Politik

Nach dem Urteil von MünsterWürde es der AfD schaden, als gesichert extremistisch eingestuft zu werden?

13.05.2024, 19:38 Uhr 473393580-1969698476857448-8816325097772902729-nHubertus Volmer
00:00 / 07:04
577d220899d345a88b4086f2e1e0525f
"Ich stelle sogar die These auf, dass keine andere Partei so auf dem Boden unserer Demokratie und des pluralistischen Austausches steht wie die AfD", sagte Weidel nach dem Urteil aus Münster. Die Vorstellung, nur sie selbst seien echte Demokraten, ist Teil der Selbstinszenierung der AfD. (Foto: dpa)

Die AfD stellt sich gern als verfolgte Unschuld dar, ihre Kernwähler hat sie damit "gegen negative Gerichtsurteile und die Einstufungen des Verfassungsschutzes immunisiert", wie ein Experte sagt. Das Label "gesichert extremistisch" könnte ihr dennoch schaden.

Wie sehr die AfD das Bundesamt für Verfassungsschutz fürchtet, konnte man im März bei einem Auftritt der AfD-Vorsitzenden vor der Presse beobachten. Den Verfassungsschutz nannte Alice Weidel, die Partei- und Fraktionsvorsitzende, erkennbar wütend eine "angeblich neutrale Behörde", die "aufgefahren" werde, um die AfD "vom Parteienwettbewerb auszuschließen und zu diskreditieren". Dabei sei doch die Gleichheit im Parteienwettbewerb in der Verfassung festgeschrieben.

Auch dazu äußerte sich das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Urteil vom Montag, in dem es vor allem bestätigte, dass der Verfassungsschutz die Partei als "Verdachtsfall" führen darf: Die Behörde sei absolut berechtigt, diese Einstufung öffentlich zu machen. "Dies gilt, obwohl die AfD durch die Bekanntgabe in ihren Rechtspositionen als politische Partei beeinträchtigt wird", erklärte das Gericht. Soll heißen: Nur weil es der AfD schaden könnte, kann der Verfassungsschutz nicht darauf verzichten, sie als Verdachtsfall zu benennen.

Der Rechtsstreit zwischen AfD und Verfassungsschutz läuft bereits seit 2021, als die Behörde die Partei als Verdachtsfall einstufte. Trotz der dreifachen Niederlage der AfD in Münster wird er noch eine Weile weitergehen, denn die Partei hat bereits angekündigt, in die nächste Instanz zu ziehen, vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

"Im AfD-Milieu wird der Rechtsextremismus-Begriff umgedeutet"

Parallel zur juristischen Auseinandersetzung stellt sich die Frage, ob - oder eher: wann - der Verfassungsschutz den nächsten Schritt geht und die Einstufung der AfD als "gesichert extremistische Bestrebung" vornimmt. Zwar betonte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang nach der Verkündung des Urteils, die entsprechende Prüfung sei ein "sehr ergebnisoffener" Vorgang.

Allerdings gehen Beobachter davon aus, dass die Hochstufung nur eine Frage der Zeit ist. Eine Einstufung als erwiesen rechtsextrem sei "längst überfällig", sagte etwa der Jurist Hendrik Cremer, der auch die Prüfung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD fordert. Im Februar berichtete die "Süddeutsche Zeitung", eine solche Einstufung werde bereits vorbereitet.

Möglicherweise kommt sie zu spät: Mit ihrer Diskreditierung staatlicher Institutionen habe die AfD "ihre Kernwähler gegen negative Gerichtsurteile und die Einstufungen des Verfassungsschutzes immunisiert", sagt der Politologe Johannes Hillje, der ein Buch über die politische Kommunikation der AfD geschrieben hat. "Rund zwei Drittel der AfD-Wähler vertrauen den Gerichten in Deutschland nicht. Im AfD-Milieu wird der Rechtsextremismus-Begriff als Diffamierungskampagne der Medien und anderen Parteien umgedeutet."

"Wir sind die echten Demokraten"

So äußerten sich Weidel und ihr Co-Chef Tino Chrupalla auch in ihrer Reaktion auf das Münsteraner Urteil: "Wir stehen auf dem Boden unserer demokratischen Grundordnung. Und ich stelle sogar die These auf, dass keine andere Partei so auf dem Boden unserer Demokratie und des pluralistischen Austausches steht wie die AfD", sagte Weidel.

Das passt zur Einschätzung des Politikwissenschaftlers Marcel Lewandowsky mit Blick auf populistische Parteien. "Diese Parteien und ein Großteil ihrer Wähler sagen von sich: Wir sind die echten Demokraten. Und nur, wenn der Wille des 'wahren Volkes' umgesetzt wird, leben wir auch in einer Demokratie", sagte Lewandowsky ntv.de.

Lewandowsky rechnet nicht damit, dass die AfD durch das Urteil noch einmal massiv an Stimmen verliert. "Ein großer Teil der AfD-Wähler ist gegenüber der Partei höchst loyal und glaubt ohnehin, dass die politischen Eliten alles versuchen, um die AfD und damit auch sie selbst zu unterdrücken", sagt der Populismus-Experte. "Insofern könnte ich mir vorstellen, dass einige protestorientierte Wähler der AfD den Rücken kehren, aber es innerhalb ihrer loyal gesinnten Wählerschaft eher zu einem noch stärkeren Wagenburgdenken kommt."

"Regierungsbeteiligung rückt für die AfD in weite Ferne"

Auch Hillje rechnet damit, dass die AfD kaum Stammwähler verlieren wird, wenn sie das Label "gesichert extremistische Bestrebung" erhält - wohl aber die Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte. "Das AfD-Märchen vom 'Verfassungsschutz als Regierungsschutz' wurde durch ein unabhängiges Gerichtsurteil widerlegt", sagt Hillje ntv.de. "Für die anderen Parteien dürfte eine Zusammenarbeit mit der AfD noch schwerer zu verteidigen werden." Gegenüber der gesellschaftlichen Mitte werde die AfD damit noch anschlussunfähiger, gegenüber anderen Parteien noch koalitionsunfähiger. "Das Ziel der Regierungsbeteiligung rückt damit für die AfD in weite Ferne."

Dagegen sieht der Rechtsextremismus-Experte Axel Salheiser mit dem Urteil die Selbstinszenierung der AfD ins Wanken geraten. "Die AfD versucht ihren Wählerinnen und Wählern gegenüber glaubhaft zu vermitteln, dass sie keine rechtsextremistische, antidemokratische Partei sei, sondern auf dem Boden des Grundgesetzes stehe", sagt Salheiser ntv.de. Die AfD stelle sich als normale, demokratische Partei dar, die deshalb diskriminiert werde, "weil sie sich als einzige Partei wirklich für die Interessen des 'Volkes' einsetze". Diese Selbstinszenierung als Opfer sei der Kern der rechtspopulistischen Wähleransprache. Die AfD wolle als "bürgerlich" erscheinen, keinesfalls als radikal.

"Die Erkenntnisse und Bewertungen des Verfassungsschutzes, dass die Partei sich mit ihrer Programmatik und Politik in Wahrheit gegen das Grundprinzip der Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip verstoße, bezeichnet die AfD als Teil einer Diffamierungskampagne, als einen illegitimen Versuch, sie im politischen Wettbewerb zu benachteiligen", so Salheiser. "Diese Erzählung zieht bei vielen Menschen, die die AfD unterstützen, weil sie sich selbst nicht mit der Kritik an der AfD auseinandersetzen wollen und diese Kritik abwehren."

"Gegenüber völkisch-rassistischen Verfassungsfeinden kann es keine Neutralität geben"

Funktioniert habe dieses Vorgehen auch deshalb, weil das Misstrauen gegen etablierte Parteien, Regierung und Verfassungsschutz groß sei. "Doch die Justiz, die Gerichte genießen in Deutschland allgemein ein hohes Ansehen - auch bei Menschen, die bisher kein Problem mit der AfD haben." Daher sei der Prozess am OVG Münster so wichtig: "Die AfD hat ja selbst geklagt, um sich von den 'Anschuldigungen' freisprechen zu lassen." Schon nach dem Urteil von Münster rechnet Salheiser damit, dass sich der Abwärtstrend der AfD in den Umfragen fortsetzen könnte.

Weitere Konsequenzen erwartet er nach einer Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch. Eine solche Partei könne "unmöglich ein Gesprächs- oder gar Kooperationspartner für demokratische Parteien sein", so Salheiser. "Gegenüber völkisch-rassistischen Verfassungsfeinden kann es keine Neutralität geben: nicht vonseiten staatlicher Verwaltung, nicht in öffentlichen Einrichtungen, einschließlich der Schulen und Universitäten - und auch nicht im Bereich der Kultur oder in der Wirtschaft."

Schließlich könne rechtsextremistischen Parteien der Geldhahn der staatlichen Parteienfinanzierung abgedreht werden. Auch die Prüfung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD könne eine Konsequenz aus dem Münsteraner Urteil sein.

Quelle: ntv.de

MünsterAfDJustizDemokratieVerfassungsschutzTino ChrupallaRechtsextremismusAlice Weidel