Reform ohne Öffentlichkeit Diskretion im Namen Europas
11.03.2008, 15:09 UhrMöglichst geräuschlos soll der neue EU-Grundlagenvertrag über die parlamentarische Bühne gehen. Deshalb wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Donnerstag das Vertragswerk von Lissabon auch nicht mit einer Regierungserklärung in den Bundestag einbringen. Auch beim anschließenden Frühjahrsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel soll alles vermieden werden, was neue Dissonanzen über Grundsatzfragen in der EU auslösen könnte.
Die meisten Bundestagsabgeordneten haben den Schrecken noch in den Knochen, als 2005 die mühsam über Jahre erarbeitete EU-Verfassung an Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden scheiterte. Der Nachfolgevertrag soll nicht ein ähnliches Schicksal erleben. Vermutlich Ende Mai wird Irland als einziges EU-Mitglied das Volk zum Lissabon-Vertrag befragen. Bis dahin soll Deutschland als EU-Gründungsmitglied mit gutem Beispiel vorangegangen sein.
Spielverderber könnte nur der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler sein. Er hat eine Klage beim Bundesverfassungsgericht angekündigt, weil er die parlamentarischen Rechte der Abgeordneten durch Kompetenzverlagerung nach Brüssel und Straßburg verletzt sieht. Schon bei der EU-Verfassung hatte Gauweiler in Karlsruhe geklagt.
Die Richter setzten damals nach den negativen Referenden die Behandlung der Klage zunächst aus. Bundespräsident Horst Köhler sicherte damals zu, dass er die in Bundestag und Bundesrat mit jeweils Zwei-Drittel-Mehrheiten verabschiedete EU-Verfassung nicht unterzeichnen werde. Das Vertragswerk war deshalb von Deutschland nie rechtswirksam ratifiziert.
Ähnliches könnte nun wieder passieren, sollte Karlsruhe die Gauweiler-Klage nicht kurzfristig zurückweisen. Im Bundestag wird nicht ausgeschlossen, dass die Verfassungsrichter die Gelegenheit nutzen könnten, um die Grenzen zwischen EU-Recht und nationalem Recht grundsätzlich neu zu ziehen. Das würde vor allem auch Zeit erfordern. Die Folgen wären gravierend. Der gesamte Fahrplan der EU geriete durcheinander.
Bereits in der zweiten Jahreshälfte will die EU die personellen Weichen stellen für einen reibungslosen Übergang 2009 der Arbeit der EU nach den Vorgaben des Reformvertrags. Dazu gehört auch die Berufung eines neuen EU-Ratspräsidenten, der zweieinhalb Jahre amtieren wird, und eines neuen "Außenministers".
Eine Schlüsselstellung kommt jetzt auf jeden Fall Bundespräsident Horst Köhler zu. Er wird Ende Mai möglicherweise entscheiden müssen, ob er den dann in Bundestag und Bundesrat verabschiedeten EU-Vertrag unterzeichnet und damit trotz einer laufenden Verfassungsklage Rechtskraft gibt. "Es steht viel auf dem Spiel", sagt Gunther Krichbaum von der CDU.
Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses kann sich nicht vorstellen, dass Köhler gewissermaßen im Alleingang den EU-Reformprozess stoppt. "Jeder wird sich fragen müssen, was die Alternative ist", warnt er indirekt auch das Staatsoberhaupt. Schon bei der Ratifizierung der EU-Verfassung vor drei Jahren war die Verärgerung bei den Europa-Politikern groß, dass die Bundesregierung mit dem "Schönheitsfehler" der formal nicht ratifizierten Verfassung auf Werbetour für einen Ersatzvertrag gehen musste.
Diesmal könnte es schwieriger sein, den Ärger unter der Decke zu halten. Nicht nur Gauweiler will klagen, auch die Linke überlegt sich, gegen die neuen Spielregeln in der EU vor das Verfassungsgericht zu ziehen.
Quelle: ntv.de, Frank Rafalski, dpa