Verlorener Posten Wie sich Cameron verzockte
04.06.2014, 13:53 Uhr
David Cameron kann Jean-Claude Juncker wohl nicht verhindern. Kann er bei Martin Schulz besser verhandeln?
(Foto: REUTERS)
Die EU schaut David Cameron beim Scheitern zu: Er kann Jean-Claude Juncker nicht verhindern. Doch was ist mit Martin Schulz? Wenn er Junckers Stellvertreter wird, bedeutet das für den Briten eine noch größere Niederlage. Angela Merkel könnte helfen. Sie scheint einen Plan zu haben.
Wäre Jean-Claude Juncker kein Mensch aus Fleisch und Blut, man hätte ihm schon längst Arme und Beine ausgewechselt, ihm eine andere Frisur und einen neuen Anzug verpasst. So funktioniert es meistens in der Europäischen Union: Jedes Gesetz wird so lange angepasst und mit anderen Gesetzen zusammengebunden, bis jedes Land und jede Partei mit der letzten Fassung leben kann.
So geübt die Politiker in der EU darin sind, zu einem Konsens zu kommen, so schwer fällt es ihnen dieses Mal. Denn Juncker, der gewählte Spitzenkandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, lässt sich nicht nach Belieben anpassen. Auf einmal werden Fronten verhärtet und Intrigen gesponnen.
Im Zentrum steht dabei der britische Premierminister David Cameron. Er setzte alles daran, Juncker zu verhindern. Er fürchtet sich vor dem Erstarken der rechtspopulistischen britischen Partei Ukip und will ihren Wählern darum möglichst weit entgegenkommen, indem er Kompetenzen von der EU zurückerobert. Doch das bringt Cameron in ein Dilemma: Für eine Reform der EU bräuchte er einen starken Kommissionspräsidenten, der gleichzeitig eine gewisse Europaskepsis mitbringt. So ein Kandidat ist schwer zu finden. Weil auch Cameron keinen präsentieren kann, steht er nicht als Reformer, sondern nur als Verhinderer da.
Strategischer Fehler von Cameron
Auch strategisch hat sich Cameron wohl falsch verhalten. Im britischen "Guardian" ist die Rede von einem "Dschihad" gegen Juncker und gegen die Idee der europaweiten Spitzenkandidaten. Der "Economist" schreibt, es sei "zweifellos unklug" gewesen, öffentlich eine rote Linie zu ziehen. Cameron wird scharf kritisiert, neue Argumente gegen Juncker fallen ihm nicht ein. Sein Fehler: Er möchte lieber hinter den Kulissen über den Kommissionspräsidenten entscheiden, greift aber selbst öffentlich an und holt damit den Machtkampf genau dorthin, wo ihn alle sehen können.
In den nächsten Tagen wird der Brite zuerst beim G7-Gipfel und dann bei den Feierlichkeiten zum D-Day mit seinen Kollegen aus Deutschland, Frankreich und Italien zusammentreffen. Offiziell ist der Streit in der EU dort kein Thema, oft kommt es aber am Rande solcher Veranstaltungen zu Entscheidungen. Angela Merkel ist laut der französischen "Libération" bereit, Cameron zu isolieren.
Merkel ist sich ihrer Sache sicher
Sie scheint sich ihrer Sache sicher zu sein. Bevor sie nach Brüssel abreiste, betonte sie in ihrer Regierungserklärung, dass sie Juncker unterstütze. Gleichzeitig bezeichnete sie die Äußerungen anderer zu Großbritannien als "grob fahrlässig" und "inakzeptabel": Es sei eben nicht gleichgültig, unwichtig oder egal, ob das Land in der EU bleibe. Man dürfe nichts überstürzen, es gelte der Grundsatz "Gründlichkeit vor Schnelligkeit". Das klingt so, als habe Merkel einen Plan und als wäre Camerons Blockade schon durchbrochen. Der muss sich überlegen, ob er einen Rückzieher macht oder weiterkämpft.
Eigentlich hatte es gut für den Premier ausgesehen. Nicht nur Ungarn und Schweden hatte er auf seiner Seite. Nicht nur Dänemark und Finnland zweifelten an dem Kandidaten. Selbst der scheidende Ratspräsident Hermann Van Rompuy soll seinen Generalsekretär losgeschickt haben, gegen Juncker eine Intrige zu spinnen, berichtet der österreichische "Standard". Van Rompuy vertritt die EU-Regierungschefs nach außen und leitet ihre Sitzungen. Mit einer eigenen politischen Agenda war er bisher kaum aufgefallen. Nun scheint er die Gefahr zu sehen, dass er sein Amt beschädigt verlässt: Je stärker der Kommissionspräsident ist, desto weniger wird der Ratspräsident als Spitzenvertreter der EU wahrgenommen.
Und auch in Berlin gibt es einige Juncker-Feinde. Einigen geht es um ihre persönlichen Vorbehalte gegen den Luxemburger, andere wollen nicht, dass sich das System der Spitzenkandidaten etabliert. Angela Merkel selbst war nie eine Verfechterin des europaweiten Wahlkampfes, Juncker war ihre Notlösung, als alle anderen Parteienfamilien schon Kandidaten gefunden hatten. Dass dann das Europaparlament nach der Wahl Juncker eilig zu seinem Wunschkandidaten erklärte, bezeichnete Merkel laut "Spiegel" spontan als "Putsch".
Gibt Merkel ihren Mann in Brüssel auf?
Zum Umdenken brachte Merkel wohl der öffentliche Druck. Als sie sich nach dem inoffiziellen Ratstreffen in Brüssel alles offenhielt, wurde sie danach hart kritisiert. In der sonst zurückhaltenden "Tagesschau" kommentiert der Brüssel-Korrespondent, Merkels Spiel sei ein "Betrug am Wähler", eine "Schande" und "ungewöhnlich dumm". Der Koalitionspartner SPD drängt sie ebenfalls. Merkel sah sich gezwungen, sich öffentlich hinter Juncker zu stellen.
Doch damit ist die Sache nicht ausgestanden. Die Einigung auf einen Kommissionspräsidenten wird im EU-Rat gemeinsam mit einigen anderen Personalfragen entschieden: Der Rat selbst braucht einen neuen Präsidenten, außerdem wird ein Außenbeauftragter gesucht. Und in Deutschland wird die SPD wohl nicht lockerlassen, bis ihr Spitzenkandidat Martin Schulz einen angemessenen Job angeboten bekommt. Da der weder als Regierungschef noch als Diplomat Erfahrungen vorzuweisen hat, bleibt fast nur ein herausgehobener Posten in der Kommission. Dazu müsste die CDU aber Günther Oettinger abberufen, der bislang deutscher Kommissar ist und gerne noch weitermachen würde. Auf dessen Nachfolge spekulierte wohl auch David McAllister. Platz ist in der Kommission nur für einen Deutschen.
Merkel würde es verkraften, ihre Parteifreunde zu enttäuschen. Doch Schulz würde sich als Kommissar nicht damit begnügen, seine Abteilung effizient zu leiten. Er würde eine politische Agenda entwickeln und seine Kontakte ins Parlament dafür nutzen, diese durchzusetzen. Die Kommission würde noch politischer, noch stärker, noch integrationsfreudiger. Merkel dürfe das nicht gefallen. Und für Cameron wäre es die nächste bittere Niederlage.
Quelle: ntv.de