Hollande und Merkel - vom Typ her ähnlich "Zur Zusammenarbeit gezwungen"
07.05.2012, 18:03 Uhr
Europa? Gegen Ende hat sich der Wahlkampf vollkommen auf nationale Themen konzentriert.
(Foto: picture alliance / dpa)
Im französischen Wahlkampf hat François Hollande eines klargestellt: Zur Marionette Merkels lässt er sich nicht machen. Stattdessen setzt der neue Präsident auf nationale Themen - doch "Wachstum auf Pump" könne es auch unter ihm nicht geben, sagt der Politologe Dominik Grillmayer in n-tv.de
Was bedeutet Hollandes Wahlsieg für Merkel? Manche Unionspolitiker haben im Voraus ja den Teufel an die Wand gemalt...
Nein, der Sieg Hollandes ist nicht so schlimm wie es hin und wieder kolportiert wurde. Frau Merkel und ihre Umgebung sind natürlich auch realistisch genug, dass sie sich längst auf einen Präsidenten François Hollande eingestellt haben. Entsprechend ist davon auszugehen, dass die Kontakte auf der Arbeitsebene etabliert sind. Merkel wird sich jetzt natürlich mit einem etwas unbequemeren Gegenüber anfreunden müssen - das ist keine Frage. Trotzdem gehe ich davon aus, dass sich unter dem bestehenden Druck sehr schnell eine gute Arbeitsatmosphäre entwickeln wird. Es ist tatsächlich so, dass die beiden zur Zusammenarbeit gezwungen sind und schnell auch zu Lösungen kommen müssen, allen voran natürlich was den Fiskalpakt anbelangt.
Der neue Präsident gilt als sachlich und bodenständig - Sarkozy hingegen als eitel und unbeständig. Stimmen die Temperamente Hollandes und Merkels nicht recht gut überein?
Vom Typ her sind die beiden durchaus zu vergleichen. Mit Sarkozy geht ein extrem dynamischer, extrovertierter französischer Präsident, der unglaublich viele Dinge angefasst hat, viele davon aber auch nicht zu Ende geführt hat. Es kommt ein ruhiger, gelassener Nachfolger, der sich als der "normale" Präsident präsentiert hat. Was die persönliche Ebene anbelangt, kann man sich vorstellen, dass Merkel und Hollande gut zusammen arbeiten werden.
Merkel hat sich während des französischen Wahlkampfes klar auf Sarkozys Seite positioniert, Hollande hingegen nicht im Kanzleramt empfangen. Rächt sich dieses Verhalten jetzt?
Merkels Verhalten wurde von Hollande sicherlich nicht positiv aufgenommen. Ich glaube jedoch nicht, dass die Startbedingungen wegen des Wahlkampfes schlechter sind. Dafür sind die beiden zu pragmatisch. Hollande wird wie angekündigt seinen ersten Staatsbesuch in Berlin absolvieren - voraussichtlich nächste Woche. Dort werden sich Merkel und Hollande bereits intensiv über die nächsten Schritte in der Eurokrise unterhalten.
Viele Franzosen kritisierten Sarkozy als "Schoßhündchen" Merkels. Hat Hollande den Wahlkampf auch gewonnen, weil er sich von der Politik Merkels emanzipiert hat - weil sich die Franzosen wieder unabhängiger und weniger fremdbestimmt fühlen möchten?

Mit ihrer Wahl haben die Franzosen gezeigt, dass sie nicht von Deutschland geführt werden möchten.
(Foto: picture alliance / dpa)
Es war in der Tat so, dass Sarkozy das deutsche Vorbild sehr stark verinnerlicht hatte. Dabei stellte er sich zu sehr als derjenige dar, der exakt die Reformen durchführt, die Deutschland vor zirka zehn Jahren implementiert hat - vor allem um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Es zeigte sich dann schnell, dass Sarkozy das deutsche Vorbild etwas überstrapaziert hat. Das kam in Frankreich nicht gut an - auch, weil die Voraussetzungen in Frankreich andere sind. Hingegen positionierte sich Hollande sehr klar, indem er signalisierte: Ich werde der Stimme Frankreichs wieder Gewicht verleihen, in Europa und in der Welt, ich werde mich nicht zum Erfüllungsgehilfen von Merkel machen lassen. Es ist allerdings auch nicht so, dass er einen anti-deutschen oder Anti-Merkel-Wahlkampf geführt hätte. Das könnte er sich auch nicht erlauben, schließlich ist er auf eine gute Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlerin angewiesen.
Hollande hat Frankreich Wachstum und Beschäftigung versprochen…
Tatsächlich hat sich der Wahlkampf zuletzt vollkommen auf Frankreich konzentriert. Europa, die Welt - das waren zwar ebenfalls Themen, aber im Wesentlichen ging es um Frankreich selbst, allen voran um Wirtschaft und Soziales. Mit seinem Fokus auf Wachstum entspricht Hollande sehr viel mehr dem französischen Denken als Sarkozy. Nach seiner Wahl hat er auch noch einmal ganz klar geäußert, woran er gemessen werden möchte. Die Stichworte waren Jugend und Gerechtigkeit. Das sind die beiden wesentlichen Eckpfeiler für seine Präsidentschaft.
Jetzt heißt es also nationale Probleme zu lösen, ohne zum gefürchteten Schuldenkönig zu werden?
Hollande ist sich bewusst, dass er auch schmerzhafte Maßnahmen durchführen werden muss. Zum Beispiel in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit französischer Unternehmen - eine wichtige Baustelle, die ihm bevorsteht. Sarkozy hat sich seinerzeit eben auf die deutschen Lösungen fokussiert, wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Gegenfinanzierung der Senkung der Arbeitskosten. Hollande muss hier einen Mittelweg finden. Er wird sich jetzt mit den Realitäten anfreunden müssen, denn Wachstum auf Pump wird es auch unter ihm nicht geben können. Er steht unter strengster Beobachtung der Finanzmärkte und der europäischen Partner. Schon deshalb kann er gar nicht zum Schuldenkönig werden.
Der neue Präsident hat in seinem Wahlkampf viel angekündigt. Wird er jetzt von seinen radikaleren Positionen abrücken – zum Beispiel in Bezug auf den mühsam ausgehandelten Fiskalpakt?
Auch im sozialistischen Lager ist mittlerweile die Erkenntnis gereift, dass eine wirkliche Neuverhandlung des Fiskalpaktes unrealistisch ist. Der französische Präsident wird jetzt im Dialog mit der Kanzlerin versuchen, dem Fiskalpakt einen Wachstumspakt zur Seite zu stellen. Damit könnten beide erhobenen Hauptes aus dem Kompromiss heraus gehen. Merkel könnte sagen, dass trotz verstärkter Wachstumsimpulse nicht aufs Sparen verzichtet würde, Hollande bekäme seine ursprüngliche Forderung erfüllt, dass Wachstum eine wichtigere Rolle in Europa spielen muss. Statt den Fiskalpakt neu aufzuschnüren, werden sie eher einen Wachstumspakt als Ergänzung anhängen.
Stimmen in der SPD ließen bereits verlauten, der Sieg der Sozialisten sei richtungsweisend für Europa…
Das wird natürlich gerne so gedeutet und soll möglicherweise auch der SPD noch einmal einen Schub für die Wahlen im nächsten Jahr geben. Aber aus dem französischen Ergebnis kann man nicht wirklich ableiten, dass die Sozialdemokratie auf dem Vormarsch in Europa ist. Auch könnte zwar ein Regierungswechsel in Deutschland im nächsten Jahr das Verhältnis der beiden Schwergewichte in Europa noch einmal befördern, die Geschichte zeigt aber auch, dass eine sozialistische Regierung in Frankreich und eine sozialdemokratische Regierung in Deutschland nicht unbedingt gut miteinander harmonieren. Dabei muss man nur an das Verhältnis zwischen Gerhard Schröder und Lionel Jospin denken. Es gibt durchaus grundsätzliche Unterschiede zwischen den beiden Parteien. Außerdem zeigt vor allem das Beispiel Helmut Kohl-François Mitterand, dass es nicht von den Farben der jeweiligen Regierungen abhängt, ob die deutsch-französischen Beziehungen gut funktionieren.
Mit Dominik Grillmayer sprach Jana Nikolin
Quelle: ntv.de