Politik

Radikalisierung einer Partei "Es gibt allen Grund, Angst vor der AfD zu haben"

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2017 war selbst die damalige AfD-Spitze davon überzeugt, dass Höcke "in Pu­bli­ka­tio­nen und ins­be­son­de­re in Reden in vie­ler­lei Ein­zel­punk­ten eine über­gro­ße Nähe zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus" auf­weise.

2017 war selbst die damalige AfD-Spitze davon überzeugt, dass Höcke "in Pu­bli­ka­tio­nen und ins­be­son­de­re in Reden in vie­ler­lei Ein­zel­punk­ten eine über­gro­ße Nähe zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus" auf­weise.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Der Jurist und Rechtsextremismusexperte Hendrik Cremer hält die Gefahr für unterschätzt, die von der AfD ausgeht. "Es ist eine demokratisch gewählte Partei, aber sie ist nicht demokratisch", sagt er im Interview mit ntv.de. "Sie nimmt auch nicht nur Menschen ins Visier, die in der national-völkischen Vorstellung der AfD nicht deutsch genug sind. Wenn die AfD an die Macht käme, dann wäre in diesem Land niemand mehr sicher."

ntv.de: In den ersten Jahren nach Gründung der AfD gingen Experten davon aus, dass es der Partei schaden würde, wenn der Verfassungsschutz sie als extremistisch einstuft. In drei Bundesländern ist das bereits passiert, in Thüringen schon 2021 - aber die Umfragewerte sind seither nicht runter, sondern rauf gegangen. Kann es sein, dass vielen Leuten ganz egal ist, ob die AfD rechtsextremistisch ist oder nicht?

Hendrik Cremer: Ich bin kein Fan davon, die AfD und ihre Wählerschaft zu vermischen. Wichtiger scheint mir zu sein, dass bekannt ist, wofür die AfD steht, welche Ziele sie verfolgt.

Hendrik Cremer ist Jurist beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Zuletzt erschien sein Buch "Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist".

Hendrik Cremer ist Jurist beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Zuletzt erschien sein Buch "Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist".

(Foto: Anke Illing)

Aus Ihrer Sicht ist die AfD verfassungsfeindlich.

Eindeutig, ja.

Verfassungsfeindlich ist ein ziemlich abstrakter Begriff. Was bedeutet das konkret?

Ihre Verfassungsfeindlichkeit ergibt sich schon aus ihren Programmen - aus dem Grundsatzprogramm von 2016 und ihrem sozialpolitischen Konzept von 2020, ebenso aus ihrem Wahlprogramm von 2017 und dem von 2021. Aus diesen Texten geht klar hervor, dass die AfD eine homogene Volksgemeinschaft anstrebt. Es gibt dort eine Analogie zur nationalsozialistischen Ideologie, auch wenn die AfD ihre rassistischen Positionen nicht so zum Ausdruck bringt, wie das im 20. Jahrhundert gängig war. Sie verwendet beispielsweise nicht mehr den Begriff "Rasse", sondern operiert mit dem Begriff "Kultur". Das ist ein typisches Vorgehen rechtsextremer Akteure im 21. Jahrhundert.

Können Sie ein Beispiel geben?

In ihrem Wahlprogramm von 2021 ist von einem "Wertekonsens" die Rede, "der für unser Volk identitätsbildend ist und uns von anderen unterscheidet". Diese Werte würden "von Generation zu Generation" weitergegeben. Und dann kommt der Satz: "Die gemeinschaftsstiftende Wirkung der deutschen Kultur ist Fundament unseres Grundgesetzes und kann nicht durch einen Verfassungspatriotismus ersetzt werden."

Was ist daran verfassungsfeindlich?

Kultur und Identität sind nach Auffassung der AfD unveränderliche Wesensmerkmale. Dazugehören kann nur, wer nach den national-völkischen Vorstellungen der AfD schon seit Generationen dazugehört. Die AfD nimmt damit für sich in Anspruch, selbst zu definieren, wer Deutscher ist und wer nicht. Das steht in klarem Widerspruch zum Grundgesetz, das festlegt, dass Deutscher ist, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt - unabhängig davon, welcher Religion er angehört oder seit wie vielen Generationen die Vorfahren in Deutschland leben. Die AfD nimmt sich das Recht heraus, Menschen auszuschließen, die nicht zu "uns" gehören. Das ist verfassungsfeindlich.

Formuliert die AfD ihre Programme bewusst so, dass nicht sofort klar ist, dass es nicht um "Kultur", sondern um Rassismus geht?

Das ist Teil ihrer Strategie der Selbstverharmlosung. "Kultur" als Ersatzbegriff für "Rasse" dient dazu, die eigentliche Absicht zu kaschieren und anschlussfähig zu erscheinen in der gesellschaftlichen Diskussion. Das gilt vor allem für die schriftlichen Programme, die auf Parteitagen beschlossen werden. Wenn man sich die genauer durchliest, wird aber trotzdem deutlich, dass damit die alten rassistischen Konzepte gemeint sind, die Menschen einsortieren und ausgrenzen. Die AfD strebt eine homogene Volksgemeinschaft an. Solche Konzepte waren Ausgangspunkt und Grundlage der nationalsozialistischen Ideologie.

Geht es der AfD mit dieser Selbstverharmlosung auch darum, eine Einstufung als gesichert rechtsextremistisch und letztlich auch ein Parteiverbot zu vermeiden?

Die Selbstverharmlosung ist in der Tat ein wesentlicher Bestandteil ihrer Strategie, was wir regelmäßig in Interviews oder im Rahmen von Talkshows erleben können. Hier kaschieren die Funktionäre der AfD gegenüber der Öffentlichkeit ihre tatsächlichen Absichten. Sie tun so, als ob sie sich an demokratischen Diskursen beteiligen wollten.

Im Januar 2021 veröffentlichte die AfD eine "Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität", in der es heißt, die Partei bekenne sich "vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen". Wenn es zu einem Verbotsverfahren käme, müsste das Bundesverfassungsgericht das als entlastend werten?

Nein. AfD-Funktionäre behaupten immer wieder, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. Aber das sind rein taktische Manöver. Solche Erklärungen haben kein Gewicht, weil in den Programmen etwas ganz anderes steht und weil die Vertreter der AfD in ihren öffentlichen Reden etwas ganz anderes sagen. Das Bundesverfassungsgericht würde sich von solchen Erklärungen nicht täuschen lassen.

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Ein weiteres Beispiel: Im Sommer 2021 wurde bekannt, dass sich der spätere AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich in einem Chat als "das freundliche Gesicht des NS", also des Nationalsozialismus, bezeichnet hatte. Der Fraktion gehört Helferich bis heute nicht an. Wäre das ein Umstand, den die AfD vor Gericht als Indiz angeben könnte, um plausibel zu machen, dass sie nicht verfassungsfeindlich ist?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies einen Richter oder eine Richterin überzeugen würde. Helferich wurde nicht aus der Partei ausgeschlossen, ein entsprechender Antrag des damaligen AfD-Chefs Jörg Meuthen scheiterte. Und Helferich sticht auch gar nicht besonders heraus, auch von anderen Führungspersonen und Mandatsträgern gibt es zahlreiche Äußerungen, aus denen deutlich wird, dass diese Personen sich mit dem Nationalsozialismus identifizieren - nicht zuletzt der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der nicht nur einfacher Abgeordneter ist, sondern zentrale Führungsperson.

Ist Höcke eine der zentralen Führungspersonen in der AfD oder die zentrale Führungsfigur?

Höcke ist sicherlich die zentrale Führungsperson innerhalb der AfD, auch wenn er auf Bundesebene kein Amt hat. An seiner Position lässt sich gut die Radikalisierung der Partei nachzeichnen. 2017 gab es ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn, und im Rahmen dieses Parteiausschlussverfahrens wurde er dezidiert als Nationalsozialist eingeordnet. Zum Parteiausschluss kam es trotzdem nicht. Heute ist er nicht nur weiterhin die zentrale Führungsfigur in Thüringen, sondern dominiert die gesamte Partei. Es gibt im Bundesvorstand der AfD niemanden mehr, der eine Opposition gegen ihn bildet, im Gegenteil: Im Grunde besteht der Bundesvorstand seit Juni 2022 aus seinen Leuten. Als Alice Weidel im April 2023 nach Erfurt fuhr, um sich dort mit Höcke auf die Bühne zu stellen, war klar, wie weit die Radikalisierung vorangeschritten ist. Bundesvorstand und Höcke liegen auf einer Linie.

Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" bereitet das Bundesamt für den Verfassungsschutz ein Gutachten über die AfD vor und plant, die Partei insgesamt als "gesichert extremistische Bestrebung" einzustufen. Was würde sich damit verändern?

Ich hoffe und erwarte, dass sich dann die Debatte über die AfD und der Umgang mit der Partei verändern. Momentan ist häufig von einer "rechtspopulistischen" oder "in Teilen rechtsextremen" Partei die Rede, wenn über die AfD gesprochen wird. Noch immer hat sich nicht die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die Partei längst insgesamt zu einer rechtsextremen Partei entwickelt hat. Und es ist häufig noch immer nicht ausreichend klar, welche Ziele die Partei verfolgt. Aus meiner Sicht ist Aufklärungsarbeit dringend geboten und sollte nicht davon abhängen, wie diese Partei vom Bundesamt für Verfassungsschutz eingestuft wird. Ohnehin hängt der Verfassungsschutz mit seiner Einstufung der Entwicklung der AfD deutlich hinterher.

Warum?

Bis Ende 2018 war die Leitung des Bundesamts für Verfassungsschutz mit Hans-Georg Maaßen besetzt. Obwohl die Partei sich radikalisierte, sah das Bundesamt unter Maaßens Leitung kein Problem. Das änderte sich, als Thomas Haldenwang Chef des Verfassungsschutzes wurde. Unmittelbar danach, im Januar 2019, wurde die AfD als sogenannter Prüffall eingestuft, im März 2021 erfolgte die Einstufung zum Verdachtsfall. Das ist mittlerweile aber drei Jahre her. In dieser Zeit hat sich die Partei noch einmal deutlich erkennbar radikalisiert. Die Partei verfolgt mittlerweile einen Kurs, der eine Gewaltherrschaft anstrebt, die sich in den Methoden und Zielen am Nationalsozialismus orientiert. Deshalb ist die Einstufung als erwiesen rechtsextrem aus meiner Sicht längst überfällig.

Sie haben ein Gutachten geschrieben, in dem Sie dafür plädieren, dass Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht vorbereiten.

Ich glaube, dass es nicht nur gute Gründe für einen Verbotsantrag gibt, sondern dass alle Voraussetzungen dafür vorliegen. Und das Verbotsverfahren sollte zeitnah beginnen - da die reale Gefahr besteht, dass die AfD weitere Machtzuwächse verzeichnet und schließlich so stark werden könnte, dass sie nicht mehr zu stoppen wäre.

Selbst in Thüringen sagen mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten, es würde ihnen Angst machen, wenn sich abzeichnete, dass die AfD bei der Landtagswahl im September die mit Abstand stärkste Partei würde. Kann man das als Indiz verstehen, dass es eine gesellschaftliche Brandmauer gegen die AfD gibt?

Ich würde eher betonen, wie dramatisch es ist, dass die Umfragewerte der AfD in Thüringen so hoch sind. Deshalb halte ich es für dringend erforderlich, dass die Aufklärungsarbeit forciert wird. Dieser Partei geht es um die Abschaffung von Rechtsstaatlichkeit, um die Abschaffung von Menschenrechten, um die Abschaffung von Demokratie. Es ist eine demokratisch gewählte Partei, aber sie ist nicht demokratisch. Sie nimmt auch nicht nur Menschen ins Visier, die in der national-völkischen Vorstellung der AfD nicht deutsch genug sind. Wenn die AfD an die Macht käme, dann wäre in diesem Land niemand mehr sicher. Höcke hat das schon 2018 in einem Gesprächsband deutlich gemacht, in dem er davon spricht, dass "wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen". Das ist die kaum verklausulierte Ankündigung von tödlicher Gewalt im Dienst einer völkischen Ideologie. Würde Höcke Regierungschef in Thüringen, hätten wir einen Nationalsozialisten als Ministerpräsidenten in Deutschland. Es gibt allen Grund, Angst vor der AfD zu haben. Darum ist es von elementarer Bedeutung, dass sich im Wahljahr 2024 noch möglichst viele Menschen in die Aufklärungsarbeit über die AfD einbringen. Damit alle wissen, wer da zur Wahl steht, wofür diese Partei steht, welche Ziele sie verfolgt.

Mit Hendrik Cremer sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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