Ob Krieg oder kriegsähnlich "Eine große Belastung"
19.05.2010, 07:59 UhrDer Umbau der Bundeswehr zur Freiwilligen-Armee mit der Hauptaufgabe Auslandseinsatz ist in vollem Gange. Doch die Gesellschaft und Teile der Politik sind darauf längst noch nicht vorbereitet, sagt der neue Wehrbeauftragte Königshaus im Interview mit n-tv.de.
n-tv.de: Was war Ihre Motivation, das Amt des Wehrbeauftragten zu übernehmen?

Mit Königshaus übernimmt erstmals ein Politiker das Amt, der selbst seinen Dienst bei der Bundeswehr geleistet hat.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ich fühlte mich sehr geehrt, für dieses Amt vorgeschlagen zu werden. Das hatte sicher auch mit meinem großen Interesse an Fragen, die die Bundeswehr betreffen, zu tun. Ich selbst bin 1970 als Wehrpflichtiger eingezogen worden, das war mitten im Kalten Krieg. Die Bundeswehr war damals deutlich größer und in weiten Teilen besser ausgestattet. Obwohl wir heute in Europa nur noch von Freunden umgeben sind und die Friedensdividende des europäischen Einigungsprozesses ernten, stehen unsere Soldatinnen und Soldaten heute an vielen Orten in der Welt im militärischen Einsatz. Das sind große Herausforderungen, und denen müssen wir uns stellen. Ich möchte dazu meinen Beitrag leisten.
Was sehen Sie zurzeit als die dringlichsten Probleme der Bundeswehr an?
Die Gefahrenlage hat sich international sehr verändert. Dem müssen wir auch bei unseren Streitkräften Rechnung tragen. Internationale Verpflichtungen fordern zunehmend unseren militärischen Beitrag. Darauf ist unsere Gesellschaft noch nicht vorbereitet, selbst in Teilen der Politik nicht. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt offen über den Charakter unserer Militäreinsätze sprechen. Die Afghanistan-Mission ist nicht nur ein Stabilisierungs- und Aufbaueinsatz zur Verbreitung der Menschenrechte. Sie dient auch unserer Sicherheit, aber sie ist verbunden mit Gefechten, leider auch mit Gefallenen und Verwundeten. Die brutalen Angriffe, denen unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatzgebiet ausgesetzt sind, offenbaren die harte Realität. Deshalb müssen wir alles tun, die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz so weit zu gewährleisten, wie das nur irgend möglich ist. Da gibt es noch sehr viel zu tun. Was unsere jungen Menschen im täglichen Einsatz fernab der Heimat, sei es in Afghanistan, im Kosovo oder am Horn von Afrika für uns alle leisten, verdient Anerkennung, denn es ist eine große Belastung für sie und ihre Angehörigen. Das wird von der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen. Dafür will ich als Wehrbeauftragter das Bewusstsein schärfen.

Die Realität des Auslandseinsatzes ist vielen Deutschen noch immer fremd.
(Foto: REUTERS)
Inwieweit werden diese Belastungen von der Gesellschaft ignoriert?
Viele Menschen unterscheiden nicht zwischen der politischen Entscheidung, unsere Streitkräfte in den Einsatz zu schicken, und den Soldatinnen und Soldaten, die dort den Auftrag des Parlaments ausführen, weil es ihre Pflicht ist. Teilweise müssen Angehörige der Streitkräfte sehr ungehörige Verhaltensweise ertragen. Sie bringen große Opfer und ernten Undank. Andere verhalten sich zwar friedlich, sind indessen „freundlich desinteressiert“. Aber die Soldatinnen und Soldaten verdienen unsere Anerkennung und allemal unsere volle Aufmerksamkeit, nicht nur in ihrer täglichen Arbeit, sondern auch in den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen. Die Belastungen finden keinen ausreichenden Niederschlag bei der Besoldung und den Funktionszulagen. Es ist ungerecht, dass die meisten Soldatinnen und Soldaten gar nicht mehr an ihrem Wohnort arbeiten, aber auch nicht umziehen können, weil Angehörige am neuen Einsatzort keine Arbeit finden oder weil es pflegebedürftige Eltern oder schulpflichtige Kinder gibt, und sie dennoch nicht einmal Trennungsgeld erhalten. Da sind Anpassungen erforderlich.
Im Kundus-Untersuchungsausschuss, den Sie für das neue Amt ebenso verlassen müssen wie den Bundestag, galten Sie als hartnäckiger Fragensteller. Kommt Ihnen diese Eigenschaft nun bei der Aufdeckung von Missständen bei der Bundeswehr zugute?

Sein Leopard-Vorstoß brachte ihm den Vorwurf der Inkompetenz ein.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ich habe ja eine juristische Ausbildung und war auch als Strafrichter und später als Leiter der Abfallwirtschaftsbehörde in Berlin tätig. Auch hier musste ich gelegentlich intensiver nachfragen. Natürlich kommen mir diese Erfahrung zugute. Aber man muss auch gewisse Nehmerqualitäten mitbringen, wie ich schon im Vorfeld der Amtsübernahme feststellen konnte.
Ihre Forderung nach Leopard 2-Panzern für den Einsatz in Afghanistan hat ihnen bereits Ärger eingebracht. War das ein Vorgeschmack, wie schnell man als Wehrbeauftragter im politischen Gegenwind steht?
Viele finden, der Wehrbeauftragte sollte sich zurückhalten. Das kann ich aber für die Zukunft nicht in Aussicht stellen. Das Grundgesetz legt fest, dass der Wehrbeauftragte zum Schutz der Grundrechte zugunsten der Soldatinnen und Soldaten und ihrer Angehörigen wirken soll, und zwar in erster Linie, und außerdem als Hilfsorgan bei der parlamentarischen Kontrolle. Diesen Aufträgen werde ich nachkommen. Zu den Grundrechten, die ich zu schützen habe, gehört als vornehmstes Recht das auf körperliche Unversehrtheit. Das bedeutet, dass der Dienstherr die bestmögliche Ausrüstung und die bestmögliche Ausbildung gewährleistet. Deshalb ist es sehr wohl die Aufgabe des Wehrbeauftragten, sich um diese Dinge zu kümmern.
Der Vorwurf lautete, der Leopard 2 sei zu schwer für das unwegsame Gelände in Afghanistan und zu martialisch für die Begegnung mit Zivilisten. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Die gepanzerten Fahrzeuge werden sowohl für die Ausbildung in der Heimat als auch für den Einsatz in Afghanistan gebraucht.
(Foto: REUTERS)
Ich habe ja mehrere Punkte aufgezählt – nicht nur Panzer –, sondern auch bessere Aufklärungsmittel, mehr Hubschrauber und Steilfeuerwaffen. Und dann habe ich gesagt – wie auch schon Reinhold Robbe vor mir –, wir haben nicht genügend geschützte Fahrzeuge, um gleichzeitig den Einsatz vor Ort und die Ausbildung in Deutschland zu gewährleisten. Ich habe deshalb vorgeschlagen, insbesondere beim Schutz des Feldlagers oder des Flughafens in Kundus den Leopard 2 einzusetzen. Ich wehre mich dagegen, dass die Entsendung von Kampfpanzern grundlos ausgeschlossen wird. Die Dänen und Kanadier, die den Leopard 2 seit Längerem erfolgreich in Afghanistan einsetzen, fahren damit zwar auch nicht auf Patrouille, aber sie schicken ihn in Gefechtssituation zur Unterstützung. Die Erfahrungen zeigen, dass sie den Schutz der Soldaten in solchen Situationen signifikant erhöht haben. Nur so viel: Bei den Kanadiern oder Dänen geraten die Soldaten unter Beschuss, der Leopard erscheint, die feindlichen Kräfte ziehen sich zurück, die Soldaten bleiben. Warum sollten unsere Soldatinnen und Soldaten diesen Schutz nicht bekommen? Wenn das auch anders geht, gerne. Aber das setzt eine tabufreie Bewertung der zur Verfügung stehenden Einsatzmittel voraus.
In Zeiten enger werdender Finanzspielräume werden solche Abwägungen womöglich zu teuer?
Wenn man erlebt, was zur Stabilisierung der Wirtschaft und des Euro finanziell unternommen werden muss, weiß man, dass wir in anderen Bereichen nicht beliebig Material zukaufen können, selbst wenn es erforderlich wäre. Umso mehr muss man aber schauen, welche Möglichkeiten man bereits zur Verfügung hat, um den Schutz der Truppe vor Ort zu verbessern.
Einige Missstände werden seit Jahren bemängelt. Was stimmt Sie optimistisch, dass Sie da etwas bewegen können?
Ich werde meine Arbeit auf dem aufbauen, was mein Vorgänger bereits erreicht hat. Die von ihm angesprochenen Kritikpunkte im Sanitätsdienst, bei Ausrüstung und Ausbildung werde ich weiterverfolgen. Ich habe nicht die Absicht, diese nur in den weiteren Jahresberichten immer wieder vorzutragen, sondern ich werde diese Probleme den Verantwortlichen beständig in Erinnerung rufen, bis sie gelöst sind.

Die Bundeswehr setzt zunehmend auf externe Experten, BA-Chef Weise (li.) und Verteidigungsminister Guttenberg.
(Foto: REUTERS)
Inwieweit müssen auch Strukturen der Bundeswehr wie die Trennung von Truppe und Truppenverwaltung diskutiert werden?
Das ist ein zentrales Problem, aber auch eine verfassungsrechtliche Frage. Wir haben uns damals ganz bewusst dafür entschieden, die Streitkräfte unter zivile Kontrolle zu stellen. Aber das muss nicht bedeuten, dass es Doppelstrukturen gibt. Wir müssen vielmehr überprüfen, was unter ziviler Verwaltung entschieden werden muss und was unter militärischer. Bei den derzeitigen Strukturen ist nicht klar, wer welche Entscheidung zu verantworten hat. Aber wie Sie wissen, bereitet die Bundesregierung aktuell eine Strukturreform vor. Das ist eine politisch zu entscheidende Frage, die den Wehrbeauftragten nur unter dem Aspekt beschäftigt, welche Auswirkungen die zukünftige Struktur auf die Soldaten und die Möglichkeiten zu parlamentarischer Kontrolle hat. Vor allem müssen wir die aktuellen Defizite umgehend beheben. Sie könnten sonst möglicherweise Ursache für spätere Verluste sein. Wir müssen natürlich schauen, wo noch gespart werden kann. Allerdings müssen wir auch Ausrüstung vorhalten, die nur selten gebraucht wird. Ich kann ja auch nicht bei der Feuerwehr sagen, ich schaffe mir keinen Schaumlöschwagen an, weil es ja meistens mit Wasser geht. Die Bundeswehr muss immer auf alle Situationen vorbereitet sein. Ich persönlich finde die Arbeit der Kommission unter dem Vorsitz von BA-Chef Weise sehr vielversprechend.
In Ihrer Amtszeit wird die Wehrpflicht auf sechs Monate verkürzt. In der Bundeswehr gibt es große Bedenken, wie die Rekruten in dieser Zeit noch sinnvoll ausgebildet und eingesetzt werden sollen. Fühlen Sie sich da in der Zwickmühle?
Nein, das ist eine Entscheidung des Parlaments, die ich so hinzunehmen habe, wie sie getroffen wird. Als Wehrbeauftragter muss ich aber schauen, dass bei der Umsetzung des Parlamentsbeschlusses die Interessen der Soldatinnen und Soldaten nicht unter die Räder kommen. Und das werde ich tun. Ein Wehrpflichtiger hat zu Recht den Anspruch, zu spüren, dass sein Wehrdienst Sinn hat und der Landesverteidigung dient. Es gibt von militärischer Seite sehr gute Ideen und Vorschläge, wie man das erreichen kann.
Braucht die Bundeswehr daneben auch eine andere Ausrüstung?
Wir wissen heute noch nicht, welche Herausforderungen auf unsere Streitkräfte in Zukunft noch zukommen, was wir morgen brauchen. Deshalb brauchen wir Streitkräfte mit einem Mix an Fähigkeiten, auch für andere Einsatzgebiete als die, in denen wir heute aktiv sind. Darauf müssen wir eingehen.
Mit Hellmut Königshaus sprach Solveig Bach.
Quelle: ntv.de