Dossier

Ein gezielter Aufschlag pro Tag Das Prinzip Brüderle

Rainer Brüderle kann man dieser Tage nicht entrinnen. Der Bundeswirtschaftsminister füttert die Öffentlichkeit unermüdlich mit neuen und alten Forderungen, Initiativen und Befunden zur Wirtschaftspolitik, zur ökonomischen Entwicklung, zum Koalitionsklima und bei Bedarf auch mit "Buntem".

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(Foto: picture alliance / dpa)

Rainer Brüderle ist unglaublich fleißig. Das Prinzip, "an jeden Tag ein Interview" durchbricht er: nicht eines, Dutzende - so der Eindruck. Professionell nutzt er die nachrichtenschwache Sommerpause. Ohne Brüderle wären die Zeitungen fast leer. Der Fachkräftemangel und der Zuzug hochqualifizierter Ausländer, die Rentengarantie, das Auslaufen der Rettungsschirme für Banken und Unternehmen, die "Sozialdemokratisierung der Union", "Boom" und "Vollbeschäftigung" - Brüderle lässt es richtig krachen.

Die Daueraktivität ist nicht neu. Der FDP-Mann agiert eigentlich schon so, seitdem er seinen Traumjob in der Regierungsmannschaft mit großer Beharrlichkeit bei Bildung der schwarz-gelben Koalition gesichert hatte. Am Anfang hatte er zu kämpfen: Er fiel gegenüber seinem medienbewußten, dynamischen und vor allem jungen Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg ab, wurde politisch so richtig nicht ernst genommen. Interviews blieben unbeachtet. Dass ihn Kanzlerin Angela Merkel beim dramatischen Ringen um den Euro-Rettungsschirm im Mai, als Finanzminister Wolfgang Schäuble kurzfristig wegen Krankheit ausfiel, überging und stattdessen Innenminister Thomas de Maiziere nach Brüssel entsandte, war ein Tiefschlag für den "Oldtimer". "Wirtschaftsminister Rainer Brüderle gilt selbst in den eigenen Reihen als Totalausfall", spottete die SPD Mitte Mai - ein "Mann ohne Autorität".

"Der Unterschätzte"

Nicht einmal einen Monat später hatte sich vieles verändert: Die Wende brachte Brüderles Entscheidung am 9. Juni, dem Autobauer Opel und damit dessen US-Konzernmutter General Motors
Staatshilfen zu versagen. Er hatte monatelang gezaudert, nicht weil er in seiner Meinung schwankend war, sondern weil er den Konflikt mit Merkel scheute. Denn erbitterter Streit ist nicht die Sache des gemütlichen und umgänglichen Weinliebhabers aus Mainz.

Doch am Ende riskierte er es. Die Kanzlerin war wie erwartet anderer Meinung und machte das auch öffentlich sehr deutlich: Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen in Sachen Opel, rüffelte die Kanzlerin ihren Minister - und musste zurückstecken. Der Sieger hieß Brüderle und sonnt sich seitdem in Urteilen, wie "der Unterschätzte", und in Titelbild-Ehren bei Magazinen.

Umworben in den Medien

Inzwischen wird es für Brüderle mit der öffentlichen Gunst manchmal fast schon peinlich. Die "Bild"-Zeitung herzt ihn gerade als "Brotherle" und schmeichelt, weil ihm eine Fotomontage mit ihm als Hauptfigur gut gefallen hat: "Dieser Politiker versteht wirklich Spaß." Derweil bestimmten Brüderles Themen aktuell die Titelseiten der meisten Tageszeitungen.

Der Minister, der noch kürzlich befürchten musste, sein Amt als FDP-Vize zur verlieren, gilt mittlerweile für die Liberalen wieder als Aktivposten. Er ist, gemessen an seinen Kabinettskollegen, neben Gesundheitsminister Philipp Rösler, derjenige, der die Fahne der Liberalen am sichtbarsten hochhält. Kein Interview, in dem er sich nicht als der Lordsiegelbewahrer marktwirtschaftlichen Gedankenguts beweist. "Ich bin froh, dass wir in Rainer Brüderle einen Wirtschaftsminister mit klarem ordnungspolitischen Kompass in Reden und im praktischen Handeln haben", lobte ihn FDP-Chef Westerwelle gerade erst. Und ein hochrangiger Regierungsvertreter warnt nur: "Er muss jetzt aufpassen, dass er nicht jeden Tag mit einem neuen Thema kommt". Selbst der stellvertretende Unionsfraktionschef Michael Fuchs lobt: "Ich finde, dass er seine Arbeit gut macht".

Für Brüderle ist das Prinzip Wettbewerb Programm, offenbar auch innerhalb der Koalition. Er gefällt sich darin, trotz aller beschwörenden Appelle zu Ruhe und Geschlossenheit nach den deftigen Streits der letzten Zeit in der Koalition in gemessener Form immer mal wieder die Partner aus der Union zu rüffeln. Da wirke wohl noch die Große Koalition mit der SPD nach, mosert er etwa milde, oder er wirft der Union Defizite an ihrer marktwirtschaftlichen Flanke vor.

Dafür, dass bei der Koalitionsbildung eigentlich keiner Brüderle so richtig als Wirtschaftsminister wollte, weder Merkel noch sein eigener Parteichef, hat sich Brüderle in seinem Amt inzwischen recht komfortabel eingerichtet.

Quelle: ntv.de, Gernot Heller, Reuters

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