Politik

Prozess in München Zeuge will NSU-Mord nicht bemerkt haben

Beate Zschäpe hat beim NSU-Prozess in München zum ersten Mal direkt dem Richter geantwortet.

Beate Zschäpe hat beim NSU-Prozess in München zum ersten Mal direkt dem Richter geantwortet.

(Foto: dpa)

Ein Verfassungsschützer saß mit in einem Internetcafé, als die NSU-Terroristen den Besitzer ermordeten. Davon will er nichts mitbekommen haben. Unterdessen antwortet Beate Zschäpe erstmals direkt dem Richter.

Als die NSU-Terroristen im April 2006 den 21-jährigen Halit Yozgat in seinem Internetcafé ermordeten, saß im hinteren Raum der Verfassungsschützer Andreas T. Wahrscheinlich war er nur zur falschen Zeit am falschen Ort - doch je länger der Fall im NSU-Prozess behandelt wird, desto merkwürdiger wird die Sache. Jetzt präsentierten Nebenklage-Anwälte Abhörprotokolle von Telefonaten, die T. mit Kollegen geführt hatte. Und sie legen den Schluss nahe, dass der Verfassungsschützer nicht alles gesagt hat, was er wusste.

Andreas T. hat nach dem Mord so ziemlich alles falsch gemacht, was man als Zeuge falsch machen kann. Wenn man dann auch noch beim Verfassungsschutz arbeitet, sieht die Sache recht seltsam aus. Bis heute behauptet der 47-Jährige, er habe nichts von der Tat mitbekommen - anders als andere Gäste im Café, die zumindest einen dumpfen Knall gehört hatten. Auch nachdem er in der Zeitung von dem Mord gelesen hatte, meldete er sich nicht. Er habe befürchtet, dass dann seine Frau von seinen Besuchen auf Internet-Flirtseiten erfahre.

Die Polizei ermittelte ihn über sein Nutzerkonto in einem Chatforum. T. wurde festgenommen, letztlich bestätigte sich der Verdacht aber nicht. Mittlerweile gilt als sicher, dass die Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Yozgat ermordeten. T. aber blieb weiter bei seiner Version: Er habe Yozgat nicht gesehen, als er bezahlen wollte, das Geld auf den Tresen gelegt und sei gegangen.

Sah er den ermordeten Yozgat?

Theoretisch ist es möglich, dass Yozgat das Café verlassen hat und erst wiederkam, als T. schon weg war. Dann allerdings bliebe nur ein winziges Zeitfenster - binnen weniger Sekunden hätte zunächst Yozgat zurückkehren müssen, dann die hätten Terroristen in das Lokal kommen und ihn erschießen müssen. Sehr viel wahrscheinlicher ist es nach den Ermittlungen, dass T. das Lokal erst nach dem Mord verließ. Dass er aber das Geld auf den Tresen legte, ohne den dahinter in seinem Blut liegenden Yozgat zu sehen - daran mag kaum ein Beteiligter glauben.

Am Mittwoch präsentierten die Anwälte der Familie Yozgat das Protokoll einer Telefonüberwachung. In dem Gespräch zwischen T. und einem Kollegen des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz geht es um die "Kasseler Problematik". Der Kollege meint, T. habe die Sache bei der Polizei "restriktiv" dargestellt. Man kann daraus schließen, dass T. mehr von dem Mord mitbekommen hat, als er zugibt. Nach einem anderen Protokoll, aus dem die Anwälte zitieren, rät ein anderer Kollege, T. solle in seiner Erklärung zu dem Vorfall "so nah wie möglich bei der Wahrheit bleiben". Das klingt merkwürdig. Bei seiner Vernehmung will sich T. aber hieran - wie an vieles andere - nicht mehr erinnern.

Eigenartig ist aber auch, dass diese Widersprüche nur deshalb im Prozess thematisiert werden, weil die Anwälte der Familie Yozgat viele Stunden in alten Akten stöberten. Nach dem Willen der Bundesanwaltschaft sollten die Ermittlungsakten gegen T. gar keine Rolle spielen. "Wenn wir das nicht rausgefunden hätten, würde das Protokoll immer noch bei Ihnen schlummern", sagte Anwalt Thomas Bliwier.

Zschäpe antwortet dem Richter

Frühere Anträge der Nebenkläger, die Akten komplett beizuziehen, hatte das Gericht abgelehnt. So können Beteiligte die Dokumente nur direkt bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einsehen - und handschriftliche Notizen machen, denn Kopien sind nur in Einzelfällen erlaubt. Begründet wird das mit dem Schutz von Persönlichkeitsrechten Unbeteiligter - was etwas unausgewogen wirkt, wenn man bedenkt, dass die Ermittlungen in den Familien der Opfer oft bis in die privatesten Details gingen.

T. allerdings blieb eisern bei seiner Version - und immer dann, wenn es eng wurde, wiederholte er seine Zauberformeln: "Ich weiß nicht, was ich konkret mit ihm gesprochen habe", "Daran habe ich keine konkrete Erinnerung" - und so weiter.

Es war ermüdend - was immerhin ein kleines Ereignis zur Folge hatte: Denn irgendwann unterbrach Richter Manfred Götzl die Vernehmung und wandte sich direkt an die Hauptangeklagte: "Frau Zschäpe, bauen Sie ab? Ich muss das jetzt fragen, Sie haben zeitweise die Augen geschlossen." Sonst ließ Beate Zschäpe in solchen Situationen immer ihren Anwalt sprechen. Doch Wolfgang Heer hatte kurz den Saal verlassen. Und Zschäpe antwortete. Was sie sagte, war auf der Tribüne allerdings nicht zu verstehen - das Mikrofon war ausgeschaltet. Götzl jedenfalls sagte, die Vernehmung werde nicht mehr lang dauern. Andreas T. soll ein andermal weiter vernommen werden.

Quelle: ntv.de, vpe/dpa

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