Tibet, Taiwan, Tian'anmen Chinas Premier plagen Sorgen
18.03.2008, 13:40 UhrPlötzlich wird es ganz still. Wen Jiabao steht gleich vor einer doppelten "T-Frage": Tibet und Taiwan. "Beide sind wichtig für die Einheit, Souveränität und territoriale Integrität unseres Landes", setzt Chinas Regierungschef in dem großen Saal mit Hunderten von chinesischen und ausländischen Journalisten zur Antwort an. Er spricht wie immer mit langen Pausen, hält inne. Seine Lippe zittert leicht. "Aufruhr, Prügeleien, Zerstörungen, Brandstiftungen und Plünderungen", beklagt Wen Jiabao empört vor den laufenden Kameras, die seine Pressekonferenz zum Abschluss des Volkskongresses in Peking live im ganzen Land verbreiten. Die heikle Frage über die schweren Unruhen in Lhasa hat der Premier erwartet, nutzt sie für scharfe Kritik am Dalai Lama, dem religiösen Oberhaupt der Tibeter.
Ihm schreibt Wen Jiabao fast allmächtige Fähigkeiten zu: Der Dalai Lama habe nicht nur die blutigen Unruhen in Lhasa und anderen Orten Tibets "von langer Hand vorbereitet", sondern stecke auch hinter den globalen Protesten der Exiltibeter vor Chinas Botschaften und Konsulaten. Seine Predigten von Gewaltlosigkeit seien "nichts als Lügen", stilisiert Wen Jiabao den Friedensnobelpreisträger zum Staatsfeind Nummer Eins hoch. Da ist der Buddhist aus Dharamsala in bester Gesellschaft mit Taiwans Präsident Chen Shui-bian, der Pekings Führer zum Abschied nach zwei Amtszeiten noch mit einer Volksabstimmung über einen Beitritt in die Vereinten Nationen ärgert.
Alles sehr riskant, warnt Wen Jiabao die Wähler in Taiwan, die am Samstag nicht nur einen neuen Präsidenten wählen, sondern auch über einen UN-Beitritt als "Taiwan" abstimmen sollen. Die Aussichten des Referendums sind mehr als ungewiss, weil es die große oppositionelle Kuomintang nicht mitträgt. Doch mit dem Ruf "Taiwan darf nicht Tibet werden", gewinnen die Befürworter an Unterstützung. Da sieht sich Chinas Ministerpräsident genötigt, vor Spannungen und einer Gefahr für den Frieden in der Pazifikregion zu warnen. Dabei droht nicht Taiwan mit Krieg, sondern vielmehr Pekings Führer, falls sich die demokratische Inselrepublik formell von China abspalten wollte.
Eigentlich hat Chinas Regierungschef aber ganz andere Sorgen. Der plötzliche Ausbruch von Frust und Wut in Tibet hatte nämlich nicht nur mit der chinesischen Fremdherrschaft, Unabhängigkeitsforderungen, ethnischen Spannungen und Diskriminierung zu tun, sondern auch damit, dass überall im Land die Preise steigen. Über die Schmerzgrenze hinaus. Die armen Tibeter haben - wie viele mit geringen Einkommen - ganz besonders darunter zu leiden. So haben sich Gemüse, Speiseöl, Fleisch und andere Nahrungsmittel drastisch verteuert. Wen Jiabao erkennt an, dass die Inflation "die größte Sorge" des Volkes ist.
Welche Gefahren das birgt, hatte Wen Jiabao 1989 hautnah selbst erlebt, als der Unmut über explodierende Preise und Korruption den Nährboden für die Demokratiebewegung bereitete, die im Massaker von Tian'anmen vom 4. Juni 1989 endete - der dritten heiklen "T-Frage" für die chinesischen Führer. In jenem düsteren Jahr 1989 hatten die Unruhen ebenfalls im März in Tibet begonnen. Der Aufruhr war dann langsam nach Peking und in andere Städte übergeschwappt.
Die dunkle Vergangenheit spricht Wen Jiabao lieber nicht an. Doch irgendwie unheilschwanger prophezeit der Premier den Chinesen das "schwerste Jahr" - und das ausgerechnet im Jahr der Olympischen Spiele in Peking. Das rasante Wachstum drohe in Überhitzung umzukippen, was den Preisanstieg antreibe, warnt Wen Jiabao. Es gebe "eine Menge Unsicherheiten", nicht zuletzt durch die Bankenkrise in den USA, den Fall des US-Dollars und weltweiten Konjunkturabschwung. "China ist jetzt mit der globalen Wirtschaft verknüpft." Bei soviel Besorgnis wird Wen Jiabaos abschließende Versicherung, "dass die Grundlagen der chinesischen Wirtschaft aber eigentlich gesund sind", am Ende von niemandem mehr wirklich wahrgenommen.
Von Andreas Landwehr, dpa
Quelle: ntv.de