"Versteckte Enteignung" Yukos klagt gegen Moskau
04.03.2010, 11:59 Uhr
Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Yukos, Michail Chodorkowski, sitzt noch immer im Gefängnis.
(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)
Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat die Anhörung über eine Rekordklage des früheren Erdölkonzerns Yukos gegen den russischen Staat begonnen. Das ruinierte Unternehmen fordert gut 72 Milliarden Euro Schadenersatz und Zinsen. Dies ist fast zwei Mal so viel wie der russische Verteidigungshaushalt und die höchste Summe, die jemals vor dem Staßburger Gericht eingeklagt wurde.
Yukos-Anwalt Piers Gardner hielt der russischen Regierung vor, das Unternehmen von 2000 bis 2003 durch eine "Sintflut von Steuernachforderungen" systematisch in den Konkurs getrieben zu haben. Alle Guthaben von Yukos seien eingefroren worden, das Unternehmen sei dadurch "völlig gelähmt" gewesen. "Dies war eine versteckte Enteignung", sagte Gardner.
Der Rechtsvertreter der russischen Regierung, Michael Swainston, wies die Vorwürfe entschieden zurück. Yukos habe "massiven Steuerbetrug" betrieben, sagte er. Der Konzern habe 22 "Scheingesellschaften" in russischen Regionen gegründet, die mit Steuererleichterungen Unternehmen anlocken wollten. Yukos habe von diesen Steuererleichterungen profitiert, ohne in den Regionen eine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen zu schaffen. Die "Scheingesellschaften" seien vom Yukos-Sitz in Moskau aus verwaltet worden, sie hätten kaum eigenes Kapital gehabt, auch keine Raffinerien betrieben. "Dahinter war nichts". Die fraglichen Gesellschaften hätten dem Mutterkonzern "kolossale Summen" überwiesen, die Yukos-Manager hätten "enorme Dividenden" eingestrichen.
Yukos-Chef zu acht Jahren Straflager verurteilt
Schlagzeilen gemacht hatte die Yukos-Affäre im Jahr 2003, als die russische Justiz den Unternehmensgründer und Multimillionär Michail Chodorkowski - einen erbitterten Gegner des damaligen Staatschefs Wladimir Putin - verhaften ließ. Chodorkowski und seinem Geschäftspartner Platon Lebedew wurde wegen Betruges und Steuerhinterziehung der Prozess gemacht. Sie wurden zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, die sie in einem Straflager in Sibirien verbüßen.
2004 hatte ein russisches Gericht Yukos wegen Steuerbetruges zur Zahlung von 2,85 Milliarden Euro verurteilt. Im Laufe der Jahre kamen fast 20 Milliarden Euro zusammen, die Yukos an nachzuzahlenden Steuern und Zinsen sowie Strafgeldern zahlen musste. Das 1993 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gegründete Unternehmen ging an den Forderungen der Steuerbehörden zugrunde und wurde 2006 für zahlungsunfähig erklärt.
Gardner wies den damals erhobenen Vorwurf des Steuerbetrugs zurück. Yukos sei der zweitgrößte Steuerzahler Russlands gewesen, sagte er. Jeden Monat seien die Zahlungen des Unternehmens in einer eigenen Abteilung des Moskauer Finanzministeriums geprüft worden. Dabei seien keine Unregelmäßigkeiten festgestellt worden.
Urteil in einigen Monaten
Yukos wirft Moskau Verstöße gegen das Grundrecht auf einen fairen Prozess, den Schutz des Eigentums sowie das Verbot willkürlicher Strafverfolgung vor. Mit einem Urteil ist erst in mehreren Monaten zu rechnen. Einen Antrag der russischen Regierung, das von Yukos in Straßburg angestrengte Verfahren einzustellen, lehnte der Gerichtshof im vergangenen Jahr ab.
Quelle: ntv.de, AFP