Dossier

Was sagen die anderen EU mit Hängen und Würgen

Die Ergebnisse des EU-Gipfels stoßen auf ein geteiltes Echo. Manchen geht der neue Vertrag nicht weit genug, manche sehen immer noch Hürden.

Die "Frankfurter Rundschau" sieht Fortschritte in dem neuen Vertrag: "Niemand wird nach der Nachtsitzung von Lissabon behaupten können, die Europäische Union bewege sich nicht. Sie tut es doch, wenn auch mit Hängen und Würgen. Das Abkommen ist weit entfernt von Glanz und Gloria, die der Entwurf für die Europäische Konstitution ausstrahlte. Aber der sperrige Text taugt, der Europäischen Union eine Zukunft zu geben und die politische Stagnation zu beenden, die die Gemeinschaft lähmt, seit Niederländer und Franzosen den Verfassungsentwurf in Volksabstimmungen ablehnten. Dabei hilft vor allem der Wegfall des Vetorechts. Künftig bestimmt so nicht mehr der Lustloseste das Tempo bei Gesetzesvorhaben."

Die "Märkische Oderzeitung" (Frankfurt/Oder) befürchtet eine Zerfaserung der EU: "Der Lissabon-Vertrag - sofern es bei der Ratifizierung keine Probleme gibt - macht die EU handlungsfähiger, fächert sie aber mit unzähligen Sonderklauseln weiter auf. Es bleibt abzuwarten, wie lange das gut geht, vor allem mit Blick auf neue EU-Erweiterungen. 'Große' wie Frankreich oder Großbritannien sollten stets bedenken, dass ihr Einfluss in der heutigen Welt schrumpft. Für die 'Kleinen' wie Estland oder Portugal gilt das sowieso. Ohne die EU würden sie international gar kein Gehör mehr finden."

Das "Mindener Tageblatt" sieht einen Sprung nach vorne: " In wie üblich zähen, wie so oft unter maßgeblich deutschem Anteil letztlich aber doch erfolgreichen Auseinandersetzungen ist es gelungen, das fast schon sichere Ende des Reformprojekts - und damit die absehbare Selbstblockade der EU - zu verhindern. Natürlich gab es wieder eine Extrawurst hier und einen Parlamentssitz mehr dort - so läuft das eben. Am Ende aber zählt das Resultat: die Europäische Union bewegt sich doch. Und zwar in die richtige Richtung."

Die "Eßlinger Zeitung" kommentiert: "Noch ist der Vertrag von Lissabon nicht von allen 27 Parlamenten der Mitgliedstaaten gebilligt. Ein Stolperstein könnte bis zum Dezember nach wir vor Polen bleiben, das schon jetzt Nachforderungen angekündigt hat. Euphorie ruft die Reform gewiss nicht hervor, aber wenn es Europa gelingt, mit klaren Mehrheitsbeschlüssen die Vetoblockaden aufzulösen und damit handlungsfähiger zu werden, wird letztlich jeder Bürger davon profitieren."

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sieht mit den neuen vertrag die EU deutlich erstarkt: "Das ursprüngliche Ziel, die Handlungsfähigkeit einer Union von 27 oder mehr Mitgliedstaaten zu verbessern, ist damit erreicht: Ein ständiger Präsident des Europäischen Rates und ein europäischer Außenminister (obwohl er mit Rücksicht auf die Briten nicht so heißen darf) werden dafür sorgen, dass die EU sich künftig etwas leichter tut, bei internen Beratungen und bei ihrem schnell wachsenden politischen Engagement in der weiten Welt mit einer Stimme zu sprechen. Der Ministerrat wird auf vielen Gebieten - auch in der Innen- und Rechtspolitik - Mehrheitsentscheidungen treffen können. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und mehr Zusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung - genau das wünschen sich die meisten Bürger, trotz der weit verbreiteten Skepsis gegenüber mehr Integration."

Der Kommentator der "Stuttgarter Nachrichten" sieht den Gipfel als gescheitert an: "Der EU-Vertrag sieht aus wie einer jener bemitleidenswerten Koffer, die auf den Gepäckbändern der Flughäfen kreiseln: ein formloses Etwas mit grauem Klebeband und heraushängender Wäsche. Man schwankt, ob man sich über die Schäbigkeit mokieren oder den Mut bewundern soll, so auf Reisen zu gehen. Das Ziel, eine kompakte, verständliche Fibel zu formulieren, die helfen könnte, die große Sache dem Bürger näher zu bringen sie ist sang- und klanglos untergegangen."

Quelle: ntv.de

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