Parteien sortieren sich neu Wie die Wahl im Norden nachwirkt
21.01.2013, 20:24 Uhr
Die McAllister-Plakate braucht die CDU Niedersachsen jetzt nicht mehr. Die Wahl ist vorüber.
(Foto: dpa)
Der erste Lackmustest für die Bundestagswahl ist vorüber, die Niedersachsen haben die Politik im Land und im Bund mächtig durcheinandergewirbelt. Der turbulente Tag danach bringt überraschende Sieger, kleinlaute Feiglinge und geläuterte Maulhelden - eine Wahlnachlese.
Viel ist im Vorfeld geschrieben und geredet worden. Darüber, was die Niedersachsenwahl bringt. Was sie bedeutet für Angela Merkel, Peer Steinbrück und Philipp Rösler. Was sie auslösen kann in Hannover, in Berlin, in der SPD, der FDP und der Union. Ein Tag nach dem Urnengang im Norden ist klar: Die Wahl hat in der Tat eine ganze Menge ausgelöst und zu bedeuten für die Beteiligten. Und doch ist manches anders gekommen, als gedacht.
Was Hannover da erlebt hat, ist einer der spannendsten Polit-Thriller, die Deutschland in den letzten Jahren gesehen hat. Bis kurz vor Mitternacht kann sich keines der beiden Lager als Sieger fühlen. Hochrechnungen sehen mal Rot-Grün, mal Schwarz-Gelb vorne. Immer wieder heißt es: Möglich wäre auch ein Patt - eine Situation also, in der die beiden Alternativen gleich viele Mandate im Parlament für sich beanspruchen würden. Eine Große Koalition wäre die Folge gewesen.
Doch mit einem Hauch Vorsprung gehen am Ende SPD und Grüne ins Ziel, Stephan Weil wird damit vermutlich die Regierung übernehmen. Der beliebte David McAllister ist abgewählt. Neben ihm verliert eine FDP, die dennoch zu den absoluten Gewinnern der Wahl gehört. Eine Partei, der vor diesem 20. Januar niemand mehr etwas zugetraut hat. Verrücktes Niedersachsen, verrückte Welt.
Liberale bieten bühnenreifen Machtkampf
Am Tag danach machen sich alle Parteien daran, ihre Wunden zu lecken, ihre Siege zu feiern und vor allen Dingen die Zukunft zu planen. Am meisten zu regeln hat die FDP. Die Wahl an der Leine ist stets als eine Schicksalswahl für Parteichef Philipp Rösler bezeichnet worden. Und damit kann er sich nach dem 9,9-Prozent-Triumph im Gegenzug bestätigt fühlen. Wer dem Wirtschaftsminister am Wahlabend ins Gesicht blickt, sieht einen gelösten Menschen. Er feixt, er zwinkert, er jubelt und juchzt. Rösler ist völlig überdreht. Mit diesem Hochgefühl geht er am folgenden Tag in die Sitzung des Bundesvorstands. Und dort spielt der so harmlos wirkende Mann seine Gegner genüsslich an die Wand.
Hinterher ist freilich alles eitel Sonnenschein in der FDP. Philipp Rösler lässt sich auf einem vorgezogenen Parteitag im März als Chef bestätigen, Spitzenkandidat für die Bundestagswahl soll Rainer Brüderle werden. Rösler ist der "Kapitän", Brüderle die "Sturmspitze, die vorne die Tore schießen soll". So verkauft es die Spitze der Liberalen nach einer Sitzung, die zwei Stunden länger dauert als geplant.
Nach allem, was zu hören ist, geht es dabei alles andere als harmonisch zu. Rösler setzt Brüderle die Pistole auf die Brust: Er räumt das Feld, wenn der Fraktionschef, der ihn noch vor dem Wahlwochenende angezählt hatte, beide Posten übernimmt. Rösler weiß: Das will Brüderle nicht. Der steht jetzt als Feigling da, der eine große Klappe hat, aber kneift, wenn es ernst wird. Rösler dagegen wirkt wie der verantwortungsbewusste Chef, der wieder Vernunft in die Debatten der letzten Wochen bringt. Damit düpiert Rösler nicht nur Brüderle, sondern auch alle anderen parteiinternen Kritiker. Allen vorneweg Entwicklungsminister Dirk Niebel. Der muss sich künftig auf die Zunge beißen.
Für Merkel beginnen schwierige Monate
Während die Liberalen ihre Schlachten schlagen, zieht sich auch die schwarze Feldherrin zur Lagebesprechung zurück. Für Kanzlerin Angela Merkel ist die Lage nicht gar so kompliziert, wenn auch ziemlich ärgerlich. Sie hat gelernt: Wer eine schwächelnde FDP die Freiheit lässt, im Revier der eigenen Wählerschaft zu wildern, steht am Ende mit leeren Händen da. Bei der Bundestagswahl darf sich das keinesfalls wiederholen. Eine "Fremdblutzufuhr", wie SPD-Chef Sigmar Gabriel die Leihstimmen für die Liberalen gehässig nennt, soll es bei der großen Wahl im September nicht geben.
Der Weg bis dahin wird aber noch steinig genug für Merkel. Im Bundesrat hat Schwarz-Gelb jetzt endgültig die Macht eingebüßt. Mit Hilfe der rot-roten Regierung in Brandenburg kann Rot-Grün jetzt bis zur Wahl alles blocken, was da aus dem Kanzleramt kommt. Kleine Präsente zum Erhalt der Freundschaft mit dem Wahlvolk sind damit nicht drin. Umgekehrt kann die Opposition mit eigenen Gesetzinitiativen immer wieder kleine Nadelstiche setzen, Vorschläge machen, die Schwarz-Gelb dann mühsam wieder vom Tisch kriegen muss.
Einziger Trost für die Kanzlerin dürfte sein, dass durch die Abwahl in Hannover in David McAllister ein Ersatzmann für ihr Kabinett frei geworden ist. Wer weiß, ob in den kommenden Monaten noch eine Auswechslung nötig wird. Schon die Entscheidung über den Doktortitel von Annette Schavan könnte eine Kabinettsumbildung nach sich ziehen. Wenn nicht, dann steht McAllister wenigstens für eine neue Regierung Merkel bereit. Er hat am Tag nach der Wahl deutlich gemacht: Auch wenn er Landesvorsitzender der CDU bleibt, als Oppositionsführer ist er sich zu schade.
SPD macht weiter mit Steinbrück - notgedrungen
Mit etwas mehr Demut geht dagegen SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück aus dem Wochenende. "Gerade nochmal gut gegangen" könnte als Überschrift über dem Wahlabend stehen. Denn Weil wird nicht wegen Steinbrücks Unterstützung Ministerpräsident, sondern obwohl der streitbare Ex-Finanzminister sich für ihn eingesetzt hat. Steinbrück hat erkannt: Er trage "eine gewisse Mitverantwortung", dass Weil aus Berlin keinen Rückenwind bekommen hat, sagt er. In Zukunft wolle er seine Worte sehr behutsam wägen, ohne sich verbiegen zu lassen, wie er rasch hinterher schiebt.
Steinbrück gibt sich nicht ohne Grund derart kleinlaut. Neben Rösler war er die meistdiskutierte Personalie vor der Wahl. Von einer Auswechslung des Spitzenkandidaten war sogar die Rede. Diese Idee ist nun vom Tisch - zumindest vorerst. Allerdings nur solange sich Steinbrück keinen weiteren Patzer erlaubt. Das bedeutet dann aber auch, dass aus Steinbrück ein Kandidat mit Hemmungen werden könnte, einer, der sich nichts mehr traut. Dabei gibt es so viel aufzuholen in einem Wahlkampf, in dem die SPD meilenweit von CDU und Merkel entfernt liegt.
Dennoch: In der SPD werden die Strategen erkannt haben, dass es derzeit nicht opportun ist, den Spitzenmann fallen zu lassen. Jeder, der nach ihm käme, wäre zweite Wahl. Wie soll ein Second-Hand-Kandidat die beliebte Kanzlerin stürzen? Viel wichtiger noch: Wer sollte das sein? In der SPD drängt sich da niemand so richtig auf. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat schon zuvor abgewinkt. Und Parteichef Sigmar Gabriel gilt als schwer zu vermitteln.
Abräumer und absolute Verlierer
Blieben noch ein paar Worte zu verlieren über die übrigen kleineren Parteien. Wobei "kleiner" zumindest im Fall der Grünen das falsche Wort ist. 13,7 Prozent, 5,7 mehr als 2008 hat die Partei ergattert. Eigentlich hat nicht die SPD Rot-Grün gewonnen, sondern der kleinere Koalitionspartner. Die Grünen zeigen im Land wie im Bund derzeit, wie es geht: Sie erledigen in Ruhe ihre Aufgaben und erfreuen sich am Leid der anderen.
Trauriger ist dagegen die Erkenntnis für die Linkspartei: Sie verliert im Westen zunehmend an Halt. Schon wieder geht eine Landtagsbeteiligung flöten. Nicht einmal der Last-Minute-Einsatz von Parteifrontfrau Sahra Wagenknecht konnte da noch das Ruder rumreißen. Mit dem Mut der Verzweiflung ziehen die Genossen jetzt in die Bundestagswahl. Dass sie dabei mit einem achtköpfigen Führungsteam antreten, offenbart nur das Dilemma der gespaltenen Partei.
Besonders bitter ist die Landtagswahl für die Piratenpartei. Als das ZDF die Hochrechnungen präsentierte, suchten Beobachter vergeblich nach den Newcomern. Sie liefen nur unter "Sonstige": 2,1 Prozent der Niedersachsen machten ihr Kreuzchen bei den Piraten. Für den Bund sehen Meinungsforscher ein ähnliches Schicksal voraus. 2013 könnte das Jahr des Untergangs für die Piraten werden. Wenn sie sich nicht grundlegend ändern.
Quelle: ntv.de