Politik

Geheimsache Uran "Wir werden für dumm verkauft"

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In Deutschland gab es einmal Uranabbau: in Sachsen und Thüringen, gefördert von der "Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut". Dabei starben vermutlich tausende Kumpel an Lungenkrebs, die Zahl der anerkannten Strahlenopfer steigt noch immer.

(Foto: picture-alliance/ ZB)

Atomkraft ist nicht sicher, sagt Astrid Schneider und meint damit nicht nur die Kernkraftwerke, sondern auch deren Brennstoff. Uran komme keineswegs aus den vielbeschworenen sicheren Herkunftsländern, noch weniger sei es ein heimischer Energieträger. "Wir sind beim Uran nicht nur zu 100 Prozent importabhängig von zumindest teilweise problematischen Staaten, sondern auch abhängig von einem hoch volatilen Markt", sagt die Sprecherin der Grünen-Bundesarbeitsgemeinschaft Energie. "Das ganze System läuft auf Durchfluss." Dem Bundeswirtschaftsministerium wirft Schneider vor, "systematisch alle Daten zur Uranherkunft für deutsche Atomkraftwerke" zu verheimlichen.

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Kauf von Natururan durch EU-Energieversorger nach Herkunftsland von 1992 bis 2008 in (tU)

(Foto: Astrid Schneider. Daten: Euratom Supply Agency - Annual Report 2008)

n-tv.de: Woher kommt das Uran für die deutschen Kernkraftwerke?

Astrid Schneider: Das Bundeswirtschaftsministerium führt Statistiken über Einfuhr und Ausfuhr aller möglichen Güter, insbesondere über die Einfuhr von Energieressourcen. Man findet auf den Internetseiten des Ministeriums exakte Statistiken über Gas, über Kohle, über Öl - aus welchem Land in welchem Jahr zu welchem Preis wie viel geliefert wurde. Zu Uran gibt es nur allgemeine Hinweise, dass es aus "politisch stabilen Regionen" komme, wie zum Beispiel Australien, Kanada und Südafrika.

Sie sagen, Uran komme heute zu großen Teilen aus Kasachstan.

Das bezieht sich auf den Weltmarkt: Der wird seit 2009 von Kasachstan als größtem Uranexporteur dominiert. Wo das Uran für deutsche Atomkraftwerke heute und zukünftig her kommt, lässt sich nicht exakt nachvollziehen. Sicher ist, dass vom Bundeswirtschaftsministerium der falsche Eindruck erweckt wird, Uran sei eine "quasi einheimische Energie", weil "die Veredelung des Urans in Deutschland erfolgt". Das ist nicht richtig. Wir sind zu 100 Prozent importabhängig. Von wem wir da genau abhängig sind, ist aber unklar.

Gibt es denn keine offiziellen Statistiken?

Die einzige für Deutschland relevante offizielle Statistik, die man findet, ist von der Euratom Supply Agency, die für die Europäische Union entsprechende Zahlen ermittelt. Da stellt man fest: 17 Prozent des 2008 in die EU importierten Urans kamen aus Russland, wobei die Euratom Supply Agency anmerkt, man wisse nicht, wo das russische Uran in Wirklichkeit herkomme, weil Russland weniger abbaut als es selbst in den eigenen Atomkraftwerken verbraucht. Russland bezieht Uran aus Kasachstan, Usbekistan und der Ukraine. Von diesen Lieferländern sind noch weitere Anteile bei der Euratom Supply Agency zusätzlich ausgewiesen.

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Astrid Schneider ist Sprecherin der Grünen-Bundesarbeitsgemeinschaft Energie und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Sie ist Mitautorin des Buches "Störfall Atomkraft: Sieben Schritte zu einer Welt ohne atomare Bedrohung".

Was ist schlimm daran, wenn unser Uran aus Kasachstan oder Usbekistan kommt?

Der Bürger wird für dumm verkauft: Immer wieder wird uns erklärt, dass wir uns nicht zu stark von russischem Gas abhängig machen dürfen. Nach dem Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine im vergangenen Winter empfahl der damalige Wirtschaftsminister Glos Kernenergie als Alternative. Dabei macht Kernkraft uns weder importunabhängig, noch macht es uns unabhängig von Russland! Wir sind bei Gas und beim Uran gleichermaßen von Russland abhängig.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schreibt in einer Studie, der deutsche Bedarf an Natururan sei 2007 "fast ausschließlich über langfristige Verträge von Produzenten in Frankreich, Kanada, den USA und Großbritannien" bezogen worden.

Das ist ein typischen Beispiel für Volksverdummung: In Frankreich und England wird kein Uran gefördert, sie sind selbst zu 100 Prozent importabhängig. Die USA importieren rund 95 Prozent ihres Uranbedarfes und sind der weltgrößte Uranimporteur. Der Uranmarkt ist komplett verdeckt, weil er ausschließlich zwischen Staaten bzw. Staatsbetrieben und den großen Energieversorgungsunternehmen stattfindet. Dadurch hat die Allgemeinheit keinerlei Einblick in den Markt. Die Euratom Supply Agency hat eine Statistik über den Verlauf der bisherigen Uran-Lieferungen, die erstaunlich große Sprünge aufweist: 2007 hatte Russland einen Anteil von knapp 25 Prozent, 2008 waren es nur noch 17 Prozent. Der Markt scheint sehr volatil zu sein. Ein Extrembeispiel ist die Preisentwicklung im Sommer 2007, als der Uranpreis kurzzeitig um 1300 Prozent nach oben schoss. Von diesen Entwicklungen auf dem Weltmarkt sind wir voll abhängig.

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Durchschnittlicher Uranpreis 1980-2008 für mehrjährige Lieferabkommen und Spotmarktpreise (in Dollar und Euro).

(Foto: Astrid Schneider. Daten: Euratom Supply Agency - Annual Report 2008)

Sie sagen, in Deutschland lagere Uran für nur ein Jahr. Haben Sie dafür Belege?

Einen Beleg dafür findet man im berühmten Uranium-Redbook. Das ist eine weltweite Statistik-Sammlung zu Atomkraft, die herausgegeben wird von der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEO) und der Nuclear Energy Agency, einer OECD-Organisation. Dort wird aufgeführt, wie viele Atomkraftwerke ein Land hat, wie viel Uran dort verbraucht wird, wie viel Uran ein Land gegebenenfalls fördert und wie viel Uran dort lagert. Deutschland hat keine offiziellen Angaben gemacht, aber für das Redbook wurde anhand von Industriedaten ermittelt, dass hierzulande Uran für ein knappes Jahr lagert - wobei ich annehme, dass in den Mengen, die dort genannt sind, auch das Uran enthalten ist, das am Urenco-Standort im westfälischen Gronau lagert, so dass Deutschland nicht einmal die gesamten hiesigen Uranvorräte zur Verfügung stünden. (Anm.: Die Firma Urenco betreibt für Deutschland und andere europäische Staaten Anreicherung.) Wir sind beim Uran nicht nur zu 100 Prozent importabhängig von zumindest teilweise problematischen Staaten, sondern auch abhängig von einem hoch volatilen Markt. Wir haben kein Polster. Das ganze System läuft auf Durchfluss. Und die Lagerbestände werden sich weiter verknappen.

Warum?

Der Uranbedarf der heute laufenden Atomkraftwerke wird zu 60 Prozent aus aktueller Uranförderung bedient, zu 40 Prozent aus Lagerbeständen. Das ist das Kernproblem der weltweiten Atomwirtschaft, das macht den Markt so anfällig: Der Anteil von 40 Prozent ist nicht langfristig gesichert. Das Redbook weist aus, dass diese Lagerbestände selbst dann, wenn die letzte Atomrakete verschrottet und in Brennstäbe überführt worden ist, nur noch für 25 Jahre reichen. Und von einer Abrüstung in diesem Ausmaß ist auf die Schnelle wohl nicht auszugehen.

Woher kommen die 40 Prozent?

Die sind eine Folge des Kalten Kriegs. In den 1970er Jahren wurde wesentlich mehr Uran gefördert, als verbraucht wurde. Das hatte zwei Gründe: Einerseits hatte man damals die Vision, sehr viel mehr Atomkraftwerke zu bauen als dann tatsächlich gebaut wurden. Zweitens wurde ein großer Teil des Urans für die Rüstung gefördert. Nach dem Ende der Rüstungsspirale vereinbarten die USA mit Russland, dass sie russisches Uran aus Nuklearwaffen für Brennstäbe geliefert bekommen. Dieser Vertrag läuft 2013 aus. Russland hat angekündigt, dass es diesen Vertrag nicht verlängern will, was Schockwellen durch den Markt geschickt und im Sommer 2007 mit dazu beigetragen hat, dass der Uranpreis so durch die Decke geschossen ist. Die Ankündigung traf zusammen mit dem vorläufigen Scheitern des weltweit wichtigsten Uranminenprojektes in Kanada: der Mine Cigar Lake, welche zum wiederholten Mal voll Wasser lief.

Wie schätzen Sie die gegenwärtige Lage ein?

Die westliche Atomwirtschaft steht auf äußerst wackeligen Beinen: Ihre Uranlager leeren sich und die neuen Minenprojekte in OECD-Ländern haben große Probleme. Gleichzeitig wächst die Uran-Abhängigkeit des Westens von unsicheren Herkunftsländern im ehemaligen Ostblock und in Afrika - und von der Abrüstungsbereitschaft Russlands.

Mit Astrid Schneider sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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