Neue Proteste "befremdlich" Gönner will Stresstest bestehen
01.12.2010, 12:33 UhrBaden-Württembergs Verkehrsministerin Tanja Gönner hat nicht erst in der Schlichtung für die Umsetzung von Stuttgart 21 gekämpft. Inzwischen werden ihr schon bundespolitische Ambitionen nachgesagt. Zunächst kann sie allerdings den Schlichterspruch als Sieg verbuchen und hofft im Gespräch mit n-tv.de, dass auch der Wähler ihre Standhaftigheit honoriert.
n-tv.de: Sind Sie zufrieden mit dem Schlichterspruch?

Gönner (r.) mit Ministerpräsident Mappus (l.) und Bahnvorstand Kefer.
(Foto: dpa)
Tanja Gönner: Auf der einen Seite können wir mit dem Schlichterspruch zufrieden sein, weil er sich für Stuttgart 21 ausspricht. Auf der anderen Seite hat er uns noch ein paar Hausaufgaben mitgegeben. An die müssen wir uns machen und die sauber abarbeiten. Aber grundsätzlich ist es für uns natürlich sehr erfreulich, dass er gesagt hat, der Bahnhof kann weiter gebaut werden.
Ministerpräsident Mappus hat bereits geäußert, dass er durch den Schlichterspruch keine wesentlichen Mehrkosten erwartet. Teilen Sie diese Auffassung?
Es geht darum, dass wir jetzt diesen Stresstest machen und schauen, was noch notwendig ist, insbesondere bei den Zulaufstrecken, also außerhalb des Bahnhofes. Da kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Eine oder Andere gemacht werden muss. Ich glaube aber, dass es sich, wenn es so kommen sollte, doch um deutlich geringere Mehrkosten handeln wird, als die Kritiker jetzt sagen. Die Kritiker versuchen jetzt mit hohen Zahlen den Eindruck zu erwecken, dass der Bahnhof dann unglaublich teuer wird. Diese genannten Zahlen sind allerdings nicht realistisch. Ansonsten warten wir jetzt den Stresstest ab.
Einer der Kritikpunkte ist, dass das Prozedere für den Bahnhof jetzt sehr transparent war, für die Neubaustrecke allerdings nicht. Halten Sie die Kritik für gerechtfertigt?
Mich verwundert die Kritik etwas. Denn obwohl es eigentlich um den Bahnhof ging, haben wir bewusst gesagt, wir sind auch bereit über die Neubaustrecke zu diskutieren. Beides gehört natürlich auch zusammen. Ich finde, dass auch für die Neubaustrecke die notwendige Transparenz hergestellt wurde. Es gibt natürlich Stimmen, die sagen, es ist nicht wirtschaftlich genug, was sie aber auch nicht nachweisen können. Dann hat man versucht, es über das Thema Güterzüge anzugehen. Da konnte vieles durch die neue Kosten-Nutzen-Rechnung des Bundesverkehrsministeriums entkräftet werden. Aber es ist klar, nach dem es nicht über den Bahnhof geklappt hat, versucht man jetzt über die Neubaustrecke das Projekt weiter schlecht zu reden.
Dass der Widerstand der Projektgegner sich nicht automatisch erledigen würde, war ja klar. Sind Sie überrascht, dass es sofort nach der Schlichtung neue Aktionen gab?

Die Umwelt- und Verkehrsministerin gilt als Mappus-Vertraute und durchaus auch in Berlin als ministrabel.
(Foto: picture alliance / dpa)
Es war zu erwarten, dass nicht alle mit dem Ergebnis zufrieden sind. Deswegen haben wir schon mit neuen Protesten gerechnet. Ich war etwas erstaunt, dass sie quasi noch während der Verkündung des Schlichterspruches wieder begannen. Bei aller Enttäuschung ist das schon verwunderlich, insbesondere weil wir uns gemeinsam für diesen Weg der Schlichtung entschieden haben. Wenn es andersherum ausgegangen wäre, dann hätte man von uns auch erwartet, dass wir das Ergebnis vielleicht nicht akzeptieren, aber respektieren. Mir stellt sich da die Frage nach dem Demokratieverständnis. Ist demokratisch entschieden nur das, wenn herauskommt, was wir wollen? Wir werden weiter damit umgehen müssen, dass es Proteste gibt. Ich bin dem Schlichter allerdings auch dankbar, dass er am Ende auch hierzu etwas gesagt hat.
Stellen wir uns vor, der Schlichter hätte genau andersherum entschieden. Die Landesregierung hatte zuvor auch keinen Zweifel daran gelassen, dass sie sich von der Umsetzung des Projektes kaum abbringen lässt. Ist es da nicht ein bisschen unfair, den Gegnern gleich ein gutes Demokratieverständnis abzusprechen?
Ich spreche das nicht allen Gegnern ab. Aber was wir gestern Abend erlebt haben, war schon etwas befremdlich, bei allem Verständnis für die Enttäuschung. Natürlich wäre es für uns schwierig gewesen, wenn Geißler sich gegen das Projekt ausgesprochen hätte, wobei wir aber immer gesagt haben, wir werden einen Schlichterspruch entsprechend prüfen. Und wir haben dabei immer darauf hingewiesen, dass Recht auch innerhalb der Schlichtung immer noch Recht bleiben muss. Es gibt schon gewisse Rechtepositionen, die beachtet werden müssen. Ein anderer Schlichterspruch hätte schwierig sein können, aber wir hätten uns als Landesregierung gut überlegt, wie wir damit umgehen. Insofern muss auch die Gegnerseite überlegen, wie man in der Zukunft, bei allem Verständnis für Proteste und dem Eintreten für die eigene Lösung, versucht, bei der durch die Schlichtung gewonnen Sachlichkeit zu bleiben. Die Grünen haben schon vor dem Schlichterspruch gesagt, wir wollen eine Volksabstimmung, und wenn ihr die nicht macht, werden wir das nicht akzeptieren. Das muss in der politischen Debatte schon thematisiert werden.
Glauben Sie, dass die Schlichtung einen neuen Umgang mit Großprojekten eingeleitet hat?
Das Verfahren in dieser Form war sicher für Stuttgart richtig und notwendig, weil wir eine sehr emotionalisierte Stimmung hatten. Ich glaube, dass wir in Zukunft bei Großprojekten, wobei wir 'groß' da auch noch mal definieren müssen, im Vorfeld ein anderes Vorgehen brauchen. Wir werden da als Land auch Vorschläge erarbeiten und die auf Bundesebene einbringen, weil es uns wichtig ist, dass die notwendigen Lehren für die Zukunft gezogen werden. Bei anderen Projekten wie dem Ausbau der Rheintalbahn haben wir heute schon ein anderes Verfahren: Wir haben die Bürgerinitiativen vor Ort in eine Projektarbeitsgruppe mit einbezogen, wo wir um die sinnvollste Planung ringen. Wir versuchen das umzusetzen, auch wenn es noch nicht rechtlich bindend ist.
Sie stehen vor Landtagswahlen. Fürchten Sie, dass Sie die Quittung von all jenen bekommen, die sich doch nicht genug mitgenommen fühlen?
Zur Demokratie gehört, dass man um jede einzelne Stimme kämpfen muss. Und genau das werden wir tun. Dass dieses Bahnprojekt ein Thema von vielen im Landtagswahlkampf sein wird, ist klar. Ich habe aber auch den Eindruck, dass es Menschen gibt, die Respekt vor unserer Standhaftigkeit haben. Das wird sich möglicherweise am Ende die Waage halten. Ich hoffe, dass es eine neue Politisierung gibt in dem Sinne, dass wir eine gute Wahlbeteiligung haben. Auch dann hätten sich die Mühen der vergangenen Monate gelohnt.
Mit Tanja Gönner sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de