Klimawandelopfer hautnah Betroffene beraten Delegierte
07.12.2007, 12:37 UhrUrsula Rakova schüttelt bei der Weltklimakonferenz auf Bali den Kopf, wenn sie den Klimawandeljargon in den Verhandlungsrunden hört. Während dort um Ziele für Emissionsreduzierungen in 15 Jahren gestritten wird, plant Rakova den Exodus aus ihrer Heimat. Sie wohnt - noch - auf den Carteret-Inseln nordöstlich von Australien. Die Atolle versinken im Meer. Klimawandel hautnah - viele Delegierte aus weniger betroffenen Ländern sehen hier zum ersten Mal Opfer von Klimawandel und Umweltzerstörung und sind betroffen.
"Wir löschen unseren Durst nur noch mit Kokosnussmilch, alle Süßwasserquellen sind mit Meerwasser verseucht", sagt Rakova. "Bei Flut stehen unsere Gärten unter Wasser, unter dem Salz geht alles kaputt." Die Schulen blieben oft geschlossen. "Die Kinder haben manchmal einfach keine Kraft, sie sind so unterernährt." Rakova hat mit Bauern und Behörden auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Hauptinsel Bougainville verhandelt. Im nächsten Sommer geben die ersten 15 der 600 Familien das Leben auf Carteret für immer auf.
Wasserdienst statt Schule
Der 65-jährige Ambriansyah aus Kampung Pasir auf Borneo braucht keine wissenschaftlichen Berechnungen und Computermodelle, um zu wissen, dass seine Welt aus den Fugen geraten ist. "Wir wissen nicht mehr, wann wir pflanzen sollen, der Regen ist unberechenbar", sagt er. Seit der Wald ringsum durch Palmölplantagen ersetzt ist, sei es in seinem Dorf unerträglich heiß geworden. Und dann habe ein Kohlekonzern auch noch einen ganzen Berg abgetragen. "Der Wind weht nicht mehr", sagt Ambriansyah.
Aldrin Calixte kommt von Haiti. Die Menschen erleben mehr und stärkere Hurrikans, unberechenbaren Regenfällen, anhaltende Dürren. 4.000 seien vor drei Jahren durch Wetterkatastrophen ums Leben gekommen. Das Trinkwasser wird knapp. "Vor den öffentlichen Wasserhähnen sind jetzt immer endlose Schlangen", sagt er. Der Zeitaufwand sei riesig, Zeit, die den Menschen fehle, um etwa Arbeit nachzugehen. Auch Kinder würden für den Wasserdienst herangezogen, die dann der Schule fernbleiben.
Die drei sind mit Dutzenden anderen von Klimawandel und Umweltzerstörung Betroffenen auf Bali, um den Delegierten ins Gewissen zu reden, die über einem neuen Weltklimavertrag brüten. "Die Politiker verhandeln hier über Tagesordnungspunkte und loten juristische Feinheiten aus - es ist wichtig, dass die Menschen dabei nicht vergessen werden", sagt Meena Raman, Vorsitzende des Umweltverbandes "Friends of the Earth". Die Organisation hat eine Broschüre mit Stimmen der Opfer herausgebracht.
Regen, Hitze, Wind - "Alles ist unberechenbar"
Die 54-jährige Maritza Arvalo Amador aus Honduras berichtet darin über die dramatischen Schockwellen nach dem verheerenden Hurrikans Mitch von 1998, die noch heute zu spüren seien. Ein Viertel der Bevölkerung wurde damals obdachlos, 70 Prozent der Transportwege zerstört. Die Regierung reagierte mit einer Öffnung der Tore für internationale Konzerne - und nun gibt es große Bananenplantagen, die Pestizide einsetzen, Holzfirmen, die Wälder zerstören, Rohstoffkonzerne, die die Erde aufreißen. "Es wird heißer, und es gibt weniger Regen", sagt sie. "Kinder und Alte haben Hautausschlag und Atemprobleme."
Bauern in Mali müssen heute acht Wochen länger auf die Regenzeit warten als vor zehn Jahren, malaysische Fischer pflanzen Mangroven gegen die Küstenerosion. Klimaopfer gibt es auch in Europa. An der englischen Südküste kämpft das Örtchen Selsey ums Überleben. "Ich habe hier erst vor sieben Jahren gebaut", sagt Roger Maycock, der seitdem mehrfach Wasser im Haus hatte. "Jetzt liegt mein Haus in einer Zone, die die Regierung nicht mehr schützen, sondern dem Meer überlassen will." Die Entwicklungsorganisation Oxfam schickte auf Bali eine Garde Eisbären vor das Konferenzzentrum, die sich für ihre Mitlebewesen, die Menschen einsetzten. "Rettet auch die Menschen", forderten die Aktivisten in der schwülen Hitze in ihren Kunstpelzkostümen.
Von Christiane Oelrich, dpa
Quelle: ntv.de