"Erdogan verwandelt Trauer in Wut" Zehntausende machen sich bereit für Köln
19.05.2014, 07:14 Uhr
Sollte der türkische Premier Erdogan entgegen aller Ratschläge doch einen Wahlkampfauftritt in Köln wagen, muss er mit einer starken Gegenbewegung rechnen. Zehntausende wollen gegen ihn demonstrieren.
Vor dem für das kommende Wochenende geplanten umstrittenen Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Köln bereitet sich die örtliche Polizei auf einen Großeinsatz vor. Zu Kundgebungen gegen den wegen seines Umgangs mit dem Bergwerksunglück in Soma in der Kritik stehenden Erdogan hätten sich bereits mehr als 10.000 Demonstranten angemeldet, berichtete der "Kölner Stadt-Anzeiger" unter Berufung auf die Behörden. Die SPD-Politikerin Lale Akgün rechnet mit bis zu 60.000 Menschen bei der Gegendemonstration, sagte sie dem WDR. Den womöglich größten Protest organisiert offenbar die Alevitische Gemeinde Deutschland.

Die Lanxess-Arena in Köln. Hier will sich Erdogan am kommenden Wochenende empfehlen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters riet Erdogan indirekt, den Besuch abzusagen. "Für mich als verantwortungsbewusster Politiker wäre die Entscheidung angesichts der dramatischen und noch zu klärenden Ereignisse mit so vielen Toten klar - es gibt jetzt Wichtigeres, als reine Wahlkampftermine im Ausland wahrzunehmen", sagte der SPD-Politiker der Zeitung.
Auch Unionsfraktionsvize Thomas Strobl kritisierte: "Es ist nicht in Ordnung, dass Erdogan in Deutschland Wahlkampf macht." Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) sagte der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung": "Der Besuch kommt einem Missbrauch des Gastrechts nahe." Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte, mit seiner Reaktion auf das Grubenunglück in der Türkei verwandele Erdogan die tiefe Trauer vieler Türken in Wut. Der Regierungschef könne jetzt nicht einfach Wahlkampf machen.
Erdogan will am kommenden Samstag in Köln zu in Deutschland lebenden Anhängern sprechen. Bei der türkischen Präsidentschaftswahl am 10. August können erstmals auch außerhalb der Türkei lebende Türken ihre Stimme abgeben. Das betrifft rund 1,3 Millionen Menschen.
Gruben-Verantwortliche festgenommen
Bei dem Bergwerksunglück von Soma waren Dienstag nach amtlichen Angaben 301 Bergarbeiter getötet worden. Am Sonntag leitete die Staatsanwaltschaft Verfahren gegen drei Verdächtige wegen fahrlässiger Tötung ein. Staatsanwalt Bekir Sahiner sagte, die drei seien Teil der insgesamt 25 Verdächtigen, die festgenommen wurden. Medienberichten zufolge gehört zu den Festgenommenen auch die Leitung des Zechenbetreibers, wie der Geschäftsführer und der Chefingenieur des Bergwerks. Türkische Medien berichteten, der Zugang zu der Grube sei zugemauert worden. Zu dem Areal hätten nur noch Experten Zutritt, die den Vorfall untersuchten. Die Betreibergesellschaft und die Regierung wiesen erneut jede Verantwortung für das Grubenunglück zurück.
Türkische Medien berichteten, in Soma seien mehrere Anwälte, die Familien der Opfer beraten wollten, vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen worden. Die Behörden hätten Demonstrationen in Soma verboten und Checkpoints auf den Zufahrtsstraßen errichtet.
Am Freitag waren die Sicherheitskräfte in Soma mit Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen gegen mehr als 10.000 Demonstranten vorgegangen. Diese wiesen Erdogans konservativ-islamische Regierung eine Mitverantwortung zu.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP