Politik

Bürokratie und Papierberge Wo bleiben die syrischen Flüchtlinge?

Bisher sind nur rund 500 Syrer nach Deutschland eingereist.

Bisher sind nur rund 500 Syrer nach Deutschland eingereist.

(Foto: dpa)

Im März beschließt Deutschland, 5000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen - ein halbes Jahr später haben es gerade einmal 457 von ihnen in die Bundesrepublik geschafft. Die Gründe dafür sind typisch deutscher Natur.

Die Botschaft war wohlklingend. Im März erklärte sich der Bund bereit, 5000 syrische Flüchtlinge aus der Bürgerkriegsregion zu holen. Doch in den vergangenen sechs Monaten hat sich wenig getan. Es stockt an vielen Stellen. Vor zwei Wochen trafen die ersten 107 Flüchtlinge per Charterflug ein. Etwa 350 weitere organisierten die Einreise selbst. Und die übrigen 4500?

Das Verfahren sei kompliziert und brauche Zeit, vertröstet die scheidende Bundesregierung. Die nächsten Syrer sollen Anfang Oktober kommen. Bis alle 5000 da sind, werden einige weitere Monate vergehen. Und dann wären da noch andere Probleme: Wer als Syrer schon in Deutschland lebt und Verwandte herholen will, steht vor hohen Kosten und bürokratischen Hürden.

Zwei Millionen Flüchtlinge

Nach UN-Angaben sind schon zwei Millionen Menschen aus Syrien vor dem Bürgerkrieg geflohen. Die meisten sitzen in Nachbarländern fest, allein 720.000 im Libanon. Von dort sollen die 5000 Flüchtlinge für das deutsche Programm kommen. Doch das gestaltet sich schwierig.

Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR sucht nach vorgegebenen Kriterien geeignete Kandidaten aus, es folgen allerlei Überprüfungen. Und ohne eine Ausreisegenehmigung der libanesischen Behörden geht nichts. An beiden Stellen hakte es zuletzt - mal bei der Auswahl durch das UNHCR, mal beim Okay der Libanesen.

"Es dauert viel zu lang", sagt Franziska Vilmar, Asylexpertin von Amnesty International in Deutschland. Das Verfahren sei aber kaum anders zu regeln. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, betont, die Situation sei schwierig. "Wie wollen Sie 5000 Menschen aus zwei Millionen auswählen? Eine Lotterie wäre genauso fair."

Viele Syrer schafften es in den vergangenen Monaten aus eigener Kraft bis nach Deutschland. Etwa 18.000 kamen seit dem Ausbruch des Syrien-Konflikts im März 2011, um hier Asyl zu beantragen. Die Zahl steigt jeden Monat. Etwa 45.000 Syrer leben insgesamt in Deutschland.

Verwandte nachholen zu kostspielig

Mustafa Gumrok ist Vorsitzender des Deutsch-Syrischen Vereins.

Mustafa Gumrok ist Vorsitzender des Deutsch-Syrischen Vereins.

(Foto: dpa)

Für sie gibt es inzwischen das Angebot der Bundesländer, dass sie Verwandte nachholen können. Doch wer das tut, muss sich verpflichten, komplett für den Lebensunterhalt der Angehörigen aufzukommen - für Wohnung, Essen, Kleidung, Krankenversicherung. Pro Kopf sind das Kosten von mehreren hundert Euro im Monat.

Für Mustafa Gumrok ist das zu viel. Der 63-jährige Syrer lebt seit mehr als 30 Jahren in Berlin, engagiert sich in deutsch-syrischen Vereinen, organisiert Hilfstransporte in die alte Heimat. Drei seiner Schwestern sitzen noch in Aleppo im Norden Syriens fest.

Gumrok würde die drei gerne zu sich holen. Er hat ein gutes Leben in Berlin - Ehefrau, drei Kinder, Job als Ingenieur, ordentliches Einkommen. Aber mehrere hundert Euro im Monat für jede Schwester - das schafft auch er nicht: "Selbst wenn man hier arbeitet und gut verdient, ist man nicht in der Lage, das zu schultern."

Beispielrechnungen zufolge müsste ein alleinstehender Syrer, der seinen Bruder nach Deutschland holen will, dafür ein Netto-Einkommen von gut 2000 Euro vorweisen. Nichts für Geringverdiener also.

Zu viel Bürokratie

Außerdem gebe es noch andere Hürden, sagt Gumrok. Seine Schwestern müssten es raus aus Syrien schaffen, sich bis zur nächsten deutschen Botschaft in Ankara oder Beirut durchschlagen, dort auf ein Visum warten. In Deutschland dann wieder Papierberge, die Suche nach einer Krankenkasse und all das. Er schüttelt den Kopf: "Wozu die ganze Bürokratie? Die Menschen in Syrien leiden. Es ist ein Notfall."

Burkhardt klagt, der Verwandtennachzug sei "bürokratisch bis zum Anschlag". "Die Hürden sind so hoch, dass de facto nur wenige kommen werden." Vilmar ist bislang nicht bekannt, dass überhaupt jemand das Angebot der Bundesländer genutzt hätte.

Den beiden reicht das deutsche Engagement bei weitem nicht. "Das kann nur ein erster Schritt sein", sagt Vilmar. 5000 Menschen - genau so viele flüchteten jeden einzelnen Tag aus Syrien in Nachbarländer. Auch Burkhardt ist unzufrieden: "Gemessen an dem Drama vor Europas Grenzen ist das alles beschämend wenig."

Quelle: ntv.de, Christiane Jacke, dpa

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