50 Jahre "Gewissen Europas" Gerichtshof für Menschenrechte
23.02.2009, 10:02 Uhr"Wachhund der Gesellschaft" oder das "Gewissen Europas": Der Ruf des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hat 50 Jahre nach seiner Gründung Kreise gezogen. Das Richtergremium des Europarates, das im Februar 1959 erstmals in Straßburg zusammentrat, arbeitet unermüdlich daran, Folteropfer zu entschädigen, juristisches Unrecht geradezurücken oder die Meinungs- und Versammlungsfreiheit vor Angriffen zu schützen. Auch wenn Menschenrechtsorganisationen den Gerichtshof manchmal als "zahnlosen Tiger" bezeichnen - die Zahl von deutlich mehr als 10.000 Urteilen spricht für sich.
Institution "so nötig wie eh und je"
"Der Schutz der Menschenrechte hat in diesem halben Jahrhundert beträchtliche Fortschritte gemacht", sagt der Präsident des Gerichtshofes, Jean-Paul Costa. Doch sobald ein Konflikt in den 47 Mitgliedsländern des Europarats ausbricht, "gibt es sofort schwerwiegende Rückfälle". Deshalb ist die Institution "so nötig wie eh und je", sagt die deutsche Richterin Renate Jaeger. "Den Bürgern der 47 Europaratsländer ist bewusst, dass die Menschenrechte nicht nur schöne Versprechungen sind, sondern über den Gerichtshof durchgesetzt werden können", sagt Jaeger.
Entsprechend seiner gewachsenen Bedeutung und durch die Möglichkeit für Privatleute, sich direkt an das Gericht zu wenden, hat das Arbeitstempo des heutigen Gerichtshofes nichts mehr mit der Institution zu tun, die am 23. Februar 1959 in einem bescheidenen Saal des Europarates ihre Arbeit aufnahm. Damals versammelten sich 15 Richter aus den 15 Mitgliedsländern und pro Jahr wurden höchstens zwei oder drei Urteile gefällt. Heute tagen 47 Richter aus 47 Ländern und haben 2008 insgesamt 1544 Urteile gesprochen.
Einfluss der Straßburger Richter nimmt zu
Explosionsartig zugenommen hat die Arbeit der Juristen in einem weitläufigen Gebäude am Ufer der Ill, seit in den 1990er Jahren mittel- und osteuropäische Länder in den Europarat aufgenommen wurden. Fälle aus Russland, Rumänien, der Ukraine und der Türkei machen heute mehr als 50 Prozent aller Beschwerden aus. Aber auch gegen Deutschland ergingen im vergangenen Jahr zehn Urteile. Der Einfluss der Straßburger Richter hat vielfach grundlegende Fortschritte gebracht, denn kein Land lässt sich gern öffentlich wegen Grundrechtsverletzungen verurteilen. Früher wurden Urteile von einigen Staaten dagegen einfach negiert.
Beispiel Türkei: jahrelang hat der Gerichtshof die Regierung in Ankara immer wieder wegen ungeklärter Todesfälle in den Kurdengebieten zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt. Inzwischen kamen Millionensummen zusammen. Während früher die türkischen Behörden Urteile aus Straßburg wie Verletzungen der nationalen Ehre betrachtet haben, bemüht sich heute die Türkei um Abhilfe.
Hohes Arbeitsaufkommen
Trotz des hohen Arbeitsaufkommens müssen die Grundrechtsverfahren weiter beschleunigt werden. Eine grundlegende Reform des Gerichtshofes vor elf Jahren ist jetzt schon wieder reformbedürftig. Costa stöhnt über die zunehmende Belastung der Richter - doch Abhilfe ist so schnell nicht in Sicht. Ein Reformvorhaben, mit dem unzulässige Beschwerden schneller abgewiesen werden könnten, wird derzeit von Russland blockiert. Moskau misstraut dem Gerichtshof und vermutet eine Benachteiligung. Russland steht vergleichsweise häufig am Pranger.
Quelle: ntv.de, Petra Klingbeil, dpa