochen oder Monaten hätte darauf wohl jeder in der Union mit Empörung reagiert und antiamerikanischen Populismus unterstellt. So wie Innenminister Friedrich, dem eben solche Äußerungen im Juni noch "gewaltig auf den Senkel" gingen.
Kauder sprach zudem von einem schweren Vertrauensbruch und einer "Ungeheuerlichkeit, die Konsequenzen haben muss". Welche, ist offen. Denkbar sind verschiedene Szenarien, etwa eine ans geplante Freihandelsabkommen gekoppelte Datenschutzvereinbarung zwischen den USA und der EU. Dieser Meinung ist auch CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach: "Es ist nicht klug, die Verhandlungen auszusetzen. Vielmehr sollte man sie fortsetzen mit dem Kapitel Datenschutz und Datensicherheit." Die war nicht zuvor nicht zwingend vorgesehen.
"Datenschutz ist gleichrangig"
Der CSU-Innenexperte Uhl, sonst als Verfechter jeglicher behördlicher Sicherheitsmaßnahmen bekannt, nannte die USA sogar "digitale Besatzungsmacht". Innenpolitisch war Uhl zudem immer als ein vehementer Verteidiger der Vorratsdatenspeicherung aufgetreten - so wie auch Innenminister Friedrich. Doch von der Parteispitze kommen in Folge der neuen Entwicklungen plötzlich ganz andere Signale. "Der Schutz der persönlichen Kommunikationsdaten muss in den Koalitionsgesprächen eine zentrale Rolle spielen", so Seehofer. "Bei allem Verständnis für die Innenpolitiker und die Notwendigkeit der Terrorbekämpfung ist spätestens jetzt klar, dass der Datenschutz gleichrangig ist." Warum der Parteichef erst mit der Ausweitung des Skandals in die Regierungskreise zu dieser Ansicht gereift ist, sagte er nicht.
Dagegen aber, dass im Lichte der neuen Erkenntnisse unbedingt über die Vorratsdatenspeicherung gesprochen werden müsse. So sei die Speicherfrist von sechs Monaten "zu lang und erhöht das Risiko des Missbrauchs", so Seehofer. Genau in diesem Punkt hatte das von der CSU geführte Innenministerium immer gegen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP geschossen – und so verhindert, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Datenspeicherung umzusetzen.
Zweierlei Maß
Zwei Deutungsweisen über die plötzliche Empörung über den Bündnispartner sind denkbar: Entweder ist die Berliner Blase, in der sich die deutschen Regierungspolitiker der Union wähnten, tatsächlich jetzt erst geplatzt, und die CDU-Köpfe hielten das Abhören durch den Verbündeten nicht für möglich. Möglich ist dagegen: Die Union misst mit zweierlei Maß. Wenn die eigenen Köpfe abgehört werden, ist die Empörung groß. Doch für einen Wahlsieg kann das Grundgesetz und ein UN-Menschenrecht für deutsche Bürger gebrochen werden.
Quelle: ntv.de