Merkels Lateinamerika-Besuch Alte Liebe neu entfacht
19.05.2008, 18:42 UhrRein zahlenmäßig fiel die Bilanz des mit sieben Tagen längsten Auslandstrips der Kanzlerin recht mager aus. Die Reihe der Abkommen, oft Gradmesser für Erfolg oder Nicht-Erfolg einer Politikerreise, blieb bei ihrem Lateinamerika-Besuch äußerst überschaubar. Die Wirtschaftskontrakte blieben vom Volumen her bei weitem unter dem, was normalerweise bei Kanzlerreisen in Asien signiert wird. Auch die politischen Vereinbarungen hatten nur Fußnoten-Charakter, vom Abkommen mit Brasilien über Zusammenarbeit bei Biosprit einmal abgesehen. Und doch war es für Angela Merkel, die zum Abschluss noch Mexiko besuchte, eine "wichtige und notwendige Reise zum richtigen Zeitpunkt".
Lateinamerika war in den vergangenen Jahren angesichts des Asien-Booms in Deutschland ein wenig in Vergessenheit geraten. Dabei ist die Sympathie für Deutschland in Südamerika immer noch sehr groß, wie sich schon auf den ersten Stationen der Merkel-Tour zeigte. Mit Inbrunst priesen Brasiliens Präsident Luiz Incio Lula da Silva oder Perus Staatschef Alan Garca die Deutschen. "Brasilien ist dankbar für alles, was die Deutschen getan haben", rief Lula fast mit Tränen in den Augen Merkel zu. Temperamentvoll listete einen Tag später Garca in Lima deutsche Geistesgrößen aus allen Jahrhunderten auf, von Martin Luther bis zum Südamerika-Forscher Alexander von Humboldt.
Symbol von großer Bedeutung
Nur wäre diese alte Liebe zu Alemania langsam gerostet, wenn die Kanzlerin den Subkontinent nicht aufgesucht hätte. Auch die Wirtschaftskontakte litten bereits ein wenig unter der Abstinenz, wie der Vorsitzende des Lateinamerika-Vereins der deutschen Wirtschaft, Bodo Liesenfeld, sagt. "Für die Wirtschaft war das Symbol der Reise von großer Bedeutung." Eine Renaissance der Wirtschaftsbeziehungen sei möglich. Und auch einige aus der Wirtschaftsdelegation waren frohen Mutes, dass es mit dem einen oder anderen Geschäft schon bald klappen könnte.
Wirtschaftsthemen standen denn auch im Mittelpunkt des Besuchs in Mexiko, wo die Kanzlerin Investitionsbedingungen erkunden wollte. Die Mexikaner sind stark an deutschen Investitionen interessiert, weil sie die Abhängigkeit vom US-Markt zumindest etwas verringern wollen. Für die deutsche Wirtschaft wiederum ist Mexiko noch interessanter geworden als früher, weil dort wegen der Dollar-Schwäche viel preiswerter produziert werden kann als in der Heimat.
Fäden spinnen
Merkel wollte auf der Reise vor allem Fäden zu den Staatschefs der so unterschiedlichen Länder des Kontinents spinnen. Dazu gab der EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima Gelegenheit. Dass Venezuelas Präsident Hugo Chvez seine Clownerien ihr gegenüber - wenn auch diesmal mit Gesten der Versöhnung, statt mit wüsten Beschimpfungen - fortsetzte, amüsierte die Kanzlerin auch ein wenig. Als seriösen Gesprächspartner sieht sie den Mann aus Caracas immer noch nicht an. Aber mit vielen anderen, die als Gefolgsleute von Chvez gelten, redete sie, auch mit dem Sozialisten Evo Morales aus Bolivien.
Diese Kontaktpflege sehen ihre Berater als den eigentlichen Ertrag der Reise an. Es ist ein Paradoxon: Im Zeitalter der Globalisierung sind zwar Telefonmeetings und Videokonferenzen möglich. Aber trotzdem wird der persönliche Kontakt der politischen Führer immer wichtiger.
Persönlich kennen und vertrauen
Das Führungspersonal müsse noch mehr reisen, um sich um die Pflege der Beziehungen zu kümmern. Die Probleme der Welt könnten, auch wenn es mittlerweile ein abgedroschenes Wort sei, nur noch gemeinsam gelöst werden, sagte ein führendes Mitglied der Merkel-Delegation auf den langen Flügen. Dem Klimawandel könne Europa eben nur mit einer großen Volkswirtschaft wie Brasilien begegnen, nicht aber gegen das Land - zumal es mit dem Amazonas-Regenwald die "Lunge der Welt" beherberge. Die Lösung der internationalen Problemen gelinge aber meist nur, wenn sich die Regierungschefs persönlich kennen und vertrauen.
Als Überraschung der Tour wurde in der 60-köpfigen Delegation der Aufenthalt in Kolumbien eingestuft. Merkel war dafür im Vorfeld kritisiert worden, weil Präsident lvaro Uribe in Deutschland als undurchsichtige Figur in einem Land gilt, das seit vier Jahrzehnten unter Terror von Paramilitärs, marxistischen Rebellen und anderen Gruppen leidet. Aber Uribe scheint das Land - zugegebenermaßen mit harter Hand - in eine bessere Zukunft zu führen, so der Eindruck. Die Hauptstadt Bogot macht einen freundlichen, fast europäischen Eindruck. Es läuft ein Programm zur Demobilisierung der Paramilitärs, die für schreckliche Massaker verantwortlich waren. Nach Ansicht der Kanzlerin sollte sich das Bild Kolumbiens in Deutschland wandeln. Auch das war eine Erkenntnis ihres bislang längsten Dienstausflugs.
Von Ulrich Scharlack, dpa
Quelle: ntv.de