Dossier

Orientierungslos im Sturm Frankreichs Sozialisten in der Krise

Inhaltlich zerstritten, führungslos und im politischen Alltagsgeschäft kaum zu vernehmen: Die Situation der französischen Sozialisten ähnelt der Lage bei der deutschen Schwesterpartei SPD. Trotz ihrer breiten Verankerung in den Gemeinden hat sich die Parti Socialiste (PS) von ihrer bitteren Wahlniederlage im Frühjahr 2007 noch nicht erholt. "Die PS liegt in Trümmern. Sie muss sich neu aufbauen", sagt der junge PS-Hoffnungsträger Arnaud Montebourg. Doch mit wem und auf der Basis welcher Ideen? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Derweil wachsen am linken Rand mit einer neuen "Antikapitalistischen Partei" (PAC) und im Zentrum mit der MoDem starke Konkurrenten heran.

"Die Linke hat die ideologische Schlacht verloren", frohlockt der konservative Premierminister Franois Fillon. "Sie ist konservativ und sie ist programmatisch völlig zermalmt." Die bittere Analyse wird von vielen in der PS selbst geteilt, in der kein Flügel eine Mehrheit hinter sich scharen kann. Die "Partei-Elefanten" meiden derweil die Debatte und führen Imagekampagnen, um sich für die Kür des neuen Parteichefs im November in Position zu bringen.

Royal auf dem Absprung

So wie die Präsidentschaftskandidatin von 2007, Sgolne Royal. Beim Parteikongress im August rief sie den Delegierten zur Eröffnung zu: "Liebt Euch gegenseitig oder verschwindet" - und verschwand dann zum "Fest der Einheit" der italienischen Linken. Kritiker argwöhnen, Royal sei sowieso auf dem Absprung und wolle neben der PS ein Sprungbrett für die Präsidentenwahl 2012 aufbauen. Sie hatte schon wenig Interesse gezeigt, als sich die Partei im Sommer ein neues Grundsatzprogramm gab.

Fast ein halbes Jahrhundert nach der SPD in Bad Godesberg 1959 hatte die PS endlich offiziell Abschied von der Revolution genommen und sich zur "sozialen und ökologischen Marktwirtschaft" bekehrt, die von Staat "und Sozialpartnern reguliert" werden soll. Damit vollzog die Partei im Programm die Wende nach, die sie an der Regierung bereits 1983 vollzogen hatte. Doch der Zeitpunkt ist unglücklich: Gerade jetzt wenden sich viele Wähler angesichts der Finanzkrise und der Millionenabfindungen für gescheiterte Manager trotz der Reform ab.

Neuer Held der Linken

Der neue Held der Linken steht außerhalb der PS, ist jung, charmant und Briefträger: Olivier Besancenot. Jeder siebte Franzose hält den Chef der Revolutionären Kommunistischen Liga (LCR) für den glaubwürdigsten Widersacher von Präsident Nicolas Sarkozy. In der Beliebtheitsskala lässt der Trotzkist den PS-Parteichef Franois Hollande und andere sozialistische "Partei-Elefanten" weit hinter sich.

Besancenot, dessen LCR bei den Kommunalwahlen in vielen Städten zweistellige Ergebnisse einfuhr, will zur Jahreswende die LCR und den "linken Flohzirkus" von Bürgerrechtlern bis zu Globalisierungsgegnern in der neuen Linkspartei PAC vereinen. Viele PS-Anhänger könnten seinem Ruf folgen. Hollande rief daher eine "task force" gegen Besancenot ins Leben. "Wir sollen effiziente Mittel finden, um den dauerhaften Aufbau einer extrem linken Partei zu verhindern", sagt der PS-Abgeordnete Daniel Vaillant.

Doch Aderlass droht den Sozialisten auch von rechts. MoDem-Chef Franois Bayrou umwirbt die PS-Reformer mit einem sozialliberalen Programm. Viele sehen in Bayrou die regierungsfähige Alternative zum Oppositionsbündnis mit Besancenot. Der Pariser Bürgermeister und Möchtegern-Parteichef Bertrand Delano versucht diesen Flügel um sich zu scharen, indem er sich für "sozialistisch und liberal" erklärt. Doch "liberal" ist für die Parteilinke ein Schimpfwort für "wilden Turbokapitalismus". Enttäuscht wenden sich viele Genossen von diesem Spektakel ab. Im Frühjahr hatte die PS laut Hollande noch 150.000 Mitglieder. Zur Präsidentenwahl 2007 waren es 100.000 mehr gewesen.

Quelle: ntv.de, Hans-Hermann Nikolei, dpa

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