Politik

Nur Brandmäuerchen in Kommunen Zusammenarbeit mit der AfD? Längst üblich

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Eine Brandmauer in Berlin.

Eine Brandmauer in Berlin.

(Foto: picture-alliance / Wolfram Steinberg)

Friedrich Merz erntet für seine Aussage über eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene heftige Kritik. Dabei beschreibt er zum Teil das, was schon Realität ist. Vereinzelte Kooperationen gibt es seit Jahren - und auch SPD, Linke und Grüne machen mit.

Die CDU betont ihre Orientierung am Christentum schon im Namen. Vergangenen Dezember veröffentlichte der Bautzener CDU-Landrat Udo Witschas eine "Weihnachtsbotschaft", die nach Meinung der Berliner Zentrale nicht zum humanen und christlichen Weltbild der Partei passte. Witschas hatte in seinem Video unter anderem gesagt, im Landkreis sollten Flüchtlinge weder in Turnhallen noch in dezentralen Unterkünften untergebracht werden. "Ich will an dieser Stelle absichtlich vor dem Weihnachtsfeste sagen, es ist nicht unsere Absicht, den Sport für die Asylpolitik bluten zu lassen."

Das klang in den Ohren des damaligen CDU-Generalsekretärs Mario Czaja zu sehr nach AfD. Er beteuerte einmal mehr: Niemand hat die Absicht, die Brandmauer zur Rechten einzureißen. "Wir distanzieren uns mit Nachdruck von der Wortwahl" des Landrates, ließ Czaja die Öffentlichkeit wissen und äußerte sich dabei ausdrücklich im Namen der gesamten Partei, allen voran ihres Vorsitzenden Friedrich Merz. "Menschen, die in unserem Land Schutz suchen, verdienen unsere Hilfe, unsere Fürsorge und werden mit Respekt und Anstand behandelt. Wir sind Demokraten und Christen und stehen zu unserer Verantwortung."

Allerdings zeigte sich rasch, dass Czaja nicht für die ganze Partei sprach. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der auch beim Thema Sanktionen gegen Russland näher an der AfD ist als an der eigenen Partei, verteidigte Witschas Äußerungen. Sie seien "bewusst aus dem Zusammenhang gerissen" und von Journalisten "instrumentalisiert" worden, sagte er.

Der Fall Hildburghausen

Ein weiteres Loch erhielt die Brandmauer aus Sicht der Parteien links von der CDU durch die jüngsten Äußerungen von Merz, der dafür warb, demokratische Entscheidungen zugunsten der AfD zu akzeptieren. "Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet." Obwohl unklar war, was er genau meinte, war die Empörung groß. Kritik kam auch aus CDU und FDP. Besonders heftig waren die Reaktionen bei SPD, Grünen und Linken. Schließlich stellte Merz via Twitter klar: "Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben."

Dabei beschrieb der Parteichef das, was längst Realität ist, vor allem in Ostdeutschland: punktuelle Kooperationen mit der AfD. Und alle machen mit, auch SPD, Linke und Grüne. Die Sozialdemokraten im thüringischen Hildburghausen ebneten zusammen mit der AfD und dem von einem Neonazi gegründeten "Bündnis Zukunft" den Weg für die im Februar erfolgte Abwahl des Bürgermeisters, den die Linke gestellt hatte. Sie sahen darin "gelebte Basisdemokratie" durch Bürgerbeteiligung. Die Landes-SPD bewertete den Vorgang exakt gegenteilig.

Im Sommer 2020 hatten sich die Sozialdemokraten der Kleinstadt an drei mit der AfD und einer weiteren Fraktion abgestimmten Pressemitteilungen beteiligt. Nach einem Gespräch zwischen der SPD-Landesspitze und den Genossen aus Hildburghausen erklärte die Erfurter Parteiführung, es gebe kein Miteinander von SPD und AfD. Aussagen von Ralf Bumann als SPD-Fraktionschef im Rat der Stadt klangen jedoch nicht nach der Erfurter Darstellung von der Einsicht in einen "Fehler". Er beklagte im MDR, dass es nicht um Sachthemen, sondern die Frage ging: "Wie kann denn die SPD hier zusammen mit der AfD arbeiten?" Er kenne die Leute "seit zig Jahren, das sind Nachbarn, die sind im Sportverein. Ich sehe damit auch keinen Angriffspunkt."

Zusammenarbeit mit der AfD gibt es auch im Westen

Die Linke im brandenburgischen Forst schloss 2020 ihren damaligen Fraktionschef aus und brauchte trotzdem Monate, um renitente Mitglieder von einer Kooperation mit der AfD abzubringen. In Waren an der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern kam im Januar 2020 heftiger Protest aus der FDP, weil SPD, Linke und Grüne im Finanzausschuss des Stadtparlaments einen Antrag der AfD-Fraktion zur Nutzung des städtischen Waldes unterstützt hatten. Der damalige FDP-Abgeordnete Toralf Schnur berichtete seinerzeit: "Die wussten alle, was sie tun. Sie haben es trotzdem gemacht." Prompt folgten Empörung und Beteuerungen der Landesverbände von SPD, Linken und Grünen, nicht mit der AfD zu paktieren.

Zusammenarbeit ist auch aus westdeutschen Städten bekannt. Für Furore sorgte eine damalige Christdemokratin der Gemeinde Frankenstein in Rheinland-Pfalz, die mit einem AfD-Mitglied - mit dem sie nebenbei verheiratet ist - im September 2019 eine gemeinsame Fraktion bildete. In Emmerthal in Niedersachsen konnte die AfD mit zwei Abgeordneten so etwas wie das Zünglein an der Waage spielen. SPD und Grüne sowie CDU und Freie Wähler bildeten zwei Gruppen mit jeweils elf Stimmen. "Die CDU scheut sich nicht, etwas mit der AfD durchzusetzen", berichtete der frühere SPD-Bürgermeister Andreas Grossmann. Der ehemalige CDU-Fraktionschef Rüdiger Welzhofer hielt die Aussage für unfair. "Wenn es nicht weitergeht, dann kriegen wir immer die AfD-Keule übergezogen", sagte er. Inzwischen haben sich die Mehrheitsverhältnisse in Emmerthal verschoben.

Vor allem Sachsen

Es ist aber vor allem Sachsen, wo immer wieder Kooperationen zwischen CDU und AfD Schlagzeilen machen. Ende März 2021 verhinderten die Christdemokraten, dass das in Plauen beheimatete "Bündnis für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage" 8000 Euro aus der Stadtkasse erhielt. Die CDU votierte gemeinsam mit AfD und der Neonazi-Partei "Dritter Weg" gegen den Zuschuss. Der Kreistag im sächsischen Bautzen wählte im Oktober 2019 einen AfD-Vertreter zum zweiten stellvertretenden Landrat auch mit Stimmen der CDU. Der Posten hat keine formelle Entscheidungskompetenz - die Symbolik aber hatte es in sich. Allerdings votiert die CDU auch immer wieder gegen AfD-Anträge.

Dass es unter ostdeutschen Christdemokraten Sympathisanten einer formellen Zusammenarbeit mit der AfD gibt, ist spätestens durch die im Sommer 2019 vorgelegte "Denkschrift" zweier CDU-Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt bekannt, in der es hieß: "Es muss wieder gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen." Der stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes im sächsischen Meißen, Sven Eppinger, brachte seine Ansicht so auf den Punkt: "Mauern fallen immer. Und auch so sieht man im Konrad-Adenauer-Haus manches an den Realitäten vorbei."

Quelle: ntv.de

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