Politik

"Man muss fast wieder bei Null anfangen" Wikileaks führt US-Diplomaten vor

Wikileaks hatte die Veröffentlichung der brisanten Dokumente angekündigt und der US-Regierung die Möglichkeit gegeben, darauf zu reagieren.

Wikileaks hatte die Veröffentlichung der brisanten Dokumente angekündigt und der US-Regierung die Möglichkeit gegeben, darauf zu reagieren.

(Foto: dpa)

Die Veröffentlichung der über 250.000 vertraulichen Depeschen durch Wikileaks machen aus der US-Außenpolitik einen großen Scherbenhaufen. Zwar sind alle Beteiligten um Schadensbegrenzung bemüht, doch das Vertrauen ist zerstört. Vor allem für die USA und die Sicherheit ihrer Kommunikationsmittel sind die Enthüllungen ein Desaster.

Wikileaks bringt mit der Enthüllung der mehr als 250.000 vertraulichen Depeschen die US-Regierung in Erklärungsnot und weckt international Sorgen um das Verhältnis zu den USA. Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland John Kornblum sprach von einem Vertrauensbruch in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. "Diplomatie (...) muss auf der Basis von Vertrauen funktionieren und wenn das Vertrauen gebrochen ist, was jetzt der Fall ist, dann muss man fast bei Null wieder anfangen", sagte Kornblum im ZDF.

Schadensbegrenzung: US-Präsident Obama wird mit so einigen seiner Verbündeten sprechen müssen.

Schadensbegrenzung: US-Präsident Obama wird mit so einigen seiner Verbündeten sprechen müssen.

(Foto: dpa)

Die schwerwiegendste Konsequenz für die US-Diplomatie sei, dass Verbündete in Zukunft zweimal überlegen müssten, welche Informationen sie mit den Amerikanern teilten. "Die Ära, wo man vertraulich miteinander spricht und sagt: 'Keine Sorge, das wird nicht in die Zeitung kommen', die ist vorbei." Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, sieht deshalb die USA in der Pflicht. Es sei nun an Amerika, klar zu machen, welche Sicherheitsmaßnahmen sie treffen. "Sonst werden Amerikaner in der Tat offene Worte von ihren Verbündeten nicht mehr so viel zu hören bekommen."

Größtes Problem, so Polenz, seien nicht die wenig schmeichelhaften Urteile der Amerikaner über Politiker in aller Welt. Gefährlich sei dagegen die Veröffentlichung von Papieren über US-Strategien etwa im Nahen Osten. Noch wisse man aber nicht, was genau in den Dokumenten stehe. Ihre Brisanz sei deshalb noch nicht völlig zu übersehen.

"Schwerer Schaden"

Die Veröffentlichung der vertraulichen Depeschen bedeutet nach den Worten des früheren deutschen Botschafters in Washington, Wolfgang Ischinger, "schweren außenpolitischen Schaden". Dadurch werde das gegenseitige diplomatische Vertrauen und die Zusammenarbeit "in ganz prinzipieller Weise" beschädigt, sagte Ischinger der "Bild"-Zeitung. Die Veröffentlichung sei vor allem "problematisch im Hinblick auf weniger stabile zwischenstaatliche Beziehungen." Für das deutsch-amerikanische Verhältnis befürchtet er aber keinen größeren Schaden. Die Veröffentlichung der Depeschen sei zwar nicht erfreulich, aber "ein Malheur, das die deutsch-amerikanischen Beziehungen überleben werden."

Auch Entwicklungsminister Dirk Niebel sieht das deutsch-amerikanische Verhältnis durch die jüngsten Wikileaks-Enthüllungen von US-Depeschen nicht belastet. Das Verhältnis sei stabil. Allerdings werde sich jeder überlegen, wem er in Zukunft welche Dinge ganz offen sage. Er wundere sich über die Aufgeregtheit. "Man hätte genauso gut den 'Spiegel' der letzten drei Monate veröffentlichen können. Das hätte ähnliche Inhalte mit sich gebracht", sagte Niebel. "Das eigentlich Interessante an dem Thema ist die Frage von Datensicherheit, Datenschutz und dem Umfang, in dem Daten gesammelt werden."

"Man muss es nur wissen"

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sagte zu den Veröffentlichungen: "Das zeigt, dass man kaum Gespräche führen kann, die nicht öffentlich werden. Man kann damit leben. Man muss es nur wissen."

Kornblum attestierte deshalb den Sicherheitsvorkehrungen der USA eine "große Schwäche". Es sei niederschmetternd, dass geheime Daten an die Öffentlichkeit gelangt seien. Er wies aber die Kritik zurück, US-Diplomaten arbeiteten wie Nachrichtendienste. "Wenn man einen Informanten hat, bedeutet das nicht, dass das geheimdienstlich ist." Wie Journalisten zehrten auch Diplomaten von den Informationen der Politiker. Anders als bei Geheimdiensten werde in der Diplomatie unter klaren Bedingungen gesprochen. Der Gefragte wisse immer, dass Diplomaten Daten an ihr Heimatland weitergeben. "Ein Spiondienst macht das etwas verdeckter."

US-Regierung verärgert

Die Internetplattform Wikileaks hatte am Sonntag mehr als 250.000 Dokumente von US-Diplomaten in aller Welt veröffentlicht. Mehrere Zeitungen berichteten am Sonntagabend ausführlich über die Inhalte der Depeschen, in denen Details aus vertraulichen Gesprächen sowie persönliche Einschätzungen über Politiker enthalten sind.

Die US-Regierung hat die Veröffentlichung aufs schärfste verurteilt. Es sei "rücksichtslos" und "gefährlich", erklärte der Sprecher von Präsident Barack Obama, Robert Gibbs. Die Publikation der vertraulichen und teils geheimen Dokumente gefährde weltweit Regimekritiker und Oppositionsführer, die im Kontakt mit amerikanischen Diplomaten stünden. Der Ärger für die US-Regierung dürfte aber noch nicht vorbei sein. Nach Beginn der Veröffentlichung sollen in den nächsten Tagen noch mehr der Dokumente ins Netz gelangen.

Die Enthüllungs-Aktivisten von Wikileaks haben nach eigenen Angaben der US-Regierung aber angeboten, die Namen von gefährdeten Informanten aus der Datenbank der diplomatischen Depeschen zu entfernen. Über den Kurznachrichtendienst Twitter verwies die Enthüllungsplattform auf ein Schreiben des Wikileaks-Gründers Julian Assange an den US-Botschafter in London, Louis B. Susman, vom vergangenen Freitag. Darin fordert Assange als "Chefredakteur" von Wikileaks die US-Regierung auf, ihm die Namen der Personen zu nennen, die durch eine Veröffentlichung der Dokumente einer signifikanten Gefahr ausgesetzt seien. Assange sagte in dem Schreiben an Susman zu, die Hinweise der Amerikaner auf gefährdete Personen vertraulich zu behandeln. "Wir sind darauf vorbereitet, solche Hinweise ohne Zeitverzögerung zu verarbeiten."

Peinlich bis verletzend

Gesprächsbedarf: US-Botschafter Murphy und Außenminister Westerwelle.

Gesprächsbedarf: US-Botschafter Murphy und Außenminister Westerwelle.

(Foto: dpa)

Was bisher bekannt wurde, enthüllt wenig schmeichelhafte Urteile der Amerikaner über Politiker in aller Welt - auch über die deutschen Partner. Kanzlerin Angela Merkel bescheinigten sie etwa, "selten kreativ" zu sein und das Risiko zu meiden. Vor allem Außenminister Guido Westerwelle wird kritisch beurteilt. Kurz vor der Bundestagswahl im September 2009 heißt es laut "Spiegel" in einer Einschätzung Murphys zu dem FDP-Chef: "Er wird, wenn er direkt herausgefordert wird, vor allem von politischen Schwergewichten, aggressiv und äußert sich abfällig über die Meinungen anderer Leute."

Die Dokumente beinhalten zudem heikle Charakterisierungen über Politiker aus aller Welt: Der afghanische Präsident Hamid Karsai wird als "schwache Persönlichkeit" beschrieben, die von "Paranoia" und "Verschwörungsvorstellungen" getrieben werde. Russlands Premierminister Wladimir Putin werde als "Alpha-Rüde" bezeichnet, als dessen "Sprachrohr" in Europa zunehmend Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi erscheine. Russlands Präsident Dmitri Medwedew sei dagegen "blass" und "zögerlich". Neben "Spiegel" und "New York Times" veröffentlichten auch der britische "Guardian", die französische "Le Monde" sowie "El País" aus Spanien ihre Analysen des Materials zeitgleich im Internet.

Verbündete kritisieren Wikileaks

Schwedens Außenminister Carl Bildt verurteilt die Veröffentlichung als "gefährlich für die Lösung von Konflikten". Regierungen müssten "in kritischen Situationen die Möglichkeit zu vertraulichen Konsultationen haben". "Sonst bekommen wir eine Megafon-Diplomatie. Die kann zu mehr Konflikten und neuen Problemen führen, wie ich aus eigener Erfahrung weiß", sagte Bildt. Zu den Motivien hinter den jüngsten Enthüllungen von Wikileaks meinte der schwedische Außenminister: "Das politische Ziel ist es, den USA zu schaden." Es werde lange dauern, den Schaden durch die Veröffentlichungen zu reparieren. "Unterminiert man die Diplomatie so, wie das jetzt passiert, unterminiert man auch deren Rolle bei der Vorbeugung von Konflikten."

"Alpha-Rüde" Putin und seine "Sprachrohr" Berlusconi.

"Alpha-Rüde" Putin und seine "Sprachrohr" Berlusconi.

(Foto: AP)

Die pakistanische Regierung kritisierte die Veröffentlichungen ebenfalls scharf. "Derart sensible Dokumente hätten nicht auf diese Weise offengelegt werden dürfen", sagte der Sprecher des Außenministeriums, Abdul Basit. Unter anderem soll Washington Pakistan im Jahr 2007 aus Angst vor einem Angriff radikaler Islamisten dazu gedrängt haben, hoch angereichertes Uran aus einer Nuklearanlage zu entfernen. Dies sei jedoch von Islamabad abgelehnt worden, erklärte Basit. "Die Dokumente zeigen deutlich, dass die pakistanische Führung genau weiß, das Atomprogramm zu verteidigen", sagte Basit. "Wir haben unsere nationalen Interessen sehr gut geschützt und werden das auch in Zukunft tun."

Russland hat dagegen mit Zurückhaltung auf die Publikation reagiert. "Vor Abgabe eines Kommentars müsste man erst das Originaldokument sehen und zudem prüfen, ob der eine andere andere Ausdruck korrekt übersetzt wurde", sagte der Sprecher von Regierungschef Wladimir Putin, Dmitri Peskow. Jede schnelle Reaktion auf eine angebliche Einschätzung Putins durch US-Diplomaten wäre verfrüht. "Erst wenn man weiß, dass es sich bei der erwähnten Person wirklich um den russischen Regierungschef handelt, könnte man sich äußern." Ähnlich äußerte sich ein Sprecher des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan. Beide Regierungen werden in den zitierten Depeschen alles andere als wohlwollend beschrieben.

Quelle: ntv.de, tis/dpa/rts/AFP

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