Politik

Liberale mit Profilneurose "Die FDP hat nichts geleistet"

Die Unbeherrschbarkeit der Atomkraft in Japan hat in Deutschland die Wahl mit entschieden.

Die Unbeherrschbarkeit der Atomkraft in Japan hat in Deutschland die Wahl mit entschieden.

(Foto: REUTERS)

Nach der Wahl beginnt die Analyse, Schwarz-Gelb leckt sich die Wunden. "Die FDP hat erlebt, dass ihr Slogan 'Leistung muss sich wieder lohnen', ernst genommen wird", sagt der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Die Liberalen hätten nichts geleistet und würden nun abgestraft. Der Kanzlerin rät er, sich auf die sozialen Wurzeln der Partei zu besinnen. Den Erfolg der Grünen sieht er auch in Kretschmanns Pragmatismus begründet.

n-tv.de: Wir haben in den Begründungen für die Wahlergebnisse am Wochenende immer wieder gehört, dass die Parteien darin vor allem die Auswirkungen der Ereignisse in Japan sehen. Ist das so, oder sehen wir Entwicklungen, die sich sowieso vollzogen hätten?

Gero Neugebauer: Auf jeden Fall ist der Einfluss der Entwicklungen in Japan nicht zu unterschätzen. Der hat ganz wesentlich zur Mobilisierung beigetragen. Aber es gibt auf der anderen Seite auch einen Wandel in der deutschen Gesellschaft, in der es zu einer Verschiebung von Wertorientierungen und Haltungen kommt, wo Politiker und Parteien ein anderes Profil gewinnen, wo Gewissheiten schwinden, zum Beispiel die, dass Volksparteien auch immer gute Wahlergebnisse einfahren müssen. Insofern kommt beides zusammen. Man darf dieses Ergebnis nicht kleinreden, indem man sagt, es ist auf externe Einflüsse zurückzuführen. Es hat auch eine eigene Logik in der Entwicklung der Politiklandschaft.

Kretschmann gilt als aufrichtiger Politiker.

Kretschmann gilt als aufrichtiger Politiker.

(Foto: dpa)

In Baden-Württemberg ist das Wahlergebnis historisch, Deutschland bekommt seinen ersten grünen Ministerpräsidenten. Inwiefern ist dieser Sieg der Grünen auch in der Person von Winfried Kretschmann begründet?

Er steht für eine spezifische Form des Grünen, denn auch das Grüne hat verschiedene Schattierungen. Ich denke nicht, dass der Erfolg mit Jürgen Trittin oder Renate Künast möglich gewesen wäre, auch nicht mit Oswald Metzger, dem früheren Grünen, der zu stark wirtschaftspolitische Interessen vertreten hat. Kretschmann ist im Land groß geworden, er hat sich durch eine pragmatische wie konstruktive Oppositionspolitik auch Respekt erworben, und er hat sich den Schwarzen geöffnet. Das sind spezifische Konstellationen und eine bestimmte Form von Grün, die woanders so nicht zu finden ist.

Liegt es auch daran, dass Kretschmann kaum grüne Klischees verkörpert?

Es hat sich schon bei der Kampagne gegen Stuttgart 21 gezeigt, dass Kretschmann in seiner Wortwahl und seinem Auftreten und auch in der Zielsetzung einen Ton getroffen hat, der die konservativen grünen, aufgeklärten Bürgerlichen in der CDU, aber auch die ohne Parteibindung angesprochen hat. So hat er einen Zugang zu bürgerlichen Kreisen gefunden, für die die Grünen bis dahin nicht wählbar waren. Sie finden in der CDU in Baden-Württemberg genug Leute, die sagen, Naturschutz ist ein ureigenes konservatives Anliegen. Die auf der regionalen Ebene gut aufgestellten Grünen haben immer als sehr pragmatisch und bodenständig gegolten, und Kretschmann war nicht als Ideologe zu verteufeln. Auch das machte ihn wählbar.

Wo könnten Schwierigkeiten für Kretschmann in seinem neuen Amt liegen?

Kretschmann trifft auf eine Ministerialbürokratie, in der es konservative Erbhöfe und Netzwerke gibt und in denen er über seinen Amtsbonus hinaus erst Respekt und Zustimmung erringen muss. Er wird Entscheidungen treffen lassen müssen, die möglicherweise grünen Überzeugungen nicht ganz gerecht werden. Dann ist er wenig vertraut mit der ihm bislang unbekannten Politik im Bundesrat. Natürlich hat er es erst einmal schwer, jetzt in die Riege der Ministerpräsidenten integriert zu werden. Selbst in Koalitionen sind die Ministerpräsidenten immer bemüht, bei der Politik im Bundesrat, die ja ihre ureigene Politik ist, auf ihrer Dominanz zu bestehen. Wenn die klug ist, versucht sie ihn als Verbündeten zu gewinnen. Auf jeden Fall wird seine Präsenz die bundespolitische Rolle der Grünen aufwerten.

Die Grünen haben ihr Ergebnis verdoppelt. Woher sind die zusätzlichen Stimmen gekommen?

Die Grünen haben in Baden-Württemberg am meisten aus dem Nichtwählerlager mobilisiert, das es dort gab. Dann haben sie von der Wählerwanderung innerhalb des Lagers dadurch profitiert, dass Wähler von der SPD zu den Grünen gewechselt haben. Der Austausch ist gar nicht so selten. Grüne gehen, wenn sie von der eigenen Partei enttäuscht sind, entweder zur SPD oder sie wählen nicht. SPD-Wähler gehen entweder zu den Grünen oder zur CDU oder zur Linken – oder nirgendwohin. Die Mobilisierung der großen Zahl von Nichtwählern, aber auch von Wechselwählern, das war entscheidend für den Erfolg der Grünen.

Schauen wir auf den Bund. Die Union ist heftig angeschlagen, die kritischen Töne gegen Bundeskanzlerin Merkel werden lauter. Was muss sie tun, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen?

Die Kanzlerin muss sich auch um die programmatische Schärfung ihrer Partei kümmern.

Die Kanzlerin muss sich auch um die programmatische Schärfung ihrer Partei kümmern.

(Foto: dpa)

Wenn man sich auf die Argumentation von Angela Merkel einlässt, die Dinge vom Ende her zu denken, dann muss sie jetzt alles beseitigen, was sie und die CDU daran hindern könnte, gut aufgestellt in die Bundestagswahlen 2013 zu gehen. Merkel muss Bilanz ziehen, sie hat zwei Ministerpräsidenten verloren, das erschwert ihr auch die Entscheidungen im Bundesrat. Die CDU hat sich in letzter Zeit zu stark auf den konservativen Flügel gestützt und sich wirtschaftsnahen Interessen geöffnet. Vielleicht nutzt Merkel die erzwungene Kooperation in der Atomfrage dazu, sich hier zu revidieren. Das könnte ihr schwer fallen, aber angesichts der Gefahr eines drohenden Machtverlusts ist sie dazu wahrscheinlich in der Lage. Gerade angesichts der Eskapaden der FDP muss die CDU zweitens gucken, was mit ihren politischen Kernüberzeugungen geschehen ist. Möglicherweise ist die Sicherheitspartnerschaft mit den USA beschädigt worden. Sie muss das Misstrauen gegen einen deutschen Sonderweg beseitigen und an der Wiederherstellung des Vertrauens arbeiten. Als drittes muss wieder deutlicher werden, dass die CDU auch eine soziale und eine liberale Wurzel hat. Und diese liberale Wurzel ist nicht marktliberal, sondern enthält libertäre gesellschaftliche Auffassungen. Merkel muss die CDU klar identifizieren und dabei alle drei Wurzeln der Union so bedienen, dass die Kritik von der einen Seite durch die Zustimmung von der anderen aufgefangen werden kann.

Die Umfragen vor den Wahlen haben gezeigt, dass die Wähler Merkel ihre Wende in der Atompolitik nicht abgenommen haben. Kann sie das doch noch glaubwürdig hinkriegen?

Sie kann eigentlich nur dann glaubwürdig wirken, wenn am Ende des Atommoratoriums in der Tat einige dieser Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Und zwar nicht nur jene, von denen man jetzt schon weiß, dass sie bestimmten Sicherheitsanforderungen nicht genügen. Nur dann hat das Moratorium Gewicht. Ein einfaches Zurück gibt es nicht, dann kippt die Regierung endgültig.

Was wird Merkel mit der FDP unternehmen, die ihr als Koalitionspartner sicher Sorgen macht?

Parteichef Westerwelle will bleiben, unbedingt.

Parteichef Westerwelle will bleiben, unbedingt.

(Foto: dapd)

Ich glaube, da wird sie abwarten, was die selbst macht. Natürlich kann sich Außenminister Westerwelle hinstellen und sagen, es gibt eine neue Sicht auf die Welt und die bestimme ich. Darin wird die Profilneurose der FDP sichtbar, aber er steht da eben auch für die Bundesregierung. Und gerade in Fragen der Außenpolitik, wo man auch sehen muss, dass Merkel Westerwelle vor allem in der Europapolitik gelegentlich heftig düpiert hat, muss die Regierung als einiger Akteur auftreten. Hier ist die Frage, ob Merkel Westerwelles neue eher dogmatische Position akzeptiert und mitvertritt, oder ob sie ihn wieder auf frühere gemeinsame Positionen zurückholt. Leicht wird sie es da nicht haben.

Bei den Wahlen hat die FDP gar nicht gut ausgesehen. Was ist da los?

Die FDP hat erlebt, dass ihr Slogan "Leistung muss sich lohnen", ernst genommen wird. Sie haben nichts geleistet, und deshalb haben sie auch keinen Lohn eingefahren. Die FDP steht nur noch für Enttäuschung und kann keine Wähler mehr mobilisieren. Sie hat es ja nicht einmal geschafft, die Mehrwertsteuersenkung für Hotels in ein wirtschaftspolitisches Konzept einzubetten, das sagt, Tourismus ist ein wachsender Wirtschaftszweig, den wir fördern müssen. Wer nur alte Sachen hinlegt, die nicht nachgefragt werden, der wird abgestraft.

Inwiefern hat sich das ausgewirkt, dass Westerwelle für die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat zu Libyen steht?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens im Nein zur Beteiligung an militärischen Aktionen. Westerwelle hat einerseits die demokratischen Entwicklungen in Nordafrika gelobt und betont, das müssten wir stützen, und sich dafür auch die öffentliche Zustimmung abgeholt. Als es aber ernst wurde, zuckte er doch zurück, um am Ende dann doch Soldaten für die Luftüberwachung nach Afghanistan zu schicken. Das ist eine Widersprüchlichkeit, die er nicht auflösen kann. Er hat auf die Honorierung einer Antikriegshaltung gesetzt, aber wer nimmt die Westerwelle ab?

Dann haben wir noch Wirtschaftsminister Brüderle, der die Atomwende als Wahlkampftaktik entlarvt. Wie schädlich ist das?

Parteienforscher Neugebauer sieht die Kanzlerin in Erklärungsnot.

Parteienforscher Neugebauer sieht die Kanzlerin in Erklärungsnot.

Ich denke, dass Brüderle deutlich machen wollte, dass die FDP weiter für eine atomfreundliche Politik steht. Er wollte damit auch die eigenen Anhänger zur richtigen Wahl ermuntern. Aber für alle anderen ist das natürlich einer der Mühlsteine, die die Partei runter reißen.

Wird er sich als Minister halten können?

Da muss man sehen, welche Analyse die  FDP macht und wie sie meint, den Schaden begrenzen zu können. Die ersten Ergebnisse werden wir wohl frühestens in zwei Wochen sehen, wenn die FDP zusammentritt, um den Bundesparteitag vorzubereiten. Früher hat ein Minister, wenn er solche Ergebnisse für seinen Landesverband eingefahren hat, die Konsequenzen getragen und ist zurückgetreten. Aber bisher habe ich davon nichts gehört.

mit Gero Neugebauer sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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