Überzeugte Nazis und bekehrte Aussteiger Das sind Zschäpes Mitangeklagte
02.05.2013, 10:59 Uhr
Uwe Böhnhardt (M. ) und Ralf Wohlleben (r. ), aufgenommen im Herbst 1996 in Erfurt.
(Foto: dapd)
Die Taten des NSU sind ohne Unterstützer kaum denkbar. Deshalb sitzen mit Beate Zschäpe vier weitere Beschuldigte auf der Anklagebank. Sie könnten kaum unterschiedlicher sein: Da gibt es den gestandenen NPD-Funktionär, der bis ins Gefängnis von einem Neonazi-Netzwerk unterstützt wird. Es gibt aber auch diejenigen, die längst einen anderen Weg eingeschlagen haben.
Das NSU-Verfahren heißt offiziell "Strafverfahren gegen Beate Z. und andere wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung". Auch wenn Beate Zschäpe als Hauptangeklagte in vielem noch rätselhaft bleibt, ist sie doch diejenige, die die Schlagzeilen bestimmt hat. Ihr Bild ist präsent, ihre Familiengeschichte und die ihrer Radikalisierung wurden in zahlreichen Artikeln und Dokumentationen erzählt. Doch mit Zschäpe stehen vier mutmaßliche Terrorhelfer vor Gericht, und von den anderen Angeklagten weiß man weitaus weniger.
Ralf Wohlleben
Einer der bekanntesten ist Ralf Wohlleben. Der Ex-NPD-Funktionär sitzt seit dem 29. November 2011 in Untersuchungshaft - fast genauso lange wie Zschäpe. Zunächst war er in der Justivollzugsanstalt Tonna bei Gotha inhaftiert. Nach einem Versuch, die Postkontrolle zu umgehen, wurde sein Kontakt zu anderen Gefangenen unterbunden. Er bekam separate Aufschlusszeiten seiner Zelle, wurde schärfer kontrolliert. Im Oktober 2012 wurde er, noch vor Zschäpe, nach München Stadelheim verlegt. Auch dort befindet er sich in Isolation.
Der Mann hatte sich in den vergangenen 20 Jahren ein weit verzweigtes Netzwerk in der rechtsextremen Szene und der NPD aufgebaut. Er kandidierte bei mehreren Wahlen für die NPD und brachte es bis zu deren stellvertretendem Landesvorsitzenden in Thüringen. Der gelernte Informatiker betrieb zudem einen eigenen Hostingservice für Internetseiten mit rechtsextremen Inhalten. Inzwischen ist er zwar nicht mehr NPD-Mitglied, in der rechten Szene hat der 38-Jährige aber bis heute Unterstützer. So veröffentlichten Neonazi-Bands eine Unterstützer-CD, Rechtsextreme sammelten Geld für seine Verteidigung und seine Familie und versorgten ihn auch in der Haft mit einschlägigen Publikationen. Auch an seinen Überzeugungen dürfte sich kaum etwas geändert haben, seine Briefe aus der Haft verziert er schon mal mit Hakenkreuzen.
Seit Wohlleben in Haft sitzt, gibt es immer wieder Aktionen für "Wolle", wie er in der Szene genannt wird. So trugen im vergangenen Jahr einige NPD-Politiker Anstecker mit der Botschaft "Freiheit für Wolle". Zu seinem 37. Geburtstag erschienen im vergangenen Jahr am 27. Februar in mehreren thüringischen Tageszeitungen Geburtstagsanzeigen. Sie lauteten beispielsweise: "Zum Ehrentag für Wolle. Zweifle an der Sonne Klarheit. Zweifle an der Sterne Licht. Nur an unserer Treue nicht." Inzwischen werden die Solidaritätsaktionen für ihn häufig von einem Bild begleitet, das ein niedliches Comic-Schaf mit braun-schwarzen Pfoten zeigt.
1998 soll Wohlleben Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die er seit Anfang der 1990er Jahre aus dem Winzerklub in Jena-Winzerla kennt, beim Untertauchen finanziell geholfen und ihnen auch später Geld zukommen lassen haben. Die Rede ist von Geräten und Kleidung, die er über Kuriere an die Drei schickte. Dem V-Mann Tino Brandt zufolge hat Wohlleben auch Szenegrößen wegen Geld, juristischer Unterstützung und möglicher Fluchtrouten ins Ausland kontaktiert. Mindestens einmal soll Wohlleben gemeinsam mit Böhnhardts Eltern Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Chemnitz besucht haben. Vor allem in den ersten Jahren der Illegalität koordinierte er den Kontakt in den Untergrund. Auf einem älteren Funktelefon fanden die Ermittler im November 2011 eine Nachricht an das Trio vom 15. September 2000: "Mir ist es zurzeit nicht möglich, mit euch zu sprechen wegen NPD-, wegen Blood-and-Honour-und bald Thüringer-Heimatschutz-Verbot. Ich gehe davon aus, dass ich überwacht werde! Meld mich! Ralf."
Ende 1999 oder Anfang 2000 soll Wohlleben dem NSU mit Hilfe des mitangeklagten Carsten S. über einen Neonazi-Laden in Jena eine Pistole vom Typ Ceska 83 und Munition verschafft haben - die Tatwaffe für die Morde an neun Kleinunternehmern. 2500 D-Mark soll Wohlleben für den Kauf bereitgestellt haben, außerdem habe er den Transport der Waffe nach Chemnitz zum damaligen Versteck des NSU organisiert, sind sich die Ankläger sicher. Nach Auffassung der Bundesanwaltschaft nahm Wohlleben auf Grund seiner eigenen Gesinnung billigend in Kauf, dass die Waffe für rechtsextremistische Morde verwendet werden konnte. Er wurde deshalb wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt. Wie Zschäpe schweigt der verheiratete Familienvater bisher eisern.
Carsten S.
Ganz anders sehen die Dinge bei Carsten S. aus. Schon beim Haftrichter gesteht er, dass er dem NSU-Trio eine Handfeuerwaffe mit Schalldämpfer geliefert hat. Auch wenn er das Fabrikat nicht nennen kann, sind sich die Ermittler sicher: Das muss die Ceska 83, Kaliber 7,65 Millimeter sein, mit der der NSU zwischen September 2000 und April 2006 neun Migranten ermordete. S. identifiziert die Waffe schließlich auf Bildern.
Den Auftrag, die Waffe zu besorgen und das Geld dafür habe er von Ralf Wohlleben bekommen, hat S. ausgesagt. Außerdem habe er Papiere besorgt, Gelder gesammelt und überwiesen, ein Moped für die Untergetauchten geklaut und nach einem neuen Quartier für das Trio gesucht. Nachdem Wohlleben zunehmend überwacht wurde, wurde für einige Zeit S. der wichtigste Kontaktmann zu den untergetauchten späteren Zwickauer Terroristen. Zeitweise ist er der Einzige, über den man Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos erreichen kann.
Der gelernte Kfz-Lackierer Carsten S. geriet schon früh in die rechtsradikale Szene. Schon mit 18 Jahren mischt er beim Thüringer Heimatschutz mit, steigt innerhalb von zwei Jahren zum führenden Mitglied der Jenaer NPD auf, sitzt im Bundesvorstand der Jungen Nationaldemokraten.
Doch im August 2000 teilt er den früheren Kameraden überraschend mit, er wolle sich nicht mehr an politischen Aktionen beteiligen. Zuvor war er kurzzeitig inhaftiert worden, damit er nicht an den rechtsradikalen "Rudolf-Hess-Aktionswochen" teilnehmen kann. Doch S. verbirgt in all den Jahren, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. Und Schwul-Sein verträgt sich mit Rechts-Sein nicht. Ob er zunehmend von Kameraden unter Druck gesetzt wurde oder den Spagat selbst nicht mehr ertragen hat, ist nicht ganz klar.
S. steigt aus der Szene aus, 2003 zieht er zu seiner Schwester ins Rheinland, beginnt ein Studium der Sozialpädagogik, engagiert sich im Schwulenreferat der Düsseldorfer Fachhochschule und arbeitet in der Düsseldorfer Aidshilfe. Nach dem Auffliegen des NSU überlegt S., seine Verbindungen zu dem Trio bei der Polizei offenzulegen. Er vertraut sich einem Anwalt an, erzählt von den Hilfsdiensten, die er geleistet hat und davon, dass er sich in Uwe Böhnhardt verliebt hatte. Die Beamten kommen ihm mit der Festnahme jedoch zuvor.
S. verliert seinen Job, doch weil er umfassend ausgesagt hat, lässt ihn die Bundesanwaltschaft im Mai vergangenen Jahres nach viermonatiger Untersuchungshaft wieder frei. Er kommt ins Zeugenschutzprogramm, nicht zuletzt auch, weil er sich nach Auffassung der Ermittler glaubhaft vom Rechtsextremismus losgesagt hat. Außerdem war er zur Tatzeit erst 19 Jahre alt, ihm könnte nach dem milderen Jugendstrafrecht der Prozess gemacht werden.
Holger G.
G. war der erste mutmaßliche NSU-Helfer, den die Polizei festnahm. Auf seinen Namen war das Wohnmobil gemietet, mit dem Böhnhardt und Mundlos zu dem gescheiterten Überfall in Eisenach fuhren, in dessen Folge die Terrorzelle aufflog.
Wie alle drei Mitglieder des NSU stammt auch G. aus Jena, er hat bereits als Mitglied der "Kameradschaft Jena" in den 1990er Jahren Kontakt mit Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos. Auch als er 1997 nach Niedersachsen zieht, bleibt er mit der Szene in Verbindung. Nach dem Abtauchen der Drei wird G. von Wohlleben um Geld gebeten, das in den Untergrund weitergeleitet werden soll. G. gibt 3000 D-Mark. Weil G. und sein Freund Böhnhardt sich ähnlich sehen, versorgt G. ihn von 2001 an mit Ausweisen, einem Führerschein und Krankenkassenkarten. Mit diesen Papieren waren das verborgene Agieren der Gruppe und die rechtsextremen Gewalttaten wahrscheinlich erst möglich.
Mit den Ausweispapieren von G. sollen Wohnmobile für die Gruppe angemietet worden sein, darunter das Fahrzeug, das bei dem Mord an dem zehnten NSU-Opfer, der Polizistin Michèle K., in Heilbronn benutzt wurde. Er soll auch versucht haben, eine Flucht des Trios ins Ausland zu organisieren. In all den Jahren hält G. telefonisch Verbindung mit Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos, anfangs auch zu den Eltern der Untergetauchten. 2005 besuchen sie ihn. Angeblich teilt er ihnen bei dieser Gelegenheit mit, dass er aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen sei. Allerdings wird er noch 2005 gemeinsam mit Mitgliedern der rechtsradikalen Organisation "Besseres Hannover" bei einer Protestaktion gegen eine Antifa-Demo fotografiert. Außerdem soll er Böhnhardt noch im Jahr 2011 einen Reisepass überlassen haben.
G. sagte gegenüber den Ermittlern umfassend aus. Er hat auch gestanden, für die Gruppe eine Waffe transportiert zu haben. Über seinen Anwalt ließ er jedoch erklären, er habe von den Morden nichts gewusst. In der rechten Szene gilt er als Verräter. Mit seinen Aussagen belastet er nicht nur sich selbst, sondern auch Wohlleben massiv. Im Mai 2012 hob der Bundesgerichtshof den gegen ihn bestehenden Haftbefehl auf, weil er vor allem für den von der Bundesanwaltschaft erhobenen Vorwurf der Beihilfe zum Mord keine hinreichenden Anhaltspunkte sah. G. befindet sich ebenfalls im Zeugenschutzprogramm, ihm wird nun Unterstützung der terroristischen Vereinigung NSU in drei Fällen vorgeworfen.
Andre E.

André E. wurde mit einem Hubschrauber zum Haftprüfungstermin beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe gebracht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Seine Überzeugung hat sich E. schon seit Jahren tätowiert: "Die Jew Die" – "Stirb, Jude, Stirb" steht auf dem Bauch, auf der Brust hat er ein Horst-Wessel-Porträt, außerdem eine "Schwarze Sonne" aus drei übereinandergelegten Hakenkreuzen am Bein und einen Wehrmachtssoldaten auf dem Arm. Seit Mitte der 1990er Jahre ist der 1980 in Johanngeorgenstadt geborene E. rechts, kahlrasiert mit Bomberjacke, wie viele Jugendliche, die ihre Kindheit noch in der untergegangenen DDR verbracht haben. Er hört rechtsextreme Musik, "Störkraft" und die "Zillertaler Türkenjäger". Sein Zwillingsbruder Maik ist ähnlich unterwegs, doch er geht es intellektueller an, beliest sich zu germanischen Bräuchen und völkischer Rassenkunde. 1998 lernt Andre E. über einen Kameraden die gerade untergetauchten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos kennen.
Ab 1999 unterstützt er das Terror-Trio aktiv, zunächst damit, dass er für sie in Chemnitz eine Wohnung anmietet. Später zieht er gemeinsam mit seiner Frau Susann nach Zwickau, ganz in die Nähe des neuen Unterschlupfs von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos. In den 14 Jahren ihrer Flucht besucht er sie immer wieder, gemeinsam mit Frau und Kindern, 2006 gibt er Zschäpe bei einer Polizeibefragung im Zusammenhang mit einem Einbruch in der Nachbarschaft gar als seine Ehefrau aus. Ab 2009 waren die NSU-Terroristen mit Bahncards unterwegs, die er beschafft haben soll. Ausgestellt waren sie auf ihn und seine Frau, die Fotos darauf zeigten jedoch Zschäpe und Böhnhardt. Am 4. November 2011, Böhnhardt und Mundlos sind bereits tot, ruft Zschäpe E. an. Sie hat die Zwickauer Wohnung in Brand gesetzt, ist auf der Flucht. Er holt sie am Zwickauer Platz der Völkerfreundschaft ab; als sie sich vier Tage später in Jena stellt, trägt sie eine Jacke und Schuhe von Susann E.. Vor seiner Festnahme im Haus seines Bruders im brandenburgischen Grabow gelingt es ihm noch, zahlreiche Dateien auf seinem Computer zu löschen.
Verdächtig ist, dass in der ausgebrannten Wohnung des Trios in Zwickau ein Flyer von E.s früherer Firma Aemedig gefunden wurde, einem Medienproduktionsunternehmen, das auf die digitale Verarbeitung von Videos und Filmen spezialisiert war. Die Ermittler vermuten, André E. könnte jenen Film produziert haben, der als Bekennervideo der Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) von den mutmaßlichen Rechtsterroristen hinterlassen wurde. Die Bundesanwaltschaft hält das für sehr wahrscheinlich; Beweise dafür aber gibt es bislang nicht.
So wirft die Bundesanwaltschaft Andre E. Beihilfe zum Sprengstoffanschlag des NSU in der Kölner Altstadt und in diesem Zusammenhang Beihilfe zum versuchten Mord sowie Beihilfe zum Raub und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor.
Quelle: ntv.de