"Diese doppelte Moral" Fischer vor dem Ausschuss
25.04.2005, 19:04 Uhr"Schreiben Sie: Der Fischer ist schuld." Das ist das Fazit von Außenminister Joschka Fischer, nachdem er zwei Stunden und 18 Minuten vor laufenden Kameras im Untersuchungsausschuss sein "Sündenregister" in der Affäre um massenhaften Visa-Missbrauch offen gelegt hat. Fischer entspannt sich. "Jetzt würden Sie am liebsten wohl den Ausschuss beschließen", sagt der Ausschussvorsitzende Hans- Peter Uhl (CSU). "So einfach geht das nicht, Herr Minister."
Um zehn Minuten nach zehn beginnt Fischer mit seiner Rede, die entscheidend für seine politische Zukunft als Außenministers sein könnte. Mit schmalen Lippen lächelt er zur voll besetzten Zuschauertribüne des Anhörungssaals im Berliner Elisabeth-Lüders-Haus hoch. Fischer arbeitet Zettel für Zettel seine Strategie ab: Alle Verantwortung für die Visa-Missstände auf sich laden, der Opposition "Skandalisierung" und Niederträchtigkeit vorwerfen, die Vorwürfe des hunderttausendfachen Schleusens und des milliardenteuren Schadens entkräften und nachweisen, dass schon die Vorgängerregierung "im Zweifel für die Reisefreiheit" entschieden hatte.
"Aber was mir richtig übel aufstößt, ist diese doppelte Moral", sagt Fischer. "Prostitution und Menschenhandel - das alles hat nicht mit Rot-Grün begonnen ... Dennoch laufen Sie durch die Gegend und bezeichnen mich als Zuhälter." In seinem Schlusswort hält Fischer ein Plädoyer für die Reisefreiheit: "Wie sonst" sollten etwa die Verhältnisse in Problemstaaten wie Weißrussland geändert werden?
Wer erwartet hatte, Fischer würde sich in den Weiten der Weltpolitik verlieren, hatte sich getäuscht. DerMinister, der gegen die Missstände in der Visa-Politik lange nichts getan hatte, hantiert kenntnisreich mit Begriffen wie Reiseschutzpass und Bonitätsprüfung und bei der Erläuterung von Erlassen. "Das wart Ihr", duzt Fischer die politischen Gegner. "Mir geht es hier um Kontinuität."
Fischer ist stark und ein Selbstdarsteller, wenn er eine Bühne hat - auch im Untersuchungsausschuss. Komische Einlagen inklusive. Etwa als er sich verhaspelt und von einer "Hausbesetzung" anstatt einer "Hausbesprechung" redet. Unter dem Gelächter der Mitglieder und Zuschauer entgegnet Uhl: "Die Vergangenheit holt einen immer wieder ein."
Immer wieder geißelt sich Fischer selbst: Zu spät habe er sich informiert, zu spät eingegriffen. Vieles habe er nicht gewusst, er habe auch erst die Akten lesen müssen. "Da haben Sie Ihren Angriffspunkt", sagt Fischer an die Union gerichtet und öffnet sein Nadelstreifenjackett. "Bitte sehr." Ja, er habe die umstrittenen Visa-Erlasse auch von 1999 durchgehen lassen. "Ich will mich nicht herausreden."
Nach den langen Ausführungen wird die Stimmung im Ausschuss gereizt. Die gefürchtete Herablassung des Ministers scheint durch. Den hartnäckigen Fragen seines politischen Gegenspielers Eckart von Klaeden weicht Fischer mit Gegenfragen aus. "Die Fragen stelle ich hier", stellt der junge CDU-Obmann schließlich klar. Fischer lässt sich nicht einschüchtern. Er ist als Zeuge geladen, doch anklagen lässt er sich nicht. "Sie arbeiten hier mit einer Unterstellung nach der anderen", wirft er der Opposition später vor.
Als es um Details geht, kommt Fischer ins Schwimmen. Hat er mit Kanzleramtschef Steinmeier über den Visa-Streit mit Innenminister Otto Schily (SPD) im März 2000 geredet? Hat er mit Schily telefoniert oder ihn getroffen? Fischer: "Ich kann mich nicht erinnern, ich meine mich zu erinnern..." Auch die Brandbriefe der Botschafter aus Kiew und Moskau hätten ihn seiner Erinnerung nach nicht erreicht. Ohnehin habe er zunächst versucht, den Visa-Ansturm in Osteuropa mit Personalausbau in den Visa-Stellen Herr zu werden anstatt die Instrumente der Visa-Politik zu ändern.
Stunde um Stunde zieht sich die Vernehmung hin. Das vorläufige Fazit ist wenig spektakulär. Klaeden: "Das AA hat es bei der Bekämpfung illegaler Einwanderung an Härte fehlen lassen." Fischer auf die Frage nach den Konsequenzen für seine Verantwortung: "Die Dinge so organisieren, dass sie sich nicht wiederholen."
Trotz der Erinnerungslücken bleibt Fischer selbstsicher: "Wenn Sie meinen Rücktritt wollen, können Sie ja einen Antrag im Bundestag stellen und abstimmen lassen." Doch schon zu Beginn der Vernehmung war für Fischer klar, dass er nicht abtreten muss: "Dazu reicht das ganz schlicht aber nicht."
Dorothea Hülsmeier, dpa
Quelle: ntv.de