"Sie wurden ermordet" Wut in den Niederlanden wächst
20.07.2014, 12:32 Uhr
Der niederländische König trägt sich in ein Kondolenzbuch ein.
(Foto: dpa)
Nach dem Absturz von Flug MH17 sitzen in den Niederlanden der Schock und die Trauer tief - ebenso wie der Zorn. Der Ruf nach einer "gerechten Strafe" für die Täter wird lauter, und besonders ein Politiker steht im Fokus.
"Mörder" prangt in schwarzen Großbuchstaben auf der Titelseite des "Telegraaf". Dazu stellt das rechtsgerichtete niederländische Boulevardblatt Fotos von den Führern der prorussischen Rebellen in der Ostukraine. Eine Seite weiter: Fotos von 63 der insgesamt 193 niederländischen Opfer. "Sie wurden ermordet", schreibt die Zeitung.
Prominent brachten alle Medien einen der Rebellen ins Bild: Den als Schlüsselfigur der Separatisten geltenden Igor Girkin. Er soll kurz nach dem Absturz der Boeing der Fluggesellschaft Malaysia Airlines über Twitter damit geprahlt haben, seine Kämpfer hätten ein ukrainisches Militärflugzeug, eine Antonow An-26, abgeschossen. Dieser Tweet war jedoch nach Angaben der Separatisten gefälscht.
Nach dem Schock über die unvorstellbare Katastrophe, die 193 Holländer das Leben kostete, wird in den Niederlanden der Ruf nach Gerechtigkeit und einer härteren Gangart gegenüber Moskau laut. Mit Schuldzuweisungen an die Adresse Moskaus hält sich die niederländische Regierung zwar bisher deutlich zurück. Doch angesichts des Chaos bei der Bergung der Opfer und der Behinderungen der internationalen Untersuchungen ist auch die Geduld Den Haags am Ende.
Mit nur mühsam unterdrückter Wut forderte der niederländische Regierungschef Mark Rutte am Samstagabend den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, endlich einzugreifen. "Er muss jetzt den Niederlanden und der Welt beweisen, dass er tut, was von ihm erwartet wird: Seinen Einfluss ausüben." Er habe mit Putin ein sehr "intensives Telefongespräch" geführt, sagte Rutte. Diplomatische Sprache für: Ich habe ihm deutlich meine Meinung gesagt.
Doch das heißt nicht, dass Russland oder die prorussischen Rebellen für den Absturz von Flug MH17 verantwortlich gemacht werden. Erst müssten die Fakten auf den Tisch, sagte Rutte. "Wenn deutlich wird, dass dies ein Anschlag war, dann werde ich mich persönlich dafür einsetzen, dass die Täter gefunden werden und ihre gerechte Strafe bekommen", sagt Rutte.
Dagegen verweisen Medien, Experten und Politiker auf die Rebellen als Schuldige und ziehen die Verbindung zum russischen Präsidenten. Putin habe den Konflikt in der Ukraine nicht nur geschürt, sondern die Rebellen auch mit schweren Waffen und Experten unterstützt.
"Mit der Faust auf den Tisch schlagen"
"Ohne Moskau keine Rebellen", sagte der rechtsliberale Europa-Abgeordnete Hans van Baalen. "Staatspropaganda, die die Mordlust schürt", wirft die linksliberale Zeitung "De Volkskrant" Wladimir Putin vor. "Wir werden nicht eher ruhen, bis die Sache von Grund auf geklärt ist", versprach Rutte. Das ist vielen im Land zu wenig. "Man muss nun endlich mit der Faust auf den Tisch schlagen", fordert nicht nur "De Telegraaf". In Kommentaren und Leserbriefen wird zu schärferen Sanktionen gegen Moskau und sogar zu einem Boykott Russlands aufgerufen. Auch die eigene Regierung müsse nun Flagge zeigen, meinen viele Niederländer.
Doch wer sollte überhaupt über die Täter zu Gericht sitzen? Als mögliches Kriegsverbrechen könnte der mutmaßliche Abschuss von Flug MH17 vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebracht werden. Dafür plädierte bereits die ukrainische Regierung. Doch ohne Beweise geht gar nichts. Und dafür sind wieder unabhängige Ermittlungen notwendig. "Internationaler Druck auf Putin kann dabei helfen", sagte der Experte für internationale Beziehungen, Ko Colijn.
Quelle: ntv.de, Annette Birschel, dpa