Interview mit Andreas Schockenhoff "Alternativen zum EU-Beitritt der Türkei"
26.03.2010, 10:05 UhrUnionsfraktionvize Andreas Schockenhoff betont, die Türkei sei "von strategischer Bedeutung für die EU, auch für Deutschland". Eine Vollmitgliedschaft lehnt er nicht ausdrücklich ab, doch ist klar, dass er mit einem Scheitern der Verhandlungen rechnet. "Deswegen müssen wir uns heute - zu einem Zeitpunkt, wo die Verhandlungen vor allem auf türkischer Seite nicht weiterkommen - Alternativen zu einem Beitritt überlegen", sagt Schockenhoff im Interview mit n-tv.de.
n-tv.de: Welches ist für Sie das stärkste Argument gegen einen EU-Beitritt der Türkei?
Andreas Schockenhoff: Die Verhandlungen mit der Türkei werden mit dem Ziel eines Beitritts geführt, aber sie werden ergebnisoffen geführt. Deswegen müssen wir uns heute - zu einem Zeitpunkt, wo die Verhandlungen vor allem auf türkischer Seite nicht weiterkommen - Alternativen zu einem Beitritt überlegen. Denn auch wenn die Türkei am Ende des Tages nicht den gesamten Rechtsbestand der EU übernehmen will oder die Beitrittsbedingungen nicht erfüllen kann haben wir großes Interesse an einer engen Einbindung der Türkei in europäische Strukturen. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie das institutionell aussehen soll.
Ihre Partei lehnt einen Beitritt der Türkei schon jetzt ab.
Wir sind dafür, dass wir uns rechtzeitig auf eine Alternative vorbereiten. Die Türkei ist zu wichtig, um die Verhandlungen einfach sang- und klanglos im Sande verlaufen zu lassen. Sie ist von strategischer Bedeutung für die EU, auch für Deutschland, und deshalb ist es politisch klug, frühzeitig eine Alternative zu einem Beitritt ins Auge zu fassen.
Die Union strebt eine privilegierte Partnerschaft an. Wie soll die aussehen?
Sie könnte einen Großteil des Acquis communautaire, also des Rechtsbestandes der Europäischen Union, in einer anderen Rechtsform mit der Türkei vereinbaren, aber in bestimmten Bereichen, etwa in Bereichen der Freizügigkeit, in einzelnen Bereichen der wirtschaftlichen Integration, nicht den vollständigen Acquis communautaire umfassen.
Wie könnte man die türkische Regierung überzeugen, eine privilegierte Partnerschaft einzugehen?
Es gibt ja nicht nur in der EU eine Diskussion darüber, wie erfolgreich diese Verhandlungen verlaufen, sondern es gibt vor allem in der Türkei diese Debatte. Der Türkei müssen wir sagen: Wenn bei euch die politischen Mehrheiten fehlen, um alle Regelwerke der Europäischen Union zu übernehmen, so wollen wir euch doch dauerhaft und sicher in Europa verankern. Die privilegierte Partnerschaft ist ein Angebot an die Türkei. Es ist keine Ablehnung, sondern es ist die Versicherung, wie wichtig diese Partnerschaft für die EU und für uns in Deutschland ist.
Der sozialdemokratische Fraktionschef im Europaparlament, Martin Schulz, sagt, wenn die Regierungschefs in der EU gegen einen Türkei-Beitritt sind, sollen sie das offen sagen und die Verhandlungen mit einem anderen Ziel führen. Wäre es nicht ehrlich zu sagen, es gibt keine Mehrheit für einen Beitritt, wir geben dieses Ziel auf?
Das ist eine Frage, die sich zum jetzigen Zeitpunkt der Verhandlungen eher an die Türkei richtet als an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wir müssen feststellen, dass die Türkei Verpflichtungen nicht umsetzt, etwa das Ankara-Protokoll, das noch immer nicht ratifiziert ist. Damit weigert sich die Türkei nach wie vor, das EU-Mitglied Zypern anzuerkennen. Wenn die Türkei es ernst meint mit einer EU-Mitgliedschaft, dann muss sie auch die eingegangenen Verpflichtungen erfüllen!
Sie haben die strategische Bedeutung der Türkei schon angesprochen. Was ist für Sie das stärkste Argument für einen EU-Beitritt des Landes?
Natürlich hat die Türkei sicherheitspolitisch und energiepolitisch eine große strategische Bedeutung. Aber das stärkste Argument wäre, wenn die türkische Regierung und eine Mehrheit im türkischen Parlament sagen würde: Wir wollen nicht nur Mitglied werden, sondern wir wollen, dass dieses Europa handlungsfähig ist, dass dieses Europa in den großen globalen Fragen mit einer Stimme spricht, und deswegen wollen wir die europäische Integration auch nach einem Beitritt entschlossen mit betreiben. Das wäre ein sehr starkes Signal. Aber das vernehmen wir bisher aus der Türkei nicht.
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat vorgeschlagen, dass in Deutschland türkische Gymnasien gegründet werden. Was halten Sie davon?
Davon halte ich überhaupt nichts, weil es der Integration der türkischen Migranten in Deutschland zuwider läuft. Es gibt zwar, wie Erdogan gesagt hat, deutsche Gymnasien in der Türkei, aber das ist ein Angebot an türkische Schüler. Türkische Familien schicken ihre Kinder auf das deutsche Gymnasium, um sie vorzubereiten für internationale berufliche Tätigkeiten. Wenn wir in Deutschland türkische Gymnasien hätten, würden sie verhindern, dass gute türkische Schüler auf deutsche Schulen gehen, sich integrieren und die Chance erhalten, im Berufsleben in Deutschland Fuß zu fassen und Aufstiegschancen wahrzunehmen. Türkische Gymnasien in Deutschland wären ein Beitrag zur Desintegration, nicht zur Integration.
Mit Andreas Schockenhoff sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de