Folgt Jan Stöß auf Klaus Wowereit? "Zu viel Bescheidenheit passt nicht zu Berlin"
28.09.2014, 08:23 Uhr
Jan Stöß ist Landesvorsitzender der SPD Berlin und bewirbt sich auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters.
(Foto: picture alliance / dpa)
Großprojekte sind ein Fachgebiet von Jan Stöß. Als Regierender Bürgermeister von Berlin müsste er einige davon bewältigen. Die Stadt braucht solche Vorhaben, sagt der SPD-Landesvorsitzende im Interview.
n-tv.de: Die Mitglieder der Berliner SPD, deren Vorsitzender Sie sind, können den nächsten Bürgermeister wählen. So etwas gab es in Deutschland noch nie. Wie kam es dazu?
Jan Stöß: Ich bin stolz darauf, dass ich dieses Verfahren vorgeschlagen und durchgesetzt habe. Es ist demokratischer und transparenter, als wenn nur der Landesvorstand oder der Landesparteitag entscheiden würde.
Als größte Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus stellt die SPD den Regierenden Bürgermeister. Der Amtsinhaber Klaus Wowereit hat seinen Rückzug bekannt gegeben, für seine Nachfolge gibt es drei Bewerber. Am 17. Oktober können die Berliner SPD-Mitglieder darüber abstimmen, ob Jan Stöß, Raed Saleh oder Michael Müller die Stadt führen soll.
Als Landeschef hätten Sie das Zugriffsrecht auf das Amt. Warum machen Sie es nicht direkt selbst?
Weil ich überzeugt davon bin, dass ein demokratischer Auswahlprozess das Beste ist. Der SPD wird es guttun, weil uns die Aufmerksamkeit hilft, die Wahl 2016 anzugehen.
Als der Amtsinhaber Klaus Wowereit seinen Rücktritt ankündigte, fiel vielen Beobachtern auf, dass er Ihren Namen explizit nicht nannte.
Das muss er vergessen haben. (lacht) Klaus Wowereit hat ja klipp und klar gesagt, dass er sich in die Entscheidung nicht einmischen wird. Und das ist sicher gut so.
Versucht Wowereit zu verhindern, dass Sie Bürgermeister werden?
Nein. Davon kann keine Rede sein. Vor Kurzem hatten wir noch einen gemeinsamen Auftritt auf unserem Sommerfest. Das war sehr fröhlich und launig. Da gibt es keinen Anlass zur Beschwerde.
Die Stadt Berlin ist eng mit Wowereit verbunden. Was wird sich ändern, falls Sie Bürgermeister werden?
- geboren am 15. August 1973 in Hildesheim, Niedersachsen
- Richter am Verwaltungsgericht Berlin
- seit 1990 SPD-Mitglied
- seit 2012 Vorsitzender des SPD-Landesverbandes
- Stöß' Internetseite
Berlin ist erfolgreich, aber wir müssen neue Akzente setzen. Wir müssen dem Kampf für bezahlbaren Wohnraum engagiert aufnehmen. 50.000 Leute kommen jedes Jahr neu nach Berlin, aber wir fördern nur 1000 neue Wohnungen. Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum, mehr Investitionen in Straßen und Radwege und eine Sanierung von Schulen, Universitäten und Kitas. Das Wachstum und die gute Entwicklung müssen bei allen in der Stadt ankommen. Wir sind unter den Bundesländern auf Platz 1 beim Wachstum und auf Platz 16 bei der Beschäftigung. Berlin braucht mehr sozialen Ausgleich, damit nicht nur einige wenige etwas von der guten Entwicklung haben.
Wo soll das Geld herkommen?
Es ist ein gut gehütetes Geheimnis, dass Berlin gar nicht mehr so arm ist. Wir hatten in den letzten beiden Jahren jeweils einen Haushaltsüberschuss von einer halben Milliarde Euro.
Der Flughafen BER kostet voraussichtlich über sechs Milliarden Euro. Wollen Sie Aufsichtsratsvorsitzender werden?
Über die Rollenverteilung im Aufsichtsrat sollte man sich Gedanken machen, wenn der Regierende Bürgermeister gewählt ist. Aber wir können uns vor der Verantwortung für den BER nicht wegducken. Der Bürgermeister von Berlin ist ohnehin dafür verantwortlich, dass das Vorhaben ein Erfolg wird. Wichtig ist dabei, dass Berlin und Brandenburg an einem Strang ziehen und nicht gegeneinander arbeiten.
Was würden Sie als Aufsichtsratsvorsitzender des BER anders machen?
Niemand hat sich so in das Vorhaben reingekniet wie Klaus Wowereit. Da muss man Respekt vor haben. Wenn ich Wowereit nachfolge, werde ich dafür sorgen, dass wir eine Stabsstelle mit den besten Leuten einrichten, die wir in der Berliner Verwaltung dafür bekommen können.
Der BER ist bereits zu klein, wenn er mal eröffnet wird. Ist es möglich, dass der Flughafen Tegel weiter geöffnet bleibt?
Das schließe ich aus, weil es aus rechtlichen und finanziellen Gründen gar nicht geht – so attraktiv Tegel auch sein mag. Die Kapazität von Tegel liegt bei 9 Millionen Passagieren pro Jahr, derzeit nutzen ihn aber 18 Millionen Menschen. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um die Fertigstellung des BER.
Die nächste große Frage für Berlin ist die Bewerbung um die Olympischen Spiele 2024 oder 2028. Tut der Stadt ein neues Großprojekt gut?
Wenn die Schulen in einem schlechten Zustand sind, die Sportanlagen nicht funktionieren, die Straßen und Radwege vor sich hinbröseln, dann ist die Akzeptanz für Großprojekte gering. Darum müssen wir uns erst einmal um die Substanz kümmern.
Heißt das, Sie sind gegen eine Olympiabewerbung?
Die Spiele können eine Chance für Berlin sein. Aber: Wenn die Schwimmbäder schließen müssen und wir gleichzeitig ein olympisches Schwimmbecken bauen wollen, verstehen das die Leute nicht. Wir werden uns nur um die Spiele bewerben, wenn wir bei einer Volksabstimmung die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner davon überzeugen können.
Warum hat Berlin eine Neigung zu solchen Großprojekten? Warum hängt man nicht die Latte etwas niedriger und bemüht sich zum Beispiel um ein großes Dax-Unternehmen? Das würde nicht nur das Image verbessern, sondern auch Arbeitsplätze schaffen.
Wir müssen beides machen. Wir müssen uns in täglicher Kärrnerarbeit darum bemühen, dass die Substanz wieder stimmt, dass Unternehmen nach Berlin kommen. Da sind wir auch gut aufgestellt, sonst hätten wir nicht das beste Wirtschaftswachstum und nicht den Startup-Boom. Aber Berlin ist auch eine Metropole mit einer internationalen Ausstrahlung und Anziehungskraft. Wir müssen die Latte hoch hängen. Zu viel Bescheidenheit würde nicht zu Berlin passen.
Sie haben sich in Ihrer Promotion mit Großprojekten beschäftigt ...
Auwei.
Was ist die Lehre, die Sie aus Ihrer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema gezogen haben?
Die These meiner Doktorarbeit war, dass man Kontinuität braucht, um Großprojekte durchzuführen. Und manchmal einen langen Atem. Das ist ohne Zweifel auch eine gute Lehre für die Politik.
Mit Jan Stöß sprachen Diana Dittmer und Christoph Herwartz
Quelle: ntv.de