Dossier

Hundert Tage nach der Wahl Alle Macht den Ortegas

Mit großem Getöse hatte der Sandinist Daniel Ortega seine Präsidentschaft in Nicaragua begonnen. Jetzt, 100 Tage danach, ist es stiller geworden. Denn aus den vielen Versprechungen, die Probleme des bitterarmen mittelamerikanischen Landes hinwegzufegen, ist noch nicht viel geworden. Für die Armutsbekämpfung stehen nach wie vor nur 14 Prozent des ohnehin bescheidenen Staatshaushalts zur Verfügung. Eine große Anstrengung, die Ressourcen zu Gunsten der Mittellosen umzuleiten, ist nicht in Sicht. Stattdessen hat Ortega seine politische Macht weiter konsolidiert. Politische Analysten sehen zudem erste Anzeichen für Verstaatlichungen in der Wirtschaft.

Ortega, der das Land bereits vor zwei Jahrzehnten in die sandinistische Revolution und ins Chaos geführt hatte, hat nach Meinung von Experten dieses Mal gute Voraussetzungen bei seinem Amtsantritt Anfang Januar vorgefunden. Die Exporte waren erstmals auf über eine Milliarde US-Dollar angestiegen, Die Verschuldung war mit 3,7 Milliarden Dollar nur noch so niedrig wie 1990. Und die liberal-konservative Regierung von Vorgänger Enrique Bolaos hatte die Inflation weitgehend in den Griff bekommen.

Ortega hatte sich von Anfang an bemüht, nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, er werde Nicaragua erneut in ein kommunistisches Abenteuer stürzen. Er hat sich zwar mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez, den Anführer der Anti-Washington-Länder Lateinamerikas und mit Kuba verbündet, sendet aber gleichzeitig versöhnliche Signale nach Norden, um Washington nicht über alle Maßen zu provozieren.

Überhaupt, der 60-jährige Altrevolutionär verbreitet Nachrichten über gutes Wetter in alle Richtungen. Er freundet sich mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad an, unterstützt aber nicht dessen Initiative, den Holocaust zu leugnen. Er spannt seinen Ex-Gegner, den früheren Kardinal von Nicaragua, Obando y Bravo, in seine Versöhnungspolitik ein. Dazu sucht er die Nähe zu seinen mittelamerikanischen Nachbarn Costa Rica und Honduras, die er gleichzeitig wegen Grenzstreitigkeiten bekämpft.

Und er spricht mit dem ihm verhassten Internationalen Währungsfonds, um ausländische Investoren nicht abzuschrecken. Diese befürchten nämlich, dass die Sandinisten nach dem Vorbild Venezuelas und Boliviens Teile der Wirtschaft verstaatlichen werden. Erste Signale werden in der Energiewirtschaft gesehen, wo private Stromversorger beispielsweise zunehmend Probleme mit der Regierung bekommen.

Währenddessen wird die machtpolitische Bilanz der ersten 100 Tage immer klarer: Ortega hat seinen und den Einfluss seiner Frau Rosario Murillo konsolidiert. Es werden, unter der Ägide von Murillo, parallele Räte geschaffen, die Schritt für Schritt die demokratischen Institutionen wie das Parlament entmachten. Die Gerichtsbarkeit ist ohnehin in den Händen der Sandinisten. Ortega hat es zudem geschafft, dass die Polizei ihm direkt untersteht. Und er ist der Chef der Streitkräfte, weil er bisher keinen Verteidigungsminister ernannt hat. Zwei Kabinettsmitglieder mussten ihren Posten bereits räumen, weil sie Kritik geübt hatten.

Angesichts dieser Entwicklung ist die Lage der Opposition sehr schwierig. Ortega, der nur mit rund einem Drittel der Stimmen gewählt worden war, hat die Opposition durch seinen Pakt mit dem konservativen Ex-Präsidenten und Chef der Liberalen Partei, Arnoldo Aleman geschwächt. Aleman, obwohl wegen Korruption verurteilt, darf sich deshalb jetzt frei in Nicaragua bewegen.

Am Montag bezeichnete der Chef der Neusandinisten-Bewegung (MRS), Edmundo Jarquin, die Entwicklung als antidemokratisch. Die MRS hatte sich von den linken Altsandinisten Ortegas abgespalten. Jarquin kritisierte Ortega, ein autoritäres Familienregime einzuführen und die Wirtschaft des Landes erneut zu Grunde zu richten. Er habe seiner Frau Rosario Murillo weitgehende Vollmachten übertragen. "Das schafft eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie, den wirtschaftlichen Fortschritt und die Milderung der Armut."


Franz Smets, dpa

Quelle: ntv.de

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