Brisante Details zum Irak-Krieg Wikileaks enthüllt Geheimakten
24.10.2010, 14:43 UhrDie auf Enthüllungen spezialisierte Internetplattform Wikileaks veröffentlicht fast 400.000 geheime US-Militärdokumente zum Irak-Krieg und sorgt damit erneut weltweit für Aufsehen. Die Unterlagen bringen bislang unbekannte Grausamkeiten ans Licht – und sorgen im Pentagon für Aufruhr.

WikiLeaks ist im Besitz von fast 400.000 geheimen Dokumenten der USA zum Irak-Krieg, die von Folter und Kriegsverbrechen zeugen
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Abwehr von Angriffen zählt zu den Kernaufgaben des Pentagon. Im Konfliktfall kann das US-Verteidigungsministerium die schlagkräftigste Armee der Welt in Bewegung setzen. Deren Arsenal bleibt freilich wirkungslos, wenn der Angriff nicht mit Waffen erfolgt, sondern mit Informationen. Genauer gesagt: Mit 391.832 geheimen Militärdokumenten über den Einsatz der US-Armee im Irak, die nie für die Öffentlichkeit gedacht waren. Die Internetplattform Wikileaks stellte die US-Feldberichte nun ins Internet. Die US-Regierung musste der Veröffentlichung, die sie energisch zu verhindern versucht hatte, mit hilflosem Zorn zusehen.
Mit der Wikileaks-Veröffentlichung muss die Geschichte des Irak-Kriegs nicht neu geschrieben werden, wird aber um viele Details angereichert. Die Unterlagen aus den Jahren 2004 bis 2009 dokumentieren den blutigen Alltag des Krieges und die Hilflosigkeit der US-Soldaten angesichts des Chaos im Irak. Soldaten vor Ort listeten in den Feldberichten in nüchtern-bürokratischem Militärjargon zahlreiche Gefechte und Anschläge auf.
Kenntnis von Folter und Tod Unschuldiger

Auf der Internetplattform Wikileaks ist der Auszug aus einem Dokument des US-Militärs zum Irak-Krieg zu sehen. (Screenshot vom 23.10.2010)
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Die Dokumente zeigen, dass die US-Armee von der brutalen Folterung von Gefangenen durch irakische Sicherheitskräfte wusste, in manchen Fällen aber nicht einschritt. Ein irakischer Gefangener "wurde von der irakischen Polizei an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mit einem Kabel geschlagen", heißt es etwa in einem Bericht aus dem Jahr 2008. In anderen Berichten ist von Misshandlungen mit Metallrohren, Holzstangen und Strom die Rede. An Gefangenen seien Brandwunden, Knochenbrüche und Blutergüsse festgestellt worden.
Die Unterlagen dokumentieren auch, dass an Straßensperren der US-Armee hunderte irakische Zivilisten getötet wurden, oft wegen Missverständnissen. Einer internen Aufstellung der US-Armee zufolge wurden seit dem Einmarsch 2003 bis Ende 2009 insgesamt etwa 109.000 Iraker getötet, 63 Prozent von ihnen Zivilisten.

Die Wikileaks-Seite war nach der Veröffentlichung der Dokumente wegen Überlastung zeitweise nicht aufrufbar.
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Es sind die vielen Details, die die Wirkung der Dokumente ausmachen. Ein Feldbericht etwa beschreibt, wie ein US-Soldat das Feuer auf ein Auto eröffnet, darin eine Mutter tötet und ihre drei Töchter verletzt. Die Familie hatte - offenbar von der Sonne geblendet - die Aufforderung zum Halten übersehen. Ein anderer Bericht dokumentiert, wie sich zwei irakische Aufständische den US-Soldaten in einem Hubschrauber ergeben wollten. Die Soldaten fragten beim Stützpunkt um Rat. Die Antwort: Festnahmen im Hubschrauber seien nicht möglich, die kapitulationsbereiten Iraker seien also "immer noch als Ziele" anzusehen. Sie wurden daraufhin kurzerhand erschossen.
Wütende Reaktion der US-Regierung
Die US-Führung sieht in der Veröffentlichung der Geheimdokumente keinen Beitrag zur Aufarbeitung des Irak-Kriegs, sondern eine schwerwiegende Sicherheitsgefährdung. Außenministerin Hillary Clinton sagte, es sei strengstens zu verurteilen, wenn durch solche Enthüllungen das Leben von Soldaten und Zivilisten aus den USA und ihren Partnerländern gefährdet werde. US-Generalstabschef Mike Mullen kritisierte nach der Veröffentlichung, dass dadurch Feinde der USA wichtige Informationen erhielten.
Die wütende Reaktion der US-Regierung macht deutlich, wie groß die Furcht vor der Sprengkraft solcher Enthüllungen ist. Völlig ungelöst ist die Frage, wie im digitalen Zeitalter Vertraulichkeit zu gewährleisten ist, wenn ein einzelner Mitarbeiter mit ein paar Mausklicks zehntausende Dokumente in die Öffentlichkeit tragen kann.
Im Pentagon hatte seit Wochen ein 120 Mitarbeiter starker Sonderstab die Dokumente ausgewertet und mögliche Schäden untersucht. Das Pentagon stilisierte die Veröffentlichung zu einer moralischen Frage hoch - auch um Wikileaks als unmoralisch hinzustellen. Pentagon-Sprecher Dave Lapan bezeichnete Wikileaks entsprechend als "ehrlose Institution". Ob er die Auswirkungen der Dokumente damit verringern kann, bleibt zu bezweifeln.
Quelle: ntv.de, Peter Wütherich, AFP