NSU-Prozess beginnt in München Zschäpe muss sich verantworten
06.05.2013, 10:28 Uhr
Zschäpe wurde nicht gefesselt vorgeführt.
(Foto: AP)
Unmittelbar nach Beginn wird das NSU-Verfahren in München schon wieder unterbrochen. Die Verteidiger von Beate Zschäpe stellen einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Götzl. Die Entscheidung darüber wird aber verschoben. Zschäpe und vier Mitangeklagten wird unter massiven Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gemacht. Sie muss sich wegen Mittäterschaft bei zehn Morden verantworten.
Unter großem Andrang der Öffentlichkeit und höchsten Sicherheitsvorkehrungen hat der Prozess um die Mordserie der Neonazi-Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" begonnen. Richter Manfred Götzl eröffnete im Münchner Oberlandesgericht das Verfahren gegen die 38-jährige Hauptangeklagte Beate Zschäpe und vier weitere Beschuldigte. Im Zentrum der Anklage stehen zehn Morde, davon acht an türkischstämmigen Menschen, sowie zwei Bombenanschläge und die Gründung des NSU als terroristischer Vereinigung. Zschäpe droht im Falle einer Verurteilung lebenslange Haft. Ihre beiden mutmaßlichen Hauptkomplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich nach ihrer Enttarnung erschossen.
Das Verfahren begann mit rund halbstündiger Verspätung. Diese Zeit gaben Götzl und seine sieben Richterkollegen den Pressefotografen und Kameraleuten, um Bilder von den Angeklagten zu machen, die pünktlich zu dem für 10 Uhr angesetzten Prozesstermin in den Saal geführt wurden. Zschäpe, mit schulterlangem, vollem dunklem Haar, trug einen schwarzen Hosenanzug und eine weiße Bluse. Sie betrat den Saal mit verschränkten Armen und ernstem Gesicht. Mit dem Rücken zu den Fotografen wartete sie stehend mit ihren drei Anwälten auf den Verhandlungsstart.
Befangenheitsantrag gegen Götzl
Mit einem Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Götzl sorgten Zschäpes Verteidiger knapp eine halbe Stunde nach Verhandlungsbeginn für ein erstes Störfeuer. Als Begründung führten sie an, Götzl habe eine eingehende Durchsuchung der Verteidiger vor dem Betreten des Gebäudes angeordnet, den übrigen Prozessbeteiligten diese Prozedur aber erspart. geordnet hat - im Gegensatz etwa zu den Vertretern der Bundesanwaltschaft. Das sei eine bewusste Diskriminierung und Desavouierung der Verteidiger, heißt es in dem Antrag, den der Rechtsanwalt Wolfgang Stahl verlas. Der Richter unterbrach daraufhin die Sitzung für Beratungen, ließ sie jedoch nach wenigen Minuten fortsetzen. Der Antrag wurde nach Angaben einer Gerichtssprecherin vorerst zurückgestellt.
Nebenklage-Vertreter kritisierten den Antrag der Verteidiger scharf. "Die verletzte Eitelkeit von Verteidigern ist kein Grund für einen Befangenheitsantrag", sagte ein Anwalt. "Die Qual der Opfer, die hier sitzen, soll verlängert werden." Ein weiterer Nebenklage-Vertreter warf den Verteidigern vor, den Prozess um die "schrecklichsten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte" zu verzögern.
Zschäpes Verteidiger wiesen diese Angriffe zurück. Es gehe lediglich um die Wahrnehmung prozessualer Rechte - was nicht heiße, dass man das Leid der Opfer nicht anerkenne. Der Rechtsanwalt Wolfgang Heer betonte: "Wir wollen hier niemanden quälen." Allerdings beabsichtige man, Zschäpe angemessen zu verteidigen.
Zschäpe verfolgte die Verhandlung gestützt auf einen Ellbogen, ließ sich das Geschehen von ihren drei Anwälten erklären und blickte zeitweise zu den überlebenden Opfern und den Hinterbliebenen der Ermordeten. 77 von ihnen nehmen als Nebenkläger an dem Prozess teil, mitsamt ihren 53 Anwälten. Das sind infolge einer Gesetzesänderung so viele wie noch nie in einem deutschen Strafprozess.
Ob die Bundesanwaltschaft bereits am Montag mit der Verlesung der Anklage beginnen kann, war offen. Zunächst stellte das Gericht die Anwesenheit der weit mehr als 100 Prozessbeteiligten fest. Danach wurde über Anträge aus den Reihen der Rechtsanwälte der Angeklagten und der Nebenkläger verhandelt.
Viele Polizisten und Journalisten
Der Prozess vor dem Staatsschutzsenat dürfte einer der größten der deutschen Nachkriegsgeschichte werden und mindestens zwei Jahre dauern. Die Gewaltwelle blieb rund zehn Jahre von den Behörden unaufgeklärt. Für Empörung sorgte auch das Gericht, weil bei der Vergabe der 50 Presseplätze im Gerichtssaal zunächst keine türkischen Medien berücksichtigt wurden und bei einer Nachbesserung dann mehrere überregionale Zeitungen zu kurz kamen.
Der Andrang für die raren Zuschauerplätze im Saal hielt sich in Grenzen. Viele Journalisten, die bei der Verlosung der Presseplätze leer ausgegangen waren, gelangten noch in den Schwurgerichtssaal, in dem auch gegen den NS-Verbrecher John Demjanjuk verhandelt worden war. Der erste Zuschauer harrte nach eigenen Angaben bereits seit Sonntagnachmittag vor dem Gericht im Zentrum Münchens aus. "Wichtig ist, dass Neonazis keinen Platz bekommen", sagte der 68-jährige Rentner Helmut S., der seinen vollen Nachnamen nicht nennen wollte.
Vor dem Justizgebäude demonstrierten weniger als 100 Aktivisten vom "Bündnis gegen den Naziterror". Sie prangerten das Versagen der Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung der Mordserie an. Auf dem Platz vor dem Strafjustizzentrum waren die mehr als 500 Sicherheitskräfte sowie Hunderte Journalisten deutlich in der Überzahl.
Quelle: ntv.de, rts/dpa