Dritter Tag im NSU-Prozess Wohllebens Anwältin spinnt Verschwörungstheorie
15.05.2013, 13:27 Uhr
Wohlleben und Schneiders kennen sich aus NPD-Zeiten.
(Foto: REUTERS)
Beim NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer beantragt die Verteidigerin des Ex-NPD-Funktionärs Wohlleben die Einstellung des Verfahrens. Ihre Begründung: Staatliche Stellen betrachteten die NSU-Mordserie als Fakt, obwohl die Beteiligung der Gruppe noch gar nicht bewiesen sei. Und sie behauptet, dass Geheimdienste in die NSU-Morde verstrickt sein könnten.
Vor dem Oberlandesgericht München hat der dritte Verhandlungstag des NSU-Prozesses begonnen. Einen Tag nach der Verlesung der Anklage gegen Beate Zschäpe muss sich das Gericht mit weiteren Anträgen befassen. Geplant ist jedoch auch, mit der Vernehmung der Angeklagten zu beginnen.
Die Anwältin des Angeklagten Ralf Wohlleben, Nicole Schneiders, beantragte, die Verhandlung auszusetzen. Sie begründete ihren Antrag damit, dass Akten nicht vollständig seien, weil nicht alle Beweisstücke und Asservate übermittelt worden seien.
Später teilte sie mit, dass sie Akteneinsicht zum Mordfall Michèle Kiesewetter beantragen wolle. Die Polizistin wurde 2007 mutmaßlich von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Heilbronn ermordet. Schneiders behauptete, in die NSU-Morde seien mehrere Geheimdienste verwickelt. Ein faires Verfahren gegen ihren Mandanten sei deshalb nicht möglich. Die Anwältin vertrat auch die Ansicht, Wohlleben sei durch die Berichterstattung in den Medien bereits vorverurteilt. Schneiders kritisierte, dass auch offizielle staatliche Stellen die NSU-Mordserie als Fakt betrachteten. Als Beispiele nannte sie Trauer- und Gedenkfeiern für Opfer von Neonazi-Terror und die Tatsache, dass Straßen nach NSU-Opfern benannt worden seien, ohne darauf hinzuweisen, dass die Schuld der Terrorzelle nicht nachgewiesen sei. Deshalb müsse das Verfahren eingestellt werden.
Schneiders war Anfang der 2000er Jahre Mitglied der NPD und gilt als Anwältin der Neonazi-Szene. Nebenkläger-Anwalt Thomas Bliwier kritisierte Schneiders Anträge als "heiße Luft" und "Stimmungsmache".
Bevor die Verhandlung überhaupt begann, wurde Maik E., der Bruder des Angeklagten André E. von Polizisten aus dem Saal geführt. Der Grund ist bislang unklar. E. hatte bereits am Vortag im Zuschauerraum gesessen, trug die gleiche Kleidung wie sein Zwillingsbruder auf der Anklagebank. Maik E. ist ein bekennender Neonazi.
Eigenes Verfahren für Keupstraßenanschlag?
Noch keine Entscheidung ist darüber gefallen, ob der Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße 2004 vom laufenden Verfahren abgetrennt wird. Dies hatte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl angeregt, um die hohe Zahl an Nebenklägern in dem laufenden Prozess zu begrenzen. Mittlerweile nehmen 148 Opfer, Hinterbliebene und ihre Anwälte an dem Verfahren teil.
Anwältin Sabine Singer, die Opfer des Nagelbombenanschlags vertritt, wandte sich gegen diese Überlegungen. "Das wäre ein ganz falsches Signal", sagte sie. Würde er vom Verfahren abgetrennt, müssten die Opfer das Ende des ersten Prozesses abwarten. Werde Zschäpe dann tatsächlich wegen Mordes verurteilt, drohe die Einstellung des Verfahrens um den Kölner Anschlag, da dort keine höhere Strafe mehr möglich sei.
Die zuständige Ombudsfrau der Bundesregierung, Barbara John, hält eine mögliche Abtrennung hingegen nicht für falsch. "Ich kann mir vorstellen, dass das Sinn macht", sagte John mit Blick auf die große Zahl der Nebenkläger. "Sie müssen auch Möglichkeiten haben tatsächlich intervenieren zu können, und wenn da über 100 Nebenkläger sitzen, ist das wahrscheinlich nicht so gut."
Bei dem Anschlag 2004 waren 22 Menschen teils lebensgefährlich verletzt worden. Gerade hier könnten sich noch viele zusätzliche Nebenkläger melden - schon jetzt sind 86 zugelassen. Sollte die Abtrennung des Verfahrens vollzogen werden, würde es einen zweiten NSU-Prozess geben. Der Vorwurf im Zusammenhang mit diesem Anschlag könnte auf versuchtem Mord lauten.
John begrüßte, dass am zweiten Verhandlungstag die Anklage verlesen worden war. "Endlich, endlich werden auch die Verbrechen in den Gerichtssaal gezogen." Götzl habe gezeigt, dass er auf Beschleunigung dringen könne. "Das wird er sicher auch weiter tun, jedenfalls wünsche ich mir das."
"Gleichberechtigtes Mitglied eines Tötungskommandos"
Bundesanwalt Herbert Diemer hatte Zschäpe am Dienstag der Mittäterschaft bei der Ermordung von zehn Menschen beschuldigt. Zschäpe und ihre verstorbenen Mittäter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seien dabei von den übrigen Angeklagten unterstützt worden, sagte Diemer.
Aus rechtsextremistischen Motiven hätten die Terroristen demnach zehn ihnen völlig unbekannte Menschen ermordet. Am helllichten Tag betraten die Täter die Läden ihrer arg- und wehrlosen Opfer und schossen ihnen ohne Vorwarnung aus nächster Nähe in den Kopf, so die Anklage.
Den Vorwurf der Mittäterschaft gründet die Bundesanwaltschaft vor allem darauf, dass Zschäpe Böhnhardt mehrmals bei der Anmietung von Wohnmobilen begleitet und sich an der Beschaffung von Waffen beteiligt habe. "Wir sehen sie als gleichberechtigtes Mitglied eines Tötungskommando", sagte Oberstaatsanwältin Anette Greger und sprach von "verabscheuungswürdigen Taten".
Gerichtssprecherin Andrea Titz kündigte unterdessen an, dass die ersten Zeugen erst für den 4. Juni geladen sind. Insgesamt sollen mehr als 600 Zeugen befragt werden.
Quelle: ntv.de, sba