Dossier

US-Wahlnotizen IV Der Kandidat steht fest

Vor den Wahlen schien die Entscheidung schon festzustehen. Jetzt ist sie de facto gefallen, aber die Wahlen gehen weiter. Beides hat zu tun mit einer Frau, die zunächst als unvermeidlich galt und nun als penetrant.

"Zu früh" sei es, jetzt schon aufzugeben, sagt Hillary Clinton am Tag danach. Nach 50 von 56 Vorwahlen. Nach einer realen und einer gefühlten Schlappe in den letzten beiden größeren Staaten. Nach der Vergrößerung des Rückstandes bei den Delegiertenstimmen. Und nachdem sie weitere sechs Millionen Dollar in ihre Kampagne gesteckt hatte, die ansonsten längst bankrott gewesen wäre.

Zum Aufgeben geraten

"Sie sollte endlich aufgeben", sagt George McGovern, Präsidentschaftskandidat der Demokraten von 1972, der zu den Ersten gehört hatte, die Clinton unterstützten. Dianne Feinstein, die einflussreiche Senatorin Kaliforniens und ebenfalls Teil des Clinton-Lagers, drückt sich etwas zurückhaltender aus. "Ich möchte gerne wissen, wie sie sich das weitere Rennen vorstellt."

Diese Frage beschäftigt nicht nur Frau Feinstein. Exakt sechs Vorwahlen stehen noch an – in vergleichsweise menschenleeren Staaten wie South Dakota und Montana. Barack Obama liegt bei den gewählten Delegiertenstimmen und den absoluten Stimmen praktisch uneinholbar vorn. Und die Mehrzahl der so genannten Superdelegierten, die sich völlig frei entscheiden können, hat angekündigt, sich auf die Seite des Siegers zu schlagen.

Gibt es weder einen "totalen Kollaps der Obama-Kampagne", noch einen "Akt Gottes", steht der Kandidat fest, sagt Tim Russert, NBCs Star-Kommentator, der sich als erster aus der Deckung wagte. George Stephanopoulos, einst Berater von Bill Clinton und heute in Diensten von ABC, sieht es genauso: "Der Kampf ist vorbei."

Vor wenigen Monaten noch klang es ähnlich, allerdings unter völlig anderen Vorzeichen. Damals schien der Clinton-Express ungebremst zum Ziel zu rauschen. Fast alle Beobachter in Washington, darunter auch der Verfasser dieser Zeilen, sahen in Hillary Clinton die aussichtsreichste Kandidatin der Demokraten. Satte 30 Prozent lag sie in landesweiten Umfragen vor ihren Herausforderern – darunter John Edwards und Barack Obama. Hillary hatte das Parteiestablishment auf ihrer Seite, die finanzkräftigen Unterstützter, die prominenten Politprofis, kurz: den kompletten Clinton-Clan. Spätestens für den Super Tuesday Anfang Februar war die Krönungsmesse geplant. Und selbst die Wahlen im November schienen nur eine Art Pflichtübung zu sein auf dem Weg (zurück) ins Weiße Haus. Sogar US-Präsident George W. Bush sprach öffentlich von der "wahrscheinlichen Kandidatin" Hillary Clinton.

Warum es nicht danach aussieht, obschon es doch so schön geplant gewesen war? Der vielleicht wichtigste Grund: Nach nahezu 20 Jahren mit einem Präsidenten im Oval Office, der entweder den Nachnamen Bush oder Clinton trägt, erscheinen weitere vier bzw. acht Jahre Clinton wie eine Drohung. Barack Obama dagegen verkörpert gegenüber diesem "Weiter so" den exakten Gegenentwurf: Jung, dynamisch, mitreißend, schwarz. Sein Motto: Change, also Wandel. Dieses Wechselversprechen scheint nicht besonders originell und auch nicht von Substanz getragen, aber es trifft den Nerv der Zeit. Viele Amerikaner sind die Grabenkämpfe der letzten Jahre satt und wünschen sich einen Präsidenten, der das Land wieder vereint bzw. es zumindest glaubhaft versucht. Hillary Clinton werden zu Recht beste Voraussetzungen für den Spitzenposten zugesprochen. Die Fähigkeit, ihre Landsleute miteinander zu versöhnen, fällt jedoch nicht darunter.

Kommt es zum Duo?

Doch genau diese Fähigkeit ist jetzt gefragt – und zwar zunächst im eigenen Lager. Die Demokraten kennen vielleicht ihren Kandidaten, müssen aber Mittel und Wege finden, sich auch geschlossen hinter diesem zu versammeln. Nicht einmal die Hälfte der Clinton-Wähler von North Carolina und Indiana kann sich vorstellen, im November Barack Obama zu unterstützen. Nur zur Erinnerung: Bei den Präsidentschaftswahlen 2000 hat der damalige 2,7-Prozent-Kandidat Ralph Nader ausgereicht, Al Gore die letztlich entscheidenden Stimmen abzuknöpfen – und George W. Bush den Sieg zu schenken.

Das alles heizt die Spekulationen an, dass es am Ende zu einem gemeinsamen Ticket Obama/Clinton kommen könnte. Hillary mache nur deshalb weiter, damit Obama nicht umhin könne, ihr, letztlich ganz im Sinne der Parteiräson, die Kandidatur zur Vizepräsidentin anzutragen. Im jüngsten CNN-Interview mit Barack Obama fragte Wolf Blitzer schon einmal nach, was er denn von dieser Variante hält. Obama reagierte höflich, aber kühl. Clinton biete sicherlich großartige Voraussetzungen als "running mate", aber für eine Entscheidung darüber sei es noch viel zu früh.

Hillarys Wahlkampfteam ließ auf Nachfrage verbreiten: Mit dieser Frage habe man sich "noch gar nicht befasst." Und die Kandidatin selbst sagte gegenüber Parteifreunden: "Ich bin im Rennen und ich bleibe im Rennen."

Erklärendes, Analysierendes, Kurioses, Überraschendes, Faszinierendes und Humorvolles: Christian Wilp, n-tv Washington-Korrespondent, beobachtet für n-tv.de den US-Wahlkampf 2008.

Quelle: ntv.de

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